Leverkusener Brücke: Teufelskreis bei Großprojekten muss überwunden werden!
Der Neubau der Leverkusener Brücke ist wieder ein Großprojekt, das nicht nach Plan läuft – ein herber Rückschlag für den Verkehr in Nordrhein-Westfalen. Der Worst Case wäre, wenn die alte Brücke vor Fertigstellung des ersten neuen Brückenteils komplett ausfallen würde.
Als die Leverkusener Brücke an der A 1 im Jahr 1965 eröffnet wurde, war sie ein Meisterwerk der Ingenieurkunst, geplant für 40.000 Kraftfahrzeuge pro Tag. Heute nutzen sie mehr als drei Mal so viele Kraftfahrzeuge. Insbesondere der Lkw-Verkehr hat in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund der guten konjunkturellen Lage stark zugenommen. Als die Brücke geplant wurde, wogen Lkw zudem maximal 20 Tonnen, heute sind 40 Tonnen die Regel. Ein Lkw belastet eine Straße ungefähr so sehr wie 60.000 Autos. Bei Brücken muss man sogar von noch höheren Belastungen ausgehen.
Das Problem betrifft nicht nur die Leverkusener Brücke. Allein in Nordrhein-Westfalen müssen in den nächsten Jahren 300 Brücken ersetzt werden. Dabei waren die Fakten schon lange bekannt. Experten haben bereits Anfang der 2000er Jahre in Gutachten geschrieben, dass Brücken und Tunnel der 60er und 70er bald saniert werden müssen.
Die Politik ist erst aufgewacht, als bei einer Routinekontrolle im Seilkasten der Leverkusener Brücke lange Risse entdeckt worden sind und die Brücke im späteren Verlauf für Lkw gesperrt werden musste. Verschärft wurde die Gesamtsituation durch strengere Vorgaben zur Berechnung der Traglast von Brücken (sog. „Nachrechnungsrichtlinie“).
Niemand weiß, wie lange die Leverkusener Brücke noch durchhält. Daher wurde 2016 eine Lkw-Schrankenanlage installiert, um ein Lkw-Fahrverbot (über 3,5 t) durchzusetzen und eine Vollsperrung zu verhindern. Mehr als 150 Lkw hatten pro Tag trotz Verbot die Brücke passiert und so für weitere Schäden gesorgt. Zum Lkw-Verbot gibt es somit keine Alternative. Sonst muss die Brücke vielleicht irgendwann komplett gesperrt werden, das wäre noch wesentlich schlimmer.
Die Landesregierung und Straßen.NRW drücken seitdem bei der Planung einer neuen Brücke aufs Gaspedal. Das muss man anerkennen, ist aber auch dringend notwendig. Sämtliche Maßnahmen zur Beschleunigung des Sanierungs- und Bauprozesses müssen genutzt werden, um die Beeinträchtigung für Anwohner, Lkw-Fahrer und Berufspendler in der Region so gering wie möglich zu halten. Denn die Leverkusener Brücke ist ein Nadelöhr für die gesamte Region und somit ein Projekt von nationaler Bedeutung. Jede Verzögerung des Neubaus verursacht volkswirtschaftliche Schäden in Millionenhöhe. Im Durchschnitt verursachen die Umwegfahrten rund 150 Euro Mehrkosten pro Lkw und Tag. Die staubedingten Kosten für Berufspendler sind hier noch gar nicht berücksichtigt.
Verzögerungen sorgen für fünf große Probleme
Seit Beginn der Bauphase gehört die alte Giftmülldeponie in Leverkusen auf der rechten Rheinseite zu den großen Risikofaktoren des Projekts. Seit dem 18. April 2020 ist in der Öffentlichkeit bekannt, dass schlecht verarbeiteter Stahl aus China den gesamten Ablauf des Projekts ins Wanken bringt. Die Verarbeitung des Stahls entspricht aus Sicht von Straßen.NRW nicht den geforderten deutschen Standards. Der Landesbetrieb hat daher den Vertrag mit der zuständigen Baufirma gekündigt. Es soll zeitnah zu einer Neuausschreibung kommen. Die damit verbundenen Verzögerungen sorgen für (mindestens) fünf Probleme:
Die Verkehrsprobleme in Leverkusen mit kilometerlangen Staus werden mindestens 18 Monate länger andauern. Die Nerven von Anwohnern, Berufspendlern und Transportunternehmern werden noch länger auf die Probe gestellt.
