Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann: "Wir dürfen keine Technologie liegen lassen"

Verkehrsminister Winfried Hermann
Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann im ADAC Interview© Sebastian Berger

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) will klimaneutrale E-Fuels fördern, ist gegen kostenlosen Nahverkehr und erklärt, warum Daimler sich ein Beispiel an Toyota nehmen sollte.

ADAC Redaktion: In einem Interview mit dem ADAC machte Umweltministerin Svenja Schulze ihre Präferenz für Elektroautos klar. Wie sehen Sie das?

Winfried Hermann: Die Umweltministerin vergisst dabei die Bestandsfahrzeuge. Denn auch wenn E-Autos die Zukunft sein sollten, werden Autos mit Verbrennungsmotor noch auf Jahre hinaus ein Problem für den Klimaschutz sein. Stand heute brauchen sie weiter fossilen Sprit. Den könnte man zumindest teilweise durch klimaneutrale Kraftstoffe ersetzen.

E-Fuels, also mit erneuerbarer Energie erzeugte synthetische Kraftstoffe, nur für Luft- und Schifffahrt zu entwickeln, wird sich wegen der aufwendigen Herstellung kaum lohnen – beim Auto ist die Nachfrage nach Kraftstoffen viel größer. Und wenn wir sie dem konventionellen Sprit zunächst beimischen, sind die höheren Produktions- und Spritkosten weniger belastend.

Klimaneutrale Kraftstoffe könnten fossilen Sprit zumindest teilweise ersetzen.

Die Produktion von E-Fuels ist derzeit aber vergleichsweise ineffizient.

Das ist eines der Argumente der Umweltministerin und anderer. Stand heute wäre es tatsächlich ziemlich verrückt, synthetische Kraftstoffe mit hohem Energieverbrauch und hohen Kosten auf den Markt zu drücken. Aber mit dem technologischen Fortschritt, den wir fördern wollen, wird sich das positiv verändern.

Lässt sich in Deutschland überhaupt ausreichend erneuerbare Energie zur Erzeugung von E-Fuels gewinnen?

Solarpark Benban in der ägyptischen Wüste bei Aswan
Synthetische Kraftstoffe aus der Wüste? Eine Photovoltaik-Anlage in Ägypten© imago images/photothek

Natürlich müssen wir die Erneuerbaren massiv ausbauen, aber es ist auch klar, dass wir in Deutschland nicht überall Windräder aufstellen können. Deutschland ist heute im Verkehrssektor zu 90 Prozent von importierter Energie abhängig. Deshalb ist es nicht abwegig, auch künftig Kraftstoffe aus anderen Ländern mit günstigen Bedingungen für regenerative Energie- und Kraftstofferzeugung zu beziehen. Wir wollen zum Beispiel eine Partnerschaft mit Marokko aufbauen. Die Welt ist nur friedlich, wenn alle eine Chance haben und wir nicht nur an uns denken. Das ist moderne, solidarische Entwicklungspartnerschaft.

Wird die Elektromobilität also zu einseitig gefördert?

Wir können es uns nicht leisten, irgendeine Technologie, schon gar nicht die Brennstoffzellen-Technologie, liegen zu lassen. Was mich aber irritiert: Ola Källenius (Daimler-Chef, die Redaktion) hat mir vor einiger Zeit einen Mercedes mit Brennstoffzelle als Dienstwagen übergeben. Ich bin mit dem Auto noch kein Jahr gefahren, da hat Daimler verkündet: Diesen Antrieb setzen wir nur noch beim Lkw ein. Das ist zu kurzfristig gedacht. Toyota dagegen denkt in Dekaden, dort wurde konsequent der Hybrid-Antrieb entwickelt - und heute gehen alle in diese Richtung.

Daimler ist technologisch oft vorne dran, hat dann aber nicht den Mut, dies konsequent durchzuziehen.

Das klingt, als hätte die deutsche Autoindustrie den Wandel verschlafen...

So ist es auch wieder nicht. Daimler beispielsweise ist technologisch oft vorne dran, hat dann aber nicht den Mut, dies konsequent durchzuziehen. Stattdessen wird abgewartet, wie sich der Markt entwickelt. Unsere Unternehmen sind nicht die Spitze, aber sie fahren auch nicht hinterher. Für globalen Erfolg muss man allerdings wirklich spitze sein, gerade bei Zukunftstechniken.

