"Das Verbrenner-Aus ist für Wirtschaft und Klima die richtige Entscheidung"

Portrait von Grünen Politikerin Terry Reintke im ADAC Interviewformat
Terry Reintke ist Co-Vorsitzende der Fraktion "Die Grünen/EFA" im Europäischen Parlament© Cornelis Gollhardt

Terry Reintke ist Spitzenkandidatin der Grünen für die bevorstehende Europawahl. Im ADAC Interview wirbt sie für mehr europäische Zusammenarbeit, bessere Zugverbindungen zwischen den Ländern und ein Klimageld für alle Europäerinnen und Europäer.

ADAC Redaktion: Warum ist die Europawahl wichtig, gerade für die Mobilität?

Terry Reintke: Die EU macht uns mobiler, freier und vernetzter. Wir können, ohne an der Grenze anzuhalten oder unseren Pass zu zeigen, von Köln nach Paris fahren. Diese Freiheit gilt nicht nur für die Menschen, sondern auch für den Waren- und Kapitalverkehr sowie für Dienstleistungen. Davon profitiert also auch die Wirtschaft.

Wir Grüne wollen die EU zu einer Infrastruktur-Union ausbauen, um noch engere und bessere Verbindungen zwischen den Ländern zu schaffen. Beim Schienen- und Straßennetz, bei Stromtrassen, bei Glasfasernetzen. Wenn wir das gemeinsam europäisch planen und ausbauen, können wir Mobilität, Freiheit und Wohlstand stärken.

Zur Person

Terry Reintke, 37, wurde 2014 erstmals ins Europäischen Parlament gewählt. Die in Gelsenkirchen geborene Politikerin ist Co-Vorsitzende der Fraktion "Die Grünen/EFA" und bei den anstehenden Wahlen Spitzenkandidatin ihrer Partei. Sie studierte Politikwissenschaften in Berlin und Edinburgh.

Die Bahn kann ein wunderbares Verkehrsmittel sein, aber weder in Deutschland noch europaweit sind Verbindungen wirklich aufeinander abgestimmt. Was wollen Sie besser machen?

Ich bin passionierte Bahnfahrerin, mit Herzblut und manchmal auch mit sehr viel Unmut (lacht). Wir müssen jetzt investieren. Sowohl in den Ausbau des Schienennetzes in den Mitgliedstaaten, als auch in bessere Schnittstellen an den Grenzen. Selbst zwischen Frankreich und Deutschland, die schon so lange eng zusammenarbeiten, gibt es noch viel Luft nach oben. Das gilt auch für Bahnstrecken nach Polen und Tschechien.

Viele innereuropäische Reisen werden mit dem Flugzeug gemacht. Wie lassen sich mehr Menschen zum Umsteigen in die Bahn bewegen?

Wir wollen die Buchung von Reisen in andere Länder einfacher gestalten. Bei der Bahn muss man sich, wenn man quer durch Europa fährt, die Tickets einzeln bei den unterschiedlichen Anbietern kaufen. Das wollen wir mit einer gemeinsamen Ticket-Plattform, auch für kombinierte Reisen mit verschiedenen Verkehrsmitteln, ändern.

Eine weitere Baustelle ist das europäische Nachtzugnetz. Wenn man komfortabel und zu einem guten Preis in München einschlafen und in Venedig aufwachen kann, glaube ich an eine große Offenheit bei den Menschen, dafür auch mal auf Flugreisen zu verzichten.

Wie lässt sich das erreichen?

Durch koordinierte Investitionen. Dafür muss die EU den Mitgliedstaaten und ihren Unternehmen Anreize zum Netzausbau geben. Sie kann zum Beispiel die Vergabe von Geldern für den Netzausbau verstärkt an die Bedingung knüpfen, die Verkehrsverbindungen zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern.

Wer soll das bezahlen?

Menschen steigen aus und ein beim "Nightjet" Zug
Terry Reintke wünscht sich mehr Nachtzüge in Europa© ÖBB/Harald Eisenberger

Da geht es ja nicht immer nur um mehr oder neue Mittel, sondern um die Frage, wie man bestehende effizienter nutzt. Wir könnten zum Beispiel mithilfe gemeinsamer europäischer Töpfe grundlegende Dinge wie transnationale Schienen, Brücken und Stromverbindungen finanzieren.

