"Je schneller wir die Erneuerbaren ausbauen, desto schneller sinkt der Strompreis"
Im Interview erklärt SPD-Europa-Spitzenkandidatin Katarina Barley, warum erneuerbare Energie günstiger als fossile ist, warum das Verbrenner-Verbot kommen wird und was Deutschland von den Niederlanden lernen kann.
ADAC Redaktion: Warum sind die Europawahlen aus Ihrer Sicht wichtig, gerade mit Blick auf die Mobilität?
Katarina Barley: Wir stehen vor der Frage, welches Europa wir möchten. Es gibt die Rechtsaußen-Parteien, die eigentlich gar kein Europa mehr wollen. Jedenfalls keines, das zusammenarbeitet, damit es den Menschen besser geht. Die wollen möglichst viel für das eigene Land, der Rest ist ihnen egal. Was sie nicht sagen: Es ist offenkundig, dass das die einzelnen Länder am Ende schwächen wird.
Dann haben wir eine Gruppe, die ein Europa nur für die Wirtschaft will. Und dann gibt es uns. Wir sagen, dass es um die Menschen geht. Dabei geht es natürlich auch um Mobilität. Aber wir fragen uns nicht nur, wie wir zum Beispiel die Automobilindustrie unterstützen können, sondern auch, wie wir für die Bürgerinnen und Bürger in der EU die Mobilität verbessern können. Und zwar für alle, nicht nur für die mit dem dicken Geldbeutel.
Einen Brückenstrompreis, also einen vorübergehend gesenkten Strompreis, fordern aber auch Sie nur für die Industrie. Warum nicht auch für Verbraucherinnen und Verbraucher?
Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist Energie teurer geworden. Es trifft uns alle, wenn dadurch energieintensive Industrien abwandern. Der Brückenstrompreis würde hier helfen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass wir diese Industriezweige in Europa halten, damit Putins Kalkül, uns zu schwächen, nicht aufgeht.
Heißt: Der Industrie wird geholfen, den ebenfalls von hohen Preisen betroffenen Menschen aber nicht? Hohe Strompreise machen ja auch den Umstieg aufs E-Auto unattraktiver.
Wir ergreifen viele Maßnahmen, mit denen Mobilität, vor allem E-Mobilität, für Menschen attraktiver wird. Das 49-Euro-Ticket gehört dazu. Es gab die Gaspreisbremse, einen Tankrabatt und Prämien für Elektrofahrzeuge. Und wir legen großen Wert auf eine verbesserte Ladeinfrastruktur. Dafür werden erhebliche öffentliche Investitionen getätigt. Außerdem gibt es Zuschüsse für Solarpanele, damit man als Nutzer von E-Autos Strom selbst erzeugen kann.
Zur Person
Die Juristin Katarina Barley (55) ist Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Sie tritt bereits zum zweiten Mal als Spitzenkandidatin der SPD bei einer Europawahl an. Vor ihrer Wahl ins Europaparlament war sie zunächst Familien- und anschließend Justizministerin. Die Mutter von zwei Söhnen hat sowohl die deutsche als auch die britische Staatsbürgerschaft und lebt in Trier.
In Deutschland werden fossile Energien bereits mit steigenden Abgaben belegt. Das soll auch in Europa beginnen, mit einem neuen Emissionshandel. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um sozial Schwächere nicht zu überlasten?
Wir werden mit dem Emissionshandel Einnahmen generieren. Daraus wird der Klima-Sozialfonds gespeist, für den wir hart gekämpft haben. Mit ihm sollen sozial schwächere Haushalte unterstützt werden. Wie genau das passiert, gestalten die Mitgliedsstaaten aus.
Bleiben wir beim Geld. Bei der Neuordnung der Energiesteuern geht es um eine Lenkungsfunktion für den Klimaschutz. Aber wenn es teurer wird, bringt das viele Menschen in Bedrängnis. Wie wollen Sie das abfangen?
Noch wird verhandelt, das Gesetz dazu soll in der nächsten Legislatur fertig werden. Die bisherigen Planungen sehen ausdrücklich vor, dass die Mitgliedsstaaten mit sehr niedrigen Steuersätzen einsteigen können. Das wird Menschen mit kleineren Einkommen helfen.
