"Der Bürokratie-Abbau kommt einfach nicht"

Portrait von Peter Hübner im Interviewformat
Im Interview: Peter Hübner, Präsident des Bauindustrie-Hauptverbands und Strabag-Vorstand© www.MUENSTER.PICTURES

Peter Hübner ist Präsident des Hauptverbands der deutschen Bauindustrie. Hauptberuflich ist er Vorstand der Deutschland-Tochter der Strabag, einem der größten Baukonzerne Europas. Im Interview spricht er über seinen Kampf mit der Bürokratie, unrealistische Kostenschätzungen und Autobahn-Baustellen ohne Bauarbeiter.

ADAC Redaktion: Fachkräftemangel, klagende Anwohner, steigende Materialkosten – macht es noch Spaß, für den Staat Straßen zu bauen?

Peter Hübner: Alles in allem macht es Spaß. Aber es könnte vieles einfacher sein, der Staat macht es sich und uns schwer: Die Bürokratie schränkt uns unglaublich ein. Man spricht immer von Bürokratie-Abbau, aber der kommt einfach nicht. Außerdem haben wir bei allen staatlichen Aufträgen einen reinen Preiswettbewerb: Das günstigste Angebot gewinnt. Qualität oder Innovationen spielen eine untergeordnete Rolle.

Abgesehen von der Bürokratie – was macht noch Probleme?

Da ist erst mal die Fachlos-Vergabe. Die öffentliche Hand muss jedes Gewerk getrennt ausschreiben. Bei einer Autobahn baut ein Unternehmen die Strecke, andere bekommen den Zuschlag für Schutzplanken, Markierungen und Beschilderung. Alles greift ineinander, es gibt unendliche viele Schnittstellen. Und koordinieren müssen das die Ämter. Wenn wir das alles in der Hand hätten, könnten wir das mit den Unternehmen, die uns zuarbeiten, selbst abstimmen.

Was lässt sich an der Planung von Infrastruktur verbessern?

Wenn wir mit einem Projekt beauftragt werden, dann ist die Planung des Bauvorhabens schon fertig. Man könnte sicher 15 bis 20 Prozent an Zeit und Geld einsparen, wenn wir früher beteiligt wären, unser Know-how an früherer Stelle einfließen lassen könnten.

Bei Brücken ist es am auffälligsten. Da ist es wirklich nicht nötig, dass jede anders aussieht. Ich denke dabei nicht an die großen Rhein-Querungen oder Mega-Talbrücken, sondern an die Masse der Brücken. Das sind Durchlässe für Gemeindeverbindungsstraßen, Feldwege oder kleinere kommunale Straßen. Die müssen nicht architektonisch gestaltet sein. Wenn man da zu einer größeren Standardisierung käme, würde das das Verfahren unglaublich vereinfachen.

Die Kostenschätzungen für Großprojekte sind zum Zeitpunkt, zu dem sie kommuniziert werden, schon veraltet.

Peter Hübner, Präsident der Bauindustrie

Große Projekte laufen kostenmäßig immer wieder völlig aus dem Ruder, aktuell die zweite S-Bahn-Stammstrecke in München. Wie kann das sein? Wer lügt sich da in die Tasche?

Alle. Natürlich in erster Linie der, der sie beauftragt. Projekte wie die Stammstrecke in München müssen politisch durchgesetzt werden. Und wenn von vorneherein klar wäre, was es kostet, würde eventuell noch mal darüber nachgedacht.

Außerdem provoziert jede Verzögerung bei solchen Projekten einen Anstieg bei Material- und Baukosten. Schließlich sind die Kostenschätzungen zum Zeitpunkt, zu dem sie kommuniziert werden, von anno dazumal.

Und es gibt kein Risikobudget, weil der Rechnungshof das nicht zulässt. Die Stammstrecke ist ein gutes, aber gleichzeitig ein schlechtes Beispiel. Das ist ein unvorstellbar komplexes Projekt: Wenn man mitten durch die Stadt einen Tunnel gräbt, weiß man vorher einfach nicht genau, was einen da erwartet. Da hilft auch die beste Planung nichts.

Eigentlich sollte man die Kostenschätzungen also gar nicht ernst nehmen?

Im Grunde genommen kann man bei großen, komplexen Projekten die Kostenschätzungen nur als grobe Richtung sehen. Aber: Man braucht Zahlen, um das Projekt durchzubekommen und im Haushalt abzubilden. Ein tolles Beispiel ist die Elbphilharmonie. Hätte vorher jemand gewusst, dass die 750 Millionen Euro kostet, wäre sie nicht gebaut worden. Heute freuen sich alle, dass es sie gibt.

Aber es geht auch anders. Wenn man die A49 in Hessen oder die A3 zwischen Biebelried und Erlangen/Fürth nimmt, sieht man, dass es auch ohne hohe Kostenüberschreitungen geht. Die Bauindustrie hat das zum Fixpreis angeboten.

Reicht das Geld im Bundeshaushalt für die Sanierungen, die anstehen?

Bis zum 24. Februar 2022 hätte ich Ihnen gesagt: ja. Aber mit Beginn des Ukraine-Kriegs hat sich die Welt verändert. Keiner hat mit so unglaublichen Kostensteigerungen gerechnet. 16 bis 17 Prozent haben wir im Bausektor davor noch nie gehabt.

Es scheint nicht genügend baureife Projekte zu geben, weil man mit den Planungen nicht hinterherkommt.

Peter Hübner, Präsident der Bauindustrie

Welche Folgen hat das?

400 Bauwerke hat sich das Verkehrsministerium für Sanierung oder Neubau vorgenommen. Das wäre wünschenswert. Aber 2023 wird mit Sicherheit allein aus Gründen der Budgets 20 Prozent weniger gebaut als 2022. Außerdem scheint es nicht genügend baureife Projekte zu geben, weil man mit den Planungen nicht hinterherkommt.