Wichtig ist auch die Planungsbeschleunigung. In Deutschland haben wir das bei den Erneuerbaren, bei der Sanierung von Straßen und auch bei Bahnprojekten bereits angepackt, und es zeigt Wirkung.

Demnächst wird der Verkehrssektor in den Emissionshandel einbezogen. Wie wollen Sie Anreize schaffen, Energie zu sparen und die Menschen nicht überlasten?

Es braucht ein gutes Angebot, damit Menschen klimaneutral mobil sein können. Ein großer Erfolg der Bundesregierung ist das Deutschland-Ticket, das in der gesamten EU mit sehr viel Interesse beobachtet wird.

Gleichzeitig müssen wir uns immer fragen, wie die CO₂-Bepreisung sozial abgefedert werden kann. Wir wollen dafür ein Klimageld einführen, das die Einnahmen durch den CO₂-Preis an die Bürgerinnen und Bürger zurückgibt und zudem diejenigen besonders unterstützen, die sich sonst Investitionen in Klimafreundlichkeit nicht leisten können. Wir haben uns deshalb in Europa erfolgreich für die Einrichtung eines Klima-Sozialfonds eingesetzt.

Wie sollte Europa das Geld aus diesem Klima-Sozialfonds ausgeben?

Ein Teil sollte langfristig in gemeinsame EU-Programme wie ein europäisches Klimageld überführt werden. Das bedeutet nicht, dass in allen Staaten die gleiche Summe ausgeschüttet wird, sondern dass es einen Rahmen für die Ausgleichszahlungen an die Bürgerinnen und Bürger gibt.

Wir müssen außerdem mehr Geld in ein gut ausgebautes ÖPNV-Netz, gute Tarife und gut isolierte Gebäude sowie effizient laufende Heizsysteme stecken. Wenn wir diese Anschubinvestition getätigt haben, lohnt sich das auch finanziell.

Wir steigen vom ÖPNV ins Auto um. Es kann passieren, dass ADAC Pannenhelferinnen und -helfer an Grenzen stoßen, weil die Pkw-Hersteller sie nicht an die Fahrzeugdaten lassen. Wem gehören die Daten im Auto?

Für uns als Bürgerrechtspartei ist Datenschutz ein großes Thema. Daten sollten nur weitergegeben werden, wenn sie anonymisiert sind. Gleichzeitig sehen wir natürlich, dass Daten für Mobilität und die Steuerung von Verkehrsflüssen sehr wichtig sind. Eine Weitergabe sollte aber nur unter engen Datenschutzvorgaben erfolgen. Es müsste für die Verbraucherinnen und Verbraucher eine Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden. Dazu müssen sie natürlich erst einmal von den Pkw-Herstellern den Zugang und vor allem die Hoheit darüber erhalten.

Wie gehen Sie damit um, dass die EU die Abhängigkeit von fossilen Kraftstoffen gegen eine Abhängigkeit von Seltenen Erden eintauschen, zu denen andere Nationen besseren Zugang haben?

Erst mal müssen wir weiter in eine europäische Batterieproduktion investieren. Und wir müssen Seltene Erden und andere Rohstoffe möglichst effizient nutzen und Batterien sehr viel schneller recycelbar machen. Wir wollen in die Kreislaufwirtschaft investieren, um neue Abhängigkeiten zu verhindern. Europa muss hier führend werden, damit wir nicht von Ländern wie China abhängig werden.

Was haben Sie davon gehalten, dass Verkehrsminister Wissing im vergangenen Jahr den EU-Kompromiss zum Verbrenner-Verbot noch einmal in Frage gestellt hat?

Das war aus europapolitischer Perspektive sehr problematisch. Wenn wir uns auf einen Kompromiss einigen, ist es nicht gut, wenn eine Seite vor dem letzten formalen Schritt noch mal eine Nachverhandlung einfordert.

In der Sache war es problematisch, weil wir mit dem Verbrenner-Aus nicht nur klimapolitisch die richtige Entscheidung getroffen haben, sondern auch wirtschaftspolitisch. Sie bedeutet Planungssicherheit für Automobilhersteller, Klarheit, die wir dringend brauchen.

Aber so agiert die FDP an vielen Stellen auf europäischer Ebene. Deutschland stand eigentlich für Verlässlichkeit. So ein Hin und Her ist nicht gut für unser Profil in Europa und es ist nicht gut für eine schnelle, handlungsfähige EU.