Andersherum gefragt: Wie hoch müssten Steuern und Abgaben sein, damit die Menschen ihren Energiekonsum verändern, vom Verbrenner aufs E-Auto umsteigen?
Ich habe nicht den Eindruck, dass wir eine künstliche Verteuerung herbeiführen müssten. Nach meiner Wahrnehmung ist die Kombination aus höheren Mieten, Energiekosten und gestiegenen Preisen von Lebensmitteln schon jetzt so, dass sie vielen Menschen Kopfzerbrechen bereitet.
In Ihrem Europawahlprogramm schreiben Sie, dass die Strompreise durch das Wachstum bei den Erneuerbaren sinken werden. Davon sieht man bislang nicht viel. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Die Preisbildung auf dem Energiesektor ist komplex. Sie hat bisher wenig damit zu tun, wie teuer die Energieerzeugung im jeweiligen Sektor wirklich ist. Das zu ändern, hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zwar versprochen, aber nicht eingelöst.
Kaum eine Erhebung bestreitet, dass erneuerbare Energie deutlich günstiger ist als jede andere Form der Energieerzeugung. Wenn die Anlagen einmal aufgestellt sind, muss man für Solar oder Wind keine Rohstoffe mehr kaufen. Bei der Legende vom billigen Atomstrom muss man wissen, dass zum Beispiel Frankreich seine Energieindustrie mit Milliardenbeträgen aus Steuermitteln bezuschusst hat. Da werden einfach die Verluste über den Staatshaushalt abgefangen.
Aber bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern kommen diese Preisvorteile nicht an. Was kann die EU tun, damit das anders wird?
Wir müssen das aktuelle System der Preisbildung ändern. In der Vergangenheit haben wir so eine Umstellung schon einmal gemacht, um den Einstieg in die erneuerbaren Energien zu erleichtern. Das hat gut funktioniert.
Aber jetzt haben wir ein Stadium erreicht, in dem der Preis für Erneuerbare sinkt, deshalb müssen wir anpassen. Je schneller wir die Erneuerbaren ausbauen, desto schneller sinken die Strompreise im Markt – für alle. Und wir brauchen eine europäische Energieunion. Der Strom muss von dort, wo er günstig hergestellt wird, auch dahin kommen, wo man ihn gerade braucht.
„Der Zugriff auf die Fahrzeugdaten muss der Fahrerin, dem Fahrer oder dem Halter zustehen.“
Katarina Barley
Ein Sprung zu Daten im Auto. Es kann passieren, dass ein Gelber Engel bei einer Panne nicht helfen kann, weil die Hersteller die Auto-Daten nur über ihre eigenen Schnittstellen freigeben. Wer sollte die Hoheit über diese Daten haben?
Aus europäischer Sicht kann es darauf nur eine Antwort geben: Die Daten gehören dem, der sie produziert. Das Auto produziert die Daten, die Fahrerin oder Fahrer durch ihr Verhalten am Steuer erzeugen. Der Zugriff darauf muss dem Fahrer oder dem Halter zustehen. Die Frage ist, ob man dafür eine eigene Gesetzgebung braucht. Wir haben gerade das Recht auf Reparatur verabschiedet, das geht ja in die gleiche Richtung.
Also ein klares Votum dafür, dass Auto-Halterinnen und -Halter bestimmen dürfen, wer auf die Daten zugreifen darf?
Ja, weil es automatisch auch immer persönliche Daten sind. Das ist der Grundgedanke der Datenschutz-Grundverordnung.
Sie wollen, so steht es in Ihrem Wahlprogramm, ein europaweit funktionierendes Ticket-Buchungssystem für ÖPNV und Bahn etablieren. Das Deutschland-Ticket steht schon jetzt unter ständigem Finanzierungsvorbehalt. Wie realistisch ist das für ganz Europa?
Man muss in der Politik immer auch visionär denken. Mit dem Deutschland-Ticket haben wir etwas erreicht, was deutschlandweit ganz einfach funktioniert, im Nah- und im Regionalverkehr. Das hätte man vor zwei, drei Jahren auch noch nicht gedacht.
