AD(H)S: Diagnose, Symptome und Risiken im Auto
AD(H)S betrifft laut Robert Koch-Institut rund 5 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland und ist damit eine der am häufigsten diagnostizierten psychischen Störungen bei Heranwachsenden.
Bei Frauen seltener
Medikamente im Straßenverkehr erlaubt
Erhöhtes Risiko für schwere Unfälle
Ob für Kinder oder Erwachsene, ADHS kann zu einer Belastung im Alltag, im Straßenverkehr und im sozialen Umfeld werden. Wie kann die Störung erkannt werden, und was bedeutet eine Diagnose für Autofahrende?
ADHS-Symptome
Das Gesundheitsministerium führt drei Kernsymptome bei ADHS auf: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Eine ADHS-Diagnose bezeichnet eine besonders starke Ausprägung dieser Verhaltensmuster. Um genauer differenzieren zu können, müssen weitere Kriterien erfüllt werden: Die Beeinträchtigung beeinflusst mehrere Bereiche des Lebens, sie ist bereits im Kindesalter zu beobachten, und sie besteht seit mehr als einem halben Jahr. Im Verlauf des Lebens verändert sich die Symptomatik bei vielen. Die Hyperaktivität kann beispielsweise im Erwachsenenalter abnehmen.
ADHS und ADS
Der Begriff ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Eine Ausprägung, bei der kein oder nur geringfügiges hyperaktives Verhalten beobachtet werden kann, wird als ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) bezeichnet.
Unterschiede zwischen Frauen und Männern
ADHS wird bei Jungen und männlichen Jugendlichen mehr als viermal so häufig diagnostiziert wie bei Mädchen. Im Erwachsenenalter gleicht sich das wieder aus: Das Geschlechterverhältnis liegt weltweit bei 2 zu 1 (Männer zu Frauen). Grund für diesen Unterschied sehen Forschende in unterschiedlichen Erscheinungsbildern. Weibliche Betroffene haben häufiger ADS, sind daher ruhiger, eher in sich gekehrt und unauffälliger. Gerade in der Schulzeit fallen junge Männer mit ADHS stärker auf, ihre hyperaktiven Züge sind leichter zu erkennen. Die Tests zur Diagnose sind außerdem stärker auf das männliche Erscheinungsbild ausgelegt.
So verläuft die Diagnose
Eine Diagnose erfolgt in der Regel durch Ärztinnen und Ärzte der Fachrichtungen Psychiatrie oder durch Psychologen und Therapeuten. Die Klassifikationssysteme DSM-5 und ICD-10 dienen den Experten als Leitfaden. Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit listet verschiedene Kriterien der beiden Diagnosesysteme.
Ein Befund und der Erfolg einer Therapie sind häufig kompliziert, da 75 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen weitere psychische Störungen entwickeln (komorbide Störung). Eine frühe Behandlung kann diesem Effekt jedoch entgegenwirken.
AD(H)S: Ursachen und Entstehung
Eine genaue Ursache für die Erkrankung ist noch nicht bekannt. Forschende sehen genetische Faktoren als zentralen Bestandteil von AD(H)S. Bestätigt ist das Ungleichgewicht von Neurotransmittern in den Nervenzellen. Komplikationen während der Schwangerschaft oder der Geburt stehen nachweislich im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko, an AD(H)S zu erkranken. Auch Umwelteinflüsse können eine Rolle spielen. Insbesondere das familiäre und das schulische Umfeld können sich negativ wie positiv auf den Verlauf auswirken.
Behandlungsmöglichkeiten
Nach Beratung und Diagnose bietet sich eine Verhaltenstherapie als Behandlung der Kernsymptome an. Eine mangelnde Balance von Neurotransmittern im Gehirn kann durch eine medikamentöse Therapie eingedämmt werden. Am häufigsten findet der Wirkstoff Methylphenidat Anwendung, der unter das Betäubungsmittelgesetz fällt.
Bei 70 bis 80 Prozent der Kinder wirkt der Wirkstoff beruhigend, lindert Unaufmerksamkeit und führt gleichzeitig zu einer verbesserten Konzentrationsleistung. Die Wirkung des seit 1954 genutzten Arzneimittels wurde durch eine Vielzahl von Studien nachgewiesen. Auch die langfristige Einnahme wurde mehrfach untersucht. Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit hat in Kooperation mit der EU eine Studie zur Langzeitbehandlung mit Methylphenidat veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass der Wirkstoff keine Risiken oder körperlichen Beeinträchtigungen birgt. In Einzelfällen konnte ein leichter, nicht gesundheitsschädlicher Anstieg des Blutdrucks und der Pulsfrequenz festgestellt werden.
