Auffahrunfall – wer haftet?

ein Auffahrunfall von zwei Autos
Wer auffährt, hat Schuld – bei plötzlicher Vollbremsung des Vordermanns kann das anders aussehen© Shutterstock/Robert Crum

Ein Auffahrunfall ist keine Seltenheit. Meist reicht schon ein unachtsamer Moment, ehe es knallt und der Hintermann auf den Vordermann auffährt. Wer trägt die Kosten? ADAC Juristinnen und Juristen informieren.

  • Der Auffahrende ist nicht immer schuld

  • Wer ohne Grund plötzlich bremst, haftet regelmäßig mit

  • Ging ein Spurwechsel voraus, kann der Vordermann zu 100 Prozent haften

Broschüre mit Unfallbericht: Was tun nach einem Unfall?
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Wer ist eigentlich schuld nach einem Auffahrunfall? Nicht immer hat der Auffahrende Schuld – auch wenn sich viele auf den sogenannten Anscheinsbeweis berufen. Aber was ist eigentlich der Anscheinsbeweis beim Auffahrunfall?

Anscheinsbeweis: Der Auffahrende hat Schuld

Bei einem Auffahrunfall geht man aufgrund des sogenannten Anscheinsbeweises davon aus, dass der Auffahrende Schuld hat, weil er:

  • den erforderlichen Sicherheitsabstand zum Vorfahrer nicht eingehalten,

  • seine Fahrgeschwindigkeit nicht angepasst hat oder

  • unaufmerksam oder abgelenkt war.

Etwas anderes gilt nur, wenn der Vorfahrende ohne triftigen Grund und nicht verkehrsgerecht abgebremst hat und der Hintermann dies auch beweisen kann.

Auffahrunfall auf dem Tankstellengelände: Wer ist aufgefahren?

Auffahrunfall auf dem Tankstellengelände: Wer zahlt den Schaden, wenn sich nicht klären lässt, wer wem aufgefahren ist? Ein Urteil des Amtsgerichts München.

Der Fall: Auf einem Tankstellengelände ereignete sich ein Auffahrunfall. Eine Autofahrerin hatte bei der Tankstellenausfahrt gebremst, um den Verkehr vorbeizulassen. Es kam zum Zusammenstoß mit dem dahinterfahrenden Auto. Die Autofahrerin behauptete, das andere Auto sei von hinten aufgefahren.

Auffahrunfall: Streit um Schuld

Die Insassen des hinteren Autos argumentierten, beide Fahrzeuge hätten erst gestanden. Der Wagen der Frau habe dann plötzlich zurückgesetzt und sei rückwärts gegen das hintere Auto gefahren. Die Haftpflichtversicherung des hinteren Fahrzeugs bezahlte den Schaden am vorderen Auto zu 50 Prozent. Die Fahrerin verlangte jedoch weiteren Schadenersatz von gut 1800 Euro und klagte.

Nicht zu klären: Wer ist wem aufgefahren?

Das Amtsgericht München entschied, die Klägerin habe keinen weiteren Schadenersatzanspruch, es sei nicht aufklärbar, wer gegen wen gefahren ist. Denn die Parteien blieben bei ihren Behauptungen. Und ein Sachverständiger führte aus, der Unfallhergang sei nicht aufklärbar, da beide Unfallversionen möglich seien.

Schaden wird geteilt

Daher stehe Aussage gegen Aussage, für keine der beiden Parteien spreche ein sogenannter Anscheinsbeweis. Beide Zeugen machten einen glaubhaften Eindruck, das Gericht hielt beide Versionen für möglich. Daher nahm das Gericht eine hälftige Teilung der Haftung an. Nachdem die Klägerin schon die Hälfte ihres Schadens von der gegnerischen Versicherung erstattet bekommen hätte, habe sie keinen Anspruch auf weitere Zahlungen, so das Gericht.