Ich glaube, dass der Aspekt der europäischen Mobilität noch unterbelichtet ist. In einer Welt, in der China und die USA protektionistischer werden, muss sich Europa stärker auf den Binnenmarkt konzentrieren. Da geht es etwa um Hochgeschwindigkeits-Trassen zwischen den Hauptstädten. Ich wohne in Trier bei Luxemburg. Von Luxemburg nach Brüssel sind es mit dem Zug dreieinhalb Stunden. Für gute 200 Kilometer, das ist ein schlechter Witz. Von Luxemburg nach Berlin ist es auch nicht besser. Wir müssen Mobilität auch aus einer wirtschaftlichen Perspektive begreifen. Da ist noch viel Luft nach oben.
„Ich glaube, dass der Aspekt der europäischen Mobilität noch total unterbelichtet ist.“
Katarina Barley
Vor einem Jahr hat das von Volker Wissing geführte Verkehrsministerium einen Kompromiss zum Verbrenner-Verbot noch einmal infrage gestellt. Hat das das Verhandlungsergebnis besser gemacht?
Das Handeln der FDP hat vor allem der Bundesregierung geschadet. Wir haben auch bei verschiedenen anderen Gesetzen gesehen, dass die FDP in letzter Sekunde die Bremse reinhaut, nachdem sich 27 Mitgliedstaaten im Parlament und die EU-Kommission geeinigt hatten. Das hat System, die FDP guckt einfach, wo Erregungspotenzial ist und wo sie so tun kann, als wäre sie die Stimme des Volkes.
Der Verbrenner ist ein emotionales Thema. Dabei braucht die Automobilindustrie Planungssicherheit. Und die Industrie selbst wird schon bis 2030 weitgehend auf E-Autos umgestellt haben. Also ein typischer Fall, bei dem man weiß, wie es richtig sein sollte, aber einer glaubt, politisch punkten zu können.
Sie schlagen eine Prüfung von Klimaschutz-Gesetzesvorhaben unter "feministischen Gesichtspunkten" vor. Warum?
Feministische Perspektive heißt, dass man spezifische Bedürfnisse von Frauen mitdenkt. Ein Beispiel aus der Mobilität: E-Autos helfen nicht nur dem Klima, sondern auch Menschen, die an hoch belasteten Hauptverkehrsstraßen leben. Es gibt weniger Luftschadstoffe, sie sind nicht so laut wie Verbrenner. Und wer wohnt an der Hauptverkehrsstraße? Wen stört der Lärm, die Abgase? Meist nicht die oberen zehn Prozent. Sondern überproportional oft alleinerziehende Frauen, die sich nur dort eine Wohnung leisten können.
In die Schlagzeilen kommen aber eher Fahrverbote wegen neuer, europäischer Vorgaben zur Luftqualität. Warum schafft es Europa nicht, solche Vorhaben besser zu vermitteln?
Einheitliche Vorgaben zur Luftqualität schützen die Gesundheit von Menschen. Smog macht krank, das wissen wir.
Aber manche wecken da lieber Empörung. Nach dem Motto: "Früher war alles besser." Dabei muss man sich nur mal eine Innenstadt ohne Autolärm und Abgase vorstellen, um zu wissen: Das ist wirklich Unsinn.
Wenn Sie in fünf Jahren auf die zurückliegende Legislatur zurückblicken, wann sagen Sie: Das war ein Erfolg?
Meine Vision: Ein weit fortgeschrittener Umstieg auf Elektromobilität wäre großartig – es ist ein großartiges Fahrgefühl und man erzeugt weder Lärm noch Abgase. Ein Schienennetz, das gut ausgebaut ist und flüssig funktioniert. Und dann ein Europa-Ticket nach dem Vorbild des Deutschlandtickets. Zudem ist das Fahrrad innerstädtisch ein wichtiges Thema. Mein Mann ist Niederländer, in seiner Heimat denkt man Verkehr ganz anders als in Deutschland, das ist wirklich eine andere Welt. Es gibt so viele gut Ideen in Europa, wir können noch viel mehr voneinander lernen.