"Unsere Gelben Engel brauchen wir ganz sicher auch in Zukunft noch"

Portrait von Thomas Reynartz im Interviewformat
Thomas Reynartz leitet die ADAC Pannenhilfe© ADAC/Nadine Baumann

Im Jahr 1954 gründete der ADAC die Straßenwacht. Im Interview spricht Thomas Reynartz, Leiter der ADAC Pannenhilfe, über technischen Fortschritt, neue Herausforderungen und die Motivation seiner Kolleginnen und Kollegen auf der Straße und in der Disposition.

Redaktion: Herr Reynartz, Sie sind Chef der ADAC Straßenwacht, die in diesem Jahr ihr siebzigstes Jubiläum feiert. Wenn Sie für ein paar Stunden selbst Pannenhelfer wären, könnten Sie den Job auch selbst?

Thomas Reynartz: Ich bin Doppel-Linkshänder, also wäre ich auf Hilfe angewiesen (lacht). Ich habe zwar ein gutes technisches Verständnis, könnte mir bei dem ein oder anderen Problem selbst helfen. Aber ich bräuchte ganz klar die Hilfe der Gelben Engel.

Haben Sie schon mal die Pannenhilfe gebraucht?

Schon ein paar Mal. Als ich noch etwas jünger war, habe ich reparaturanfällige Autos gefahren. Da gab es schon einige Pannen, aber der ADAC konnte immer helfen. Heute fahre ich immer wieder gerne bei der Straßenwacht mit, um zu erleben, wie technisch versiert und empathisch sie ist.

Was sind die größten Veränderungen, wenn Sie auf 70 Jahre Straßenwacht zurückschauen?

In den Anfängen waren die Pannenhelfer auf Motorrädern mit Beiwagen unterwegs, bei Wind und Wetter. Heute haben sie technisch sehr gut ausgestattete Fahrzeuge. Die Technik hat einen Quantensprung gemacht, vom Käfer, den wir damals auch im Einsatz hatten, zu den heutigen hochmodernen Autos.

Früher war es ein Patrouillieren, die Straßenwachtler sind ohne Funk umhergefahren und haben versucht, Havaristinnen oder Havaristen zu finden und ihnen dann Hilfe anzubieten. Inzwischen schicken wir sie sogar per App zu ihren Einsatzorten.

Wie lief die Pannenhilfe damals denn genau ab?

Die Menschen sind mit einer Panne liegengeblieben und haben gehofft, dass Hilfe kommt. Vor allem auf den Autobahnen und großen Straßen. Damals sind die Leute häufig mit leerem Tank liegengeblieben. Das lag vor allem an den analogen Tankuhren. Dann kam der Pannenhelfer mit dem Spritkanister, damit es weiterging.

Blick zurück: Die ersten Einsätze der Straßenwacht im Video ∙ Bild: © ADAC, Video: © ADAC e. V.


Die Gelben Engel bekommen sicher am besten mit, ob die Autos über die Zeit besser oder schlechter geworden sind. Was hören Sie da?

Man kann nicht sagen, dass die Fahrzeuge durchgängig technisch besser geworden und insgesamt weniger pannenanfällig geworden sind. Statt analoger Tankuhren gibt es heute viel Technik mit Elektronik, die störanfällig ist.

Wie entwickelt sich die Zahl der Pannenhilfen? Es gibt ja immer mehr Autos.

Die durchschnittliche Zahl der Pannen pro Mitglied ist rückläufig. Das liegt zum einen am Klima, die letzten Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Wir haben kaum noch strenge Winter, die bei uns für mehr Einsätze sorgen. Vor allem wegen der vielen Starterbatterien, die dann schlapp machen.

Und das Mobilitätsverhalten hat sich geändert, zum Beispiel, weil immer mehr Menschen im Home-Office sind. Früher waren die Montage immer sehr starke Tage. Heute fahren viele Menschen erst am Dienstag oder Mittwoch in die Arbeit.

Die Autohersteller geben uns nicht die Möglichkeit, alles zu tun, was nötig wäre.

Thomas Reynartz, Chef der ADAC Pannenhilfe

Stoßen Straßenwachtfahrer und -fahrerinnen manchmal an Grenzen, weil die Autos ja nicht besser, aber immer komplizierter werden?

Ganz klar. Das liegt auch daran, dass die Hersteller uns nicht die Möglichkeit geben, alles zu tun, was nötig wäre. Gerade wenn es um Fahrzeugdaten geht, die wir für die Diagnose von Fehlern brauchen. Insgesamt sind wir aber genau so leistungsfähig wie früher.

Können Sie die Grenzen bei den Daten näher beschreiben?

Heute sind neue Autos fahrende Computer. Um eine Fehlerdiagnose zu leisten, muss man auf viele Daten zugreifen. Aber wir haben nicht auf alle Fahrzeugdaten Zugriff. Das wird leider von den Herstellern zum Teil beschränkt.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Es gibt Hersteller, die uns bei neuen Fahrzeugen gar nicht auf ihre Daten lassen. Vielleicht, um das Fahrzeug zu schützen oder um erst einmal selbst festzustellen, welche Fehler und Anfälligkeiten auftreten. Da können wir keine Fehlercodes auslesen, da das Diagnosegerät sagt, dass es keinen Datenzugriff hat.

Aber der Hersteller möchte doch auch zufriedene Kundinnen und Kunden, die bei einer Panne möglichst schnell wieder weiterfahren können.