AG München, Urteil vom 27.11.2023, Az.: 336 C 6248/22 (Hinweis: Das Urteil ist rechtskräftig)

Bremsen wegen Tier auf der Straße

Das Landgericht Duisburg hat bei einem Auffahrunfall entschieden, bei dem der Vorausfahrende plötzlich wegen eines Vogels auf der Fahrbahn gebremst hatte. Das Landgericht kam hier zu einer Haftungsverteilung von 70 zu 30 Prozent. Generell wird bei Kleintieren auf der Straße kein triftiger Grund für das Abbremsen angenommen: Auch das Bremsen wegen eines Eichhörnchens und einer Taube wurde in der Rechtsprechung zu Lasten des Vordermannes gewertet.

Vollbremsung aus heiterem Himmel

Aber auch bei einer grundlosen Vollbremsung kann der Hintermann mithaften. So entschied es das Landgericht Saarbrücken: Als Autofahrer müsse man grundsätzlich nicht mit einer plötzlichen Vollbremsung auf freier Strecke rechnen. Die Einhaltung des Sicherheitsabstandes diene jedoch gerade dazu, durch rechtzeitiges Bremsen ein Auffahren zu vermeiden. Wurde also der erforderliche Sicherheitsabstand nicht vollends eingehalten, trägt der Hintermann die Hälfte der Schuld.

Noch ein Urteil: Auffahrunfall nach grundlosem Abbremsen auf der Autobahn

Bremslichter des Vordermannes defekt

Die Haftung des Auffahrenden kann allerdings dadurch ausgeschlossen oder vermindert sein, dass die Bremslichter des vorausfahrenden Fahrzeugs nicht funktionieren.

Spurwechsel ging voraus

Ähnlich verhält es sich bei einem vorherigen Spurwechsel: In einem solchen Fall kann sogar von einer 100-prozentigen Haftung des Vorfahrers ausgegangen werden, wenn z.B. der Vordermann infolge eines Überholvorganges kurz vor dem Hintermann einschert.

Abbremsen vor Ampel

Kommt ein Fahrzeug zum Stillstand, weil die Ampel von Grün auf Gelb umschaltet, liegt nach der Rechtsprechung ein verkehrsgerechtes Abbremsen vor. Der Hintermann muss den gesamten Schaden allein tragen, da er beim Umschalten der Ampel mit einem plötzlichen abrupten Bremsen des Vorausfahrenden rechnen muss.

Fahrschulauto voraus

Auch beim Auffahren auf ein Fahrschulauto trifft den Hintermann die Schuld: Jeder Verkehrsteilnehmer, der einem Fahrschulfahrzeug folgt, muss mit plötzlichen und sonst nicht üblichen Reaktionen rechnen und seine Fahrweise darauf einstellen, urteilte das Landgericht Saarbrücken. Das grundlose Abbremsen oder auch Abwürgen des Motors gehöre zu den typischen Anfängerfehlern eines Fahrschülers.

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Massenkarambolage (Kettenunfall)

Bei Massenunfällen ist es oft unmöglich, den Unfallhergang eindeutig nachzuvollziehen. Deshalb greifen hier andere Regeln bei der Schadensregulierung als bei einem normalen Unfall. Die meisten Versicherungen regulieren seit 2015 freiwillig nach einem vereinfachten Verfahren. Die eigene Kfz-Haftpflichtversicherung übernimmt dabei den ganzen Schaden ihres Versicherungsnehmers – unabhängig von der Schuldfrage. Der Schadenfreiheitsrabatt bleibt gleich.

Ob ein Massenunfall vorliegt und das vereinfachte Verfahren abgewendet wird, entscheidet ein Gremium des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Es gibt drei Voraussetzungen: Es konnte kein Verursacher festgestellt werden, es waren mehr als 40 Fahrzeuge beteiligt (ist der Hergang schwer nachzuvollziehen genügen 20), und die Unfälle müssen in einem "engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang" stattgefunden haben.

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Vorsicht bei Anhängerkupplung

Eine vorhandene Anhängerkupplung kann beim Auffahrunfall den Schaden an beiden Fahrzeugen vergrößern. Aufgrund dessen kann eine abnehmbaren Anhängerkupplung, die nicht demontiert wurde, zu einer Mithaftung des Vordermannes führen. Dieser Einwand wurde bislang zwar noch nicht von den Gerichten entschieden. Eine Anhängerkupplung sollte – sofern möglich – dennoch entfernt werden, um eine Vergrößerung des Fremd- sowie Eigenschadens zu vermeiden.