AD(H)S im Straßenverkehr
Bei erwachsenen AD(H)S-Betroffenen ist die Wahrscheinlichkeit, einen schweren Autounfall zu haben, im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht. Das gesteigerte Unfallrisiko lässt sich mit Ablenkbarkeit, mangelnder Impulskontrolle und einer höheren Risikoakzeptanz erklären. Stimulanzien können das krankheitsbedingte Risiko nachweislich reduzieren. Die Einnahme solcher Medikamente ist legal: Das Fahren unter Einfluss von beispielsweise Methylphenidat ist erlaubt, wenn die Einnahme entsprechend der ärztlichen Verordnung erfolgt. In einer Verkehrskontrolle, könnte ein Drogen-Schnelltest trotzdem positiv ausfallen.
Ärztliches Fahrverbot ist bindend
Attestiert die Ärztin oder der Arzt eine Fahruntauglichkeit aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen – wenn auch nur zeitweise –, müssen Verkehrsteilnehmende dem nachkommen. Das "ärztliche Fahrverbot" ist nicht gleichzusetzen mit einem vom Gericht oder der Fahrerlaubnisbehörde verhängten Fahrverbot.
Wer jedoch gegen das ärztliche Fahrverbot verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit, wenn er oder sie trotz fehlender Fahrtauglichkeit fährt, und macht sich (z.B. bei einem Unfall) strafbar, wenn andere Personen dadurch gefährdet werden. Bei einem Unfall drohen Geld- und sogar Freiheitsstrafen, wenn jemand verletzt oder im schlimmsten Fall getötet wird. Zudem kann die Kfz-Haftpflichtversicherung bereits an die Unfallgeschädigten ausgezahltes Geld zurückfordern; die Kaskoversicherungen können Leistungen kürzen oder verweigern.
Was bedeutet das für Betroffene?
Es besteht keine Pflicht, einen Nachweis über das verschriebene Medikament und die Erkrankung mit sich zu führen. Die ADAC Juristin Anabel Greefe rät Betroffenen: "Auch wenn es keine Nachweispflicht gibt, kann es dennoch sinnvoll sein, eine Bestätigung dabei zu haben. Gegebenenfalls kann hierdurch die Verkehrskontrolle schneller beendet und die Weiterfahrt angetreten werden."
Gibt es allerdings Anhaltspunkte für eine Drogenfahrt, kommt es in der Regel zur Blutentnahme, der Führerschein wird erst einmal einbehalten und die Weiterfahrt untersagt. Die Blutanalyse kann dann Aufschluss über den genauen Wirkstoff geben. Greefe: "Das Labor stellt im Zweifel fest, ob es sich um das verschriebene Medikament und nicht um eine illegale Substanz handelt. Bei Unsicherheiten sollte jedoch anwaltliche Beratung eingeholt werden."
Bundesministerium für Gesundheit: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/kindergesundheit/aufmerksamkeitsdefizitsyndrom.html (abgerufen am 04.12.24)
ADHS Infoportal: https://www.adhs.info/ (abgerufen am 04.12.24)
Robert Koch-Institut: https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/INTEGRATE_ADHD/INTEGRATE-ADHD_inhalt.html (abgerufen am 04.12.24)
MSD Manual: https://www.msdmanuals.com/de/profi/p%C3%A4diatrie/lern-und-entwicklungsst%C3%B6rungen/aufmerksamkeitsst%C3%B6rung-und-hyperaktivit%C3%A4t-adhd#Wichtige-Punkte_v8399030_de (abgerufen am 04.12.24)
Deutsches Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/archiv/186551/Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitaetsstoerung (abgerufen am 04.12.24)
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US Centers for Disease Control and Prevention: https://www.cdc.gov/adhd/data/index.html#:~:text=Boys%20(15%25)%20were%20more,than%20Asian%20children%20(4%25) (abgerufen am 04.12.24)
ADHS Deutschland e. V.: https://www.adhs-deutschland.de/adhs-adhs-ads/haeufigkeit, (abgerufen am 04.12.24)
Dirks, H., Scherbaum, N., Kis, B., & Mette, C. (2017). ADHS im Erwachsenenalter und substanzbezogene Störungen–Prävalenz, Diagnostik und integrierte Behandlungskonzepte. Fortschritte der Neurologie· Psychiatrie, 85(06), 336-344, https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0043-100763 (abgerufen am 04.12.24)
Jäger-Becker, D. (2021). Adulte ADHS bei Unfallopfern. InFo Neurologie+ Psychiatrie, 23(5), 49-49, https://link.springer.com/article/10.1007/s15005-021-1960-2 (abgerufen am 04.12.24)