Um die Verteilung der Verkehrsflächen in der Stadt gibt es immer wieder Konflikte. Wollen Sie den Autofahrern Straßenraum nehmen?

Um Klimaschutz und Aufenthaltsqualität zu verbessern, müssen wir den motorisierten Individualverkehr reduzieren. Wir brauchen mehr Platz für Fußgänger, Radfahrer und öffentlichen Verkehr – und das geht nur, indem wir das Flächenprivileg des Autoverkehrs zurücknehmen.

Wenn wir wollen, dass die Menschen mehr zu Fuß gehen, mehr Rad fahren, öfter Bus und Bahn nehmen, brauchen wir eine gute, sichere Infrastruktur und attraktive Angebote.

Die Grünen können durchaus die Perspektive des Autofahrers verstehen.

Müssen Autofahrer also Angst vor den Grünen haben?

Nein. Die meisten grün denkenden Menschen haben zwar ein anderes Verhältnis zum Auto, sie überlegen sich, was man besser mit dem Fahrrad machen kann, was zu Fuß geht und wo das Auto am besten ist. Aber es ist ein Märchen, dass Grüne keine Autos haben. Wir können durchaus die Perspektive des Autofahrers verstehen.

In diesem Jahr sind viele Pop-up-Radwege entstanden, fast von einem Tag auf den anderen. Sollte man das sorgfältiger planen?

Pop Up Radweg in Stuttgart
Sorgen für Diskussion: Kurzfristig ausgewiesene Pop-up-Radwege© imago images/Lichtgut

Ich habe mich über diese Radwege auf Probe gefreut, auch wenn zwei davon in Stuttgart jetzt wieder abgebaut wurden. Nun wird dort überlegt, wie man das Radwegenetz dauerhaft richtig vergrößern kann. Umgestaltung auf Zeit, und dann sehen, ob es funktioniert – das ist eine gute Methode, auch um Akzeptanz für Veränderungen zu gewinnen. Das finde ich gut.

Stark sind die Grünen in den Städten, wo die Leute nicht unbedingt ein Auto brauchen. Auf dem Land sieht das anders aus. Wie wollen sie die Menschen dort gewinnen?

In Baden-Württemberg haben wir zuletzt 46 Direktmandate geholt, in der Stadt und auf dem Land. Wo es keine Bahnlinien mehr gibt, haben wir Regio-Busse eingeführt. Neue Technologien, auch das automatisierte Fahren, werden für den ländlichen Raum neue Möglichkeiten eröffnen: Mit kleinen Fahrzeugen und Wunsch-Haltestellen können wir künftig individuelle Angebote machen. Und wir wollen garantieren, dass mindestens einmal pro Stunde ein Kleinbus fährt, wenn er gebraucht wird. Sonst fährt er halt nicht.

Wie teuer darf ÖPNV sein, und wie macht man ihn attraktiver?

ÖPNV in Stuttgart
Stadtbahn in Stuttgart: Verkehrsminister Hermann ist gegen ÖPNV-Nulltarif© imago images/Arnulf Hettrich

Ich bin kein Anhänger vom Nulltarif. Öffentlicher Nahverkehr muss preiswert, einfach und gut sein. Kein Mensch nutzt den ÖPNV nur, weil es umweltfreundlich ist, man aber doppelt so lange unterwegs ist als mit anderen Verkehrsmitteln. Aber Umfragen zeigen, dass viele den ÖPNV als zu teuer empfinden.

Öffentlicher Nahverkehr muss preiswert, einfach und gut sein.

Daher haben wir im Verkehrsverbund Stuttgart die Ticketpreise um 25 bis 40 Prozent gesenkt und die Tarifzonen drastisch vereinfacht. Die Leute müssen das Gefühl haben, dass das Angebot kostengünstig ist. Dann nehmen sie es auch an.

Zu Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie gesagt, dass die Menschen Mobilität neu denken sollen. Haben Sie dieses Ziel erreicht?