Neue Verkehrsregeln, Spritpreise und Verbraucher-Tipps

Inzwischen fordern CSU und FDP wieder ein Aus für das Verbrenner-Verbot ab 2035. Halten Sie das innerhalb der EU für umsetzbar?

Nein. Aber vor allem halte ich es auch nicht für klug. In China werden E-Autos massiv subventioniert. Wenn wir wollen, dass Deutschland ein Land bleibt, in dem Innovation entsteht, dann ist es wichtig, auf die Zukunft zu setzen und nicht anderen das Spielfeld zu überlassen. Oben drauf kommen die klimapolitischen Aspekte. Denn natürlich bleibt es dabei, dass die Emissionen im Verkehr runter müssen.

So eine Kehrtwende wäre aber auch ein Problem für die Unternehmen, die ja langfristig investieren und planen. Die zeigen uns doch einen Vogel: Ein Zickzackkurs ist für Investitionssicherheit, Arbeitsplätze und Innovations-Unterstützung Gift. Deswegen stehen wir als Grüne für einen klaren Kurs, natürlich immer mit Diskussionen über konkrete Maßnahmen.

Wenn wir jetzt nicht vorsorgen, dann kommt es später viel härter.

Terry Reintke (Grüne)

Ihre Partei wird von vielen Seiten hart angegriffen, in manchen Regionen in Deutschland ist Ihr Stimmenanteil auf Splitterpartei-Niveau. Warum erreichen Sie viele Menschen mit Ihrer Klima- und Wirtschaftspolitik nicht?

Ich glaube nicht, dass das so ist. Aber seit Jahren reiht sich Krise an Krise, und ich kann verstehen, dass es eine Unsicherheit gibt; dass Menschen das Gefühl haben, dass zu viele Veränderungen auf uns zukommen.

Aber die letzten Jahre haben uns gelehrt, dass es keine gute Idee ist, Probleme so lange zu ignorieren, bis es zu spät ist. Ein Beispiel: Wir haben auf russisches Gas gesetzt, haben Verteidigungsfragen in die USA ausgelagert und haben geglaubt, dass wir so bequem weitermachen können.

Dann kam der Angriffskrieg auf die Ukraine, wir mussten von heute auf morgen unabhängig werden von Kreml-Gas. Deutschland war nicht gut gewappnet und musste vieles in kurzer Zeit aufholen. Das ist gelungen, aber in Zukunft wollen wir es besser machen. Denn: Wenn wir jetzt nicht vorsorgen, dann kommt es viel härter. Darüber muss man reden, anstatt den Menschen was vorzumachen, wie es die CDU gern tut.

Reicht es, über diese Themen zu reden? Die Skepsis – gerade in ländlichen Regionen – Ihrer Partei gegenüber ist trotzdem groß.

Ich kann verstehen, wenn Leute sagen: Hier im Dorf hält der Bus zweimal am Tag, ich kann nicht auf den ÖPNV umsteigen, ich fahre weiter Auto. Und auch wenn die Vorurteile anderes sagen: Ich kenne genug Leute bei den Grünen, denen es genauso geht.

Auch Verbrenner werden natürlich nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden. Aber auf lange Sicht wird der Verkehr klimaneutral werden. Das Gute ist: Mittlerweile kommt die Energiewende bei vielen zu Hause an, und dann fängt es plötzlich an, Spaß zu machen. Alle, die ich bisher getroffen habe, die ein Balkonkraftwerk oder eine Solaranlage aufgestellt haben, sind davon begeistert, jetzt ihre eigenen Energieproduzenten zu sein. Das ist viel konkreter als der Ausbau von Offshore-Windrädern. Die natürlich auch wichtig sind.

Was muss passieren, damit Sie am Ende der kommenden Legislaturperiode zufrieden mit dem Erreichten sind?

Wenn wir ein Europäisches Investitionsprogramm für Schienen-, Ladesäulen- und Wasserstoffnetze, transnationale Stromtrassen und Erneuerbare in ganz Europa auf den Weg gebracht und die EU so klimaneutraler und sicherer gemacht haben. Und als Zugfahrerin, wenn ich auf eine Karte von Europa schaue, auf der viele Nachtzugverbindungen zu sehen sind, die Europa näher zusammenbringen. Das würde mich sehr glücklich machen.