Ja, aber die Hersteller möchten Sie auch in ihre eigenen Werkstätten lotsen. Das heißt, man muss selbst mit dem Hersteller Kontakt aufnehmen.

Ein ADAC Strassenwachtfahrer leistet Fahrradpannenhilfe
Vielfältige Aufgaben: Inzwischen helfen die Gelben Engel auch beim Reifenwechsel fürs Fahrrad© ADAC/Gerd George


Wie sieht die Ausbildung aus, die Sie für die Straßenwacht brauchen?

Das Aufgabengebiet für die Straßenwacht wird breiter, zuletzt kam ja auch die Fahrradpannenhilfe dazu. Früher war es der Mechaniker, der Kfz-Meister, heute suchen wir Kfz-Mechatronikerinnen oder -Mechatroniker. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen zudem in der Kommunikation sicher und gefestigt sein.

Die meisten, denen wir helfen, sind dankbar. Aber man merkt auch bei uns, diese Erfahrungen machen ja auch Rettungskräfte, dass Helfende nicht immer mit offenen Armen empfangen werden. Für mich ist das vollkommen unverständlich. Aber es ist leider so.

Wie bereiten Sie denn Ihre Mitarbeitenden darauf vor, dass sie von gestressten Menschen, die eine Panne haben, blöd angeredet werden?

Deeskalationstraining gehört zu unserem Schulungsprogramm. Es gibt nun einmal in Großstädten Gegenden, wo so ein Verhalten häufiger auftritt. Gerade für diese Einsätze trainieren wir, wie man damit umgeht, wie man deeskaliert und wie man sich Hilfe holt, wenn es erforderlich ist.

Ich glaube, dass die Arbeit bei der ADAC Pannenhilfe ein Traumjob für Menschen ist, die mit Leidenschaft helfen.

Thomas Reynartz, Chef der Pannenhilfe

Welche Hilfe bekommen Ihre Mitarbeitenden dann?

Wir haben eine Notruf-Funktion in unserem Datenfunksystem, also in der Verbindung zur Hilfezentrale. Wenn die aktiviert wird, geht eine Mitteilung an die Disposition, die gegebenenfalls Unterstützung schickt. Und wenn die Sache nicht zu klären ist, wird die Polizei alarmiert.

Wie finden Sie Nachwuchs für die Straßenwacht und die Hilfezentralen?

Der Arbeitsmarkt wird immer schwieriger. Ich glaube schon, dass die Arbeit bei uns ein Traumjob für Menschen ist, die mit Leidenschaft helfen. Das merkt man auch, unsere Teams sind hoch motiviert. Die wollen helfen. Wir haben dieses Jahr rund 150 neue Kolleginnen und Kollegen für die Pannenhilfe rekrutiert. So ersetzen wir Menschen, die in den Ruhestand gehen, und bauen gleichzeitig unsere Hilfe auf deutschen Straßen aus.

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Wie hoch ist der Frauenanteil?

Wir haben in diesem Jahr fünf neue Straßenwachtfahrerinnen an Bord geholt. Damit ist der Frauenanteil in der Straßenwacht aber gerade mal zweistellig. Das ist sicherlich noch ausbaufähig. Aber wir haben in der Disposition einen relativ hohen Frauenanteil, genau wie bei den Führungskräften.

Aber die Zeiten, in denen sich Pannenhelferinnen dumme Sprüche anhören mussten, sind vorbei?

Den Überraschungseffekt gibt es, manche Menschen haben noch sehr gefestigte Rollenbilder. Aber die Kolleginnen sind so gut geschult, dass auch die wenigen skeptischen Leute schnell von ihrer Kompetenz überzeugt sind.

Gibt es schon Erfahrungen mit E-Autos?

E-Autos und Hybrid-Fahrzeuge haben einen stetig steigenden Anteil, mittlerweile sind wir bei zwei Prozent der Fälle.

Und darauf bereiten wir unsere Straßenwacht auch vor. Auch wenn sich die E-Autos bei den Pannen gar nicht so sehr vom Verbrenner unterscheiden. Die Starterbatterie ist auch bei ihnen das anfälligste Bauteil. Dann kommen die Reifen, und dann die Leute, die sich ausgesperrt haben.

Wie wird die Pannenhilfe in 70 Jahren aussehen?

So weit kann kein Mensch vorausschauen. Was wir sehen, ist, dass die Zyklen bei den Autos immer kürzer werden, die Entwicklung geht immer schneller.

Was sich gerade ändert, ist, dass wir Daten über die Luftschnittstelle, quasi per WLAN, abgreifen können. Daran könnte man erkennen, ob sich eine Panne anbahnt oder wo eine Panne ihre Ursache hat.

Und mithilfe von KI könnte sich noch genauer prognostizieren lassen, zu wie vielen Pannen es kommen wird und wie viele Einsatzkräfte oder Ersatzteile man vorhalten muss. Und einen Teil der Aufgaben wird man wohl auch aus der Ferne erledigen können. Auch deshalb fordern wir von den Herstellern einen diskriminierungsfreien Zugriff auf die Fahrzeugdaten. Nur so können Dienstleister – so auch der ADAC – guten Service liefern.

Aber unsere Gelben Engel brauchen wir ganz sicher auch in Zukunft noch. Aus der Ferne kann man keine Batterie wechseln, keinen Reifen ersetzen.