Ich denke: ja. Am Anfang meiner Amtszeit hieß es immer: Herr Minister, wir brauchen eine neue Straße. Heute höre ich immer öfter, dass es ein neuer Radweg oder mehr ÖPNV sein soll. In Neckarsulm zum Beispiel gaben Audi und Lidl, die beiden größten Arbeitgeber, eine Studie in Auftrag, weil es immer Stau gab. Sie wollten neue Straßen. Ich habe dann gefragt, ob es Radwege gibt und ob die Züge zu den richtigen Zeiten fahren. Das war nicht der Fall.

Im Gespräch entstand dann ein Mobilitätspakt, den wir dann auch mit anderen großen Firmen umgesetzt haben: Wir analysieren die Probleme und mit welchen Mitteln wir sie verkehrsträgerübergreifend lösen können. Firmen wie Audi oder Lidl können nicht Verkehrsprobleme produzieren und dann vom Staat verlangen, dass er die Probleme löst. Alle stehen in der Verantwortung.

Wie sollte künftig mit Fahrverboten wegen Umweltbelastung umgegangen werden?

Wenn man Grenzwerte hat, muss man auch dreckige Fahrzeuge aus betroffenen Städten fernhalten. Das haben wir getan. Viele Leute haben ihre Autos ausgetauscht. Außerdem wurden Tempolimits auf den betroffenen Strecken verschärft und Fahrspuren zu Gunsten von Bussen weggenommen.

Wenn man Grenzwerte hat, muss man auch dreckige Fahrzeuge aus betroffenen Städten fernhalten.

Die Folge unserer Politik ist, dass wir Ende 2020 wahrscheinlich nur noch in Stuttgart eine Messstation haben, wo wir die Grenzwerte knapp überschreiten, und zwar bei Stickoxiden. Bei Feinstaub sind wir schon seit zwei Jahren clean.

Gerade wird eine neue Abgasnorm vorbereitet, Euro 7. Wie hart sollte die Regulierung werden?

Wir hatten dazu vor kurzem einen intensiven Austausch mit Experten, um dieses komplexe Thema angesichts der undifferenzierten öffentlichen Debatte fachlich aufzuarbeiten. Bei dem Gespräch bestand Einigkeit, dass der vorliegende Entwurf zu Euro 7 nicht das Ziel hat, den Verbrennungsmotor abzuschaffen.

Es muss nun geklärt werden, unter welchen Bedingungen die Abgasreinigung bestmöglich funktioniert. Wir haben ein hohes Interesse daran, diese Fragen zu klären und geben deshalb dazu auch eine Studie in Auftrag.

Passiert bei Nachrüstungen genug? Und wer soll sie bezahlen?

Da passiert zu wenig, und das ärgert mich. Wir haben mit dem ADAC eine Untersuchung zu dem Thema gemacht, auch wenn das eigentlich Sache des Bundes gewesen wäre. Sie hat gezeigt, dass das geht.

Leider hat der Bund durch seinen Verzicht auf die blaue Plakette, also eine schärfere Abgasnorm, kein Drohpotenzial mehr, um die Autoindustrie zu Nachrüstungen zu bringen. Immerhin haben Daimler und VW ihren Kunden angeboten haben, bis zu 3000 Euro für die Nachrüstung zu übernehmen. Aber wer so viele Rechtsbrüche im Bereich der Abgasreinigung begangen hat, ist der eigentliche Verursacher der schlechten Luft und der Fahrverbote.

Die Grünen haben ein Ende des Autobahnbaus in Deutschland ins Gespräch gebracht. Gibt es genug von ihnen?

Im Prinzip ja, Deutschland ist erschlossen. Es gibt nur noch ganz wenige Ecken, wo noch kleine Stücke fehlen. Wir haben uns als Landespolitiker dafür eingesetzt, überlastete, unfallträchtige Trassen, die ständig Staus produzieren, auszubauen. Das ist unsere pragmatische Alternative zum Neubau.

Welchen CSU-Politiker wünschen Sie sich nach der Bundestagswahl als Verkehrsminister?

Die CSU hatte lange genug bewiesen, dass sie Bundesverkehrsminister nicht kann. Sondern dass sie bayerische Lobby-Politik macht. Dabei ist Andreas Scheuer im Vergleich zu seinen Vorgängern schon ein deutlicher Fortschritt. Die Grünen werden alles tun, das Verkehrsministerium zu übernehmen, damit endlich eine Verkehrswende-Politik gemacht werden kann.