Wir berichten immer wieder über die seit einem Jahr gesperrte Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid. Gerade wird dort die Sprengung vorbereitet. Könnten Sie oder ein anderes Unternehmen sofort übernehmen, wenn der Anruf aus dem Verkehrsministerium kommt?

Wir stehen bereit. Aber man muss die Verfahren abkürzen. Was machbar ist, hat man bei den LNG-Terminals gesehen. Das passiert in Lüdenscheid nicht. Obwohl das eine Notsituation ist, feilscht man dort um 10.000 oder 100.000 Euro Entschädigung für betroffene Eigentümer, die vom Neubau betroffen wären.

Die Koalition hat sich vorgenommen, Planungen zu beschleunigen. Gibt es Fortschritte?

Es geht in die richtige Richtung. Aber es ist, als ob Sie von München nach Starnberg mit dem Bobby-Car fahren. Sie werden irgendwann ankommen, aber das Tempo ist unerträglich. Ich glaube, wir sind beim achten Planungsvereinfachungsgesetz. Was theoretisch machbar ist, noch mal, zeigt das LNG-Terminal. Ansonsten scheitern wir an der Bürokratie. Wenn Sie die Unterlagen für Planfeststellungen mit denen vor 30 Jahren vergleichen, haben die den 100-fachen Umfang.

Machen das andere besser? Zum Beispiel Österreich, wo Ihr Unternehmen seine Zentrale hat?

Österreich ist mit der Gründung der Asfinag vor 40 Jahren schneller ins Laufen gekommen. Die Autobahngesellschaft GmbH (betreibt seit 2021 die deutschen Autobahnen, die Redaktion) ist zwar auf dem richtigen Weg. Für mich ist das aber wie eine Gesamtschule: Aus manchen Bundesländern sind ein paar Gymnasiasten und aus anderen ein paar Hauptschüler reingekommen. Jetzt muss man alle auf ein vernünftiges, schlankes Niveau bringen und die Prozesse standardisieren. Das ist nicht so einfach.

Die unerträglichen bürokratischen Hürden erzeugen für die planenden Behörden einen kaum darstellbaren Aufwand.

Peter Hübner, Vorstand der Bauindustrie

Wo ist bei der Autobahn GmbH das Bobby-Car auf dem Weg von München nach Starnberg?

Es ist nicht die Autobahn GmbH an sich. Es sind die unerträglichen bürokratischen Hürden, die für die planenden Behörden einen kaum darstellbaren Aufwand erzeugen. Beim Abbau der Bürokratie sind wir, um Ihre Frage zu beantworten, noch nicht sehr weit vom Marienplatz in München weggekommen.

Gehen Sie davon aus, dass die großen Sanierungsprojekte bei der Bahn, unabhängig von den Kosten, pünktlich fertig werden?

Die Sanierungsmaßnahmen der Bahn laufen so lala. Aber gut ist, dass man sich jetzt darauf verständigt hat, einige Korridore in den Fokus zu nehmen, die man dann ein halbes Jahr sperrt und grundsaniert. Ein Problem bei der Bahn ist, dass Strecke, Schienen, Schwellen, Schotter, Rohrleitungen, Signale und andere Dinge unterschiedliche Unterhaltungs-Rhythmen haben. Das packt man bei der Korridorlösung alles auf einmal an. Ich halte das für sehr sinnvoll.

Sie haben die Schwierigkeiten bei der Planung von Autobahnen beschrieben – wie sieht es bei der Schiene aus?

Die Bahn ist für uns ein großer Auftraggeber. Da stehen viele Investitionsmittel zur Verfügung, und es gibt tolle Maßnahmen, von denen 80 Prozent gut laufen. Aber 20 Prozent der Projekte laufen nicht oder extrem schlecht. Das liegt an schlechter Vorerkundung, mangelhafter Abstimmung mit betroffenen Anliegern oder weiteren Verkehrsträgern – und in der Konsequenz dann an schlechter Planung.

In Deutschland kommt man immer wieder an Baustellen vorbei, wo kein Mensch zu sehen ist, der arbeitet. Rufen Sie dann beim verantwortlichen Strabag-Mitarbeiter an?

Das mache ich selten.

Aber warum sind so viele Baustellen denn verwaist?

Natürlich fragt man sich bei langen Autobahnbaustellen manchmal, warum so wenig Bauleute zu sehen sind. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen liegt das am geplanten Bauablauf. Wenn Sie zum Beispiel eine Betonautobahn bauen, braucht der Betondeckenfertiger für zehn Kilometer ungefähr zwei Wochen.

Die Vorbereitungen für diese Arbeiten dauern jedoch Monate, in denen diverse Kolonnen an einzelnen Stellen an Entwässerung oder Erdbau arbeiten. Oft ist eine Autobahn auch fertig gebaut, aber noch nicht freigegeben, weil die Aufträge für weitere Leistungen wie Schutzplanken, Markierung oder Beschilderung vom öffentlichen Auftraggeber noch nicht ausgelöst wurden.

Hier sind wir wieder bei der Fachlosvergabe. Würden die Straßenbauunternehmen mit einem Generalunternehmervertrag beauftragt, könnten die verschiedenen Unternehmen wesentlich früher mit ihren Arbeiten beginnen. Darüber hinaus wäre es hilfreich und würde die Gesamtbauzeit verkürzen, wenn das Bauunternehmen schon sehr früh, am besten bei Angebotsabgabe, in die Planung einbezogen würde. Denn: Wenn wir von Anfang an mitplanen, planen wir auf größtmögliche Effizienz – das schlägt sich auch auf den Faktor Zeit nieder.