Für den Transitverkehr verschärft sich die Situation ab Januar 2022 nochmal. Dann muss auch die Fleher Brücke auf der nördlichen Ausweichroute in Düsseldorf wegen dringender Sanierungsarbeiten gesperrt werden. Die Sanierung der Mülheimer Brücke auf der südlichen Ausweichroute in Köln verzögert sich auch bis Sommer 2023. Es tritt ein, was man vorher verhindern wollte: Es wird noch enger auf NRWs Autobahnen.
Die Sanierung anderer Bauabschnitte des Autobahnrings (z. B. Heumarer Dreieck) verzögern sich.
Durch die Neuausschreibung sind aus drei Gründen deutliche Mehrkosten zu erwarten: Das sehr wahrscheinlich bevorstehende Gerichtsverfahren ist völlig offen. Die anfallenden Gerichtskosten durch den Streit mit dem gekündigten Baukonzern könnten in Teilen am Steuerzahler hängenbleiben. Die neue Baufirma wird vermutlich höhere Kosten ansetzen, um ihr Risiko entsprechend einzukalkulieren, und, weil unter anderem davon auszugehen ist, dass in der Ausschreibung eine Stahlproduktion in China ausgeschlossen wird. Zudem muss die Landesregierung mächtig Gas geben. Bauzeitverkürzungen wird sich das Bauunternehmen auch bezahlen lassen.
Die zeitlichen Verzögerungen durch die Neuausschreibung sind nicht klar abzuschätzen. Alle Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens und des gesamten Bauprozesses müssen genutzt werden und es dürfen keine unvorhersehbaren Verzögerungen mehr auftreten. Der Zeitrahmen mit geschätzten 18 Monaten Zeitverzug ist deshalb sehr ambitioniert.
Steckbrief Prof. Dr. Roman Suthold
Prof. Dr. Roman Suthold (48) ist seit 2004 beim ADAC und seit 2006 Leiter des Fachbereichs „Verkehr und Umwelt“ beim ADAC Nordrhein. Der gebürtige Kölner lehrt zudem als Honorarprofessor an der Hochschule Fresenius (Köln) zum Thema „Mobilitätsmanagement“ und ist als Lehrbeauftragter an der Hochschule Bochum („Verkehrssysteme und -konzepte“) tätig. Seine Spezialgebiete sind Mobilität in Ballungsräumen, kommunale Verkehrsplanung und Digitalisierung im Mobilitätsbereich.
Der Neubau der Leverkusener Brücke ist wieder ein Großprojekt, dass nicht nach Plan läuft. Nicht verwunderlich, denn hinter den Verzögerungen steht immer dasselbe Schema: Knallharter Wettbewerb sorgt für künstlich kleingerechnete Angebote. Am Ende ist das günstigste nicht mehr das wirtschaftlichste Angebot, weil Nachforderungen oder Insolvenzen Mehrkosten verursacht haben. Dieser Teufelskreis muss in Zukunft überwunden werden – durch eine Überarbeitung der Vergabeverfahren von Bauprojekten. Auftraggeber sollten nicht nur Kosten beachten, sondern auch eine stärkere Risikoabschätzung sollte bei der Bewertung der Angebote berücksichtigt werden. Dann kommt es auch nicht zu einem Desaster wie zuvor schon beim Flughafen Berlin-Brandenburg, dem Bahnprojekt Stuttgart 21 oder der Kölner Oper.
Die Haltbarkeit der alten Leverkusener Brücke ist ein Risikofaktor. Der Worst Case wäre, wenn die Brücke vor Fertigstellung des ersten neuen Brückenteils komplett ausfallen würde.
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