Rotlichtverstoß in der Praxis: Diese sechs Gerichtsurteile müssen Sie kennen

Ein Rotlichtverstoß ist eines der gefährlichsten Verkehrsdelikte. Wer eine rote Ampel missachtet, riskiert nicht nur Bußgeld und Punkte, sondern auch schwere Unfälle. Eine Sammlung wichtiger Urteile zum Thema Rotlichtverstoß.
Wann ein vorsätzlicher Rotlichtverstoß vorliegt
Was bei Stau auf der Kreuzung zu beachten ist
Ist ein Rotlichtverstoß mit einem SUV gefährlicher?
Bei Rot vor der Ampel warten, so lernt man es in der Fahrschule. Dennoch hat jeder Autofahrer schon Situationen erlebt, in denen er sich fragte, ob er einen Rotlichtverstoß begangen hat oder nicht. ADAC Juristinnen und Juristen haben sechs wichtige Gerichtsentscheidungen dazu zusammengestellt.
Bei Gelb noch schnell Gas geben
Wenn ein Autofahrer weit vor der Ampel bei Gelb Gas gibt, begeht er einen vorsätzlichen Rotlichtverstoß.
Der Fall: Ein Autofahrer fuhr in Berlin über eine Ampel, die schon von Grün auf Gelb umgeschaltet hatte. Er gab Gas. Die Ampel schaltete auf Rot, als der Autofahrer noch zwei bis drei Wagenlängen vor der Haltelinie war. Zwei Polizeibeamte beobachteten die Szene.
Das Urteil: Das Amtsgericht verurteilte den Autofahrer wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 200 Euro. Der Autofahrer habe die Ampel gesehen, extra beschleunigt und in Kauf genommen, bei Rot über die Haltelinie zu fahren. Der Autofahrer legte Rechtsbeschwerde ein.
Das Kammergericht (KG) Berlin bestätigte die Entscheidung. Das Amtsgericht dürfe annehmen, dass Autofahrer die gut sichtbare Ampel im Blick haben und wahrnehmen müssen, wenn sie auf Gelb springt. Zwei Polizeibeamte hätten gesehen, wie das Auto beschleunigte. Die Ampel sei schon auf Rot gesprungen, als es noch zwei bis drei Wagenlängen vor der Haltelinie war und immer noch beschleunigte.
Es stehe daher fest, dass der Autofahrer das Rotlicht ignoriert oder den Rotlichtverstoß zumindest billigend in Kauf genommen habe (sogenannter bedingter Vorsatz). Damit habe der Autofahrer nach Ansicht des Gerichts die rote Ampel vorsätzlich missachtet und müsse eine Verdoppelung des Bußgeldes hinnehmen.
KG Berlin, Urteil vom 24.6.2021, Az.: 3 Ws (B) 131/21
Rotlichtverstoß wegen Stau in der Kreuzung
Ein Autofahrer fährt bei Grün über die Haltelinie, muss aber verkehrsbedingt vor der Ampel stoppen. Darf er danach weiterfahren, wenn die Ampel auf Rot gesprungen ist, oder begeht er damit einen Rotlichtverstoß?
Der Fall: Ein Autofahrer war an einer Kreuzung bei Grün über die Haltelinie gefahren. 50 Zentimeter dahinter musste er wegen Rechtsabbiegern vor ihm anhalten. Die Ampel war noch vier Meter entfernt. Nachdem die Ampel auf Rot gesprungen war, scherte er nach links aus, um an den Fahrzeugen vor ihm vorbei zu fahren.
Das Urteil: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten verurteilte den Autofahrer wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 250 Euro und einem Fahrverbot von einem Monat. Dagegen legte der Mann Rechtsbeschwerde ein. Er argumentierte, er habe keinen Rotlichtverstoß begangen, sondern nur den Kreuzungsbereich geräumt.
Das Kammergericht Berlin bestätigte die Entscheidung. Rot ordne nach der Straßenverkehrsordnung an: "Halt vor der Kreuzung". Das habe der Autofahrer missachtet und damit einen Rotlichtverstoß begangen. Ein Verkehrsteilnehmender dürfe nach Beginn der Rotphase nicht weiterfahren, wenn er vor dem Kreuzungsraum aufgehalten werde.
KG Berlin, Beschluss vom 24.1.2022, Az.: 3 Ws (B) 354/21 - 122 Ss 155/21
Rotlicht: Darf die Polizei schätzen?
Gefährlicher Spurwechsel
Links einordnen und dann trotz roter Ampel geradeaus fahren: Wer an der Kreuzung so schneller vorwärtskommen will, begeht eine Ordnungswidrigkeit.
Der Fall: Eine Autofahrerin ordnete sich an einer Kreuzung auf der Linksabbiegerspur ein und hielt dort zunächst bei Rot an. Dann entschloss sie sich, doch geradeaus weiterzufahren. Sie vergewisserte sich, dass niemand von hinten kam und fuhr geradeaus über die Kreuzung. Die Ampel für die Geradeausspur hatte Grün. Das Amtsgericht Cottbus verurteilte sie wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 400 Euro und einem Fahrverbot von einem Monat. Die Frau legte Rechtsmittel ein.
Das Urteil: Das Oberlandesgericht Brandenburg bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Die Autofahrerin habe einen Rotlichtverstoß begangen. Wer von einer Abbiegespur trotz roter Ampel in eine Kreuzung einfahre, begehe eine Ordnungswidrigkeit. Das gelte auch dann, wenn man auf einem Fahrstreifen weiterfahre, für den die Ampel grün ist.
Das Gericht nahm einen vorsätzlichen Rotlichtverstoß an. Das Verhalten der Autofahrerin sei gefährlich, auch wenn sie niemanden konkret gefährdet habe.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 14.4.2022, Az.: 2 OLG 53 Ss-OWi 462/21
Höheres Bußgeld für SUV-Fahrer?
Eine SUV-Fahrerin begeht einen Rotlichtverstoß. Sie muss ein erhöhtes Bußgeld zahlen – aber nicht wegen ihres Autos, sondern weil sie Voreintragungen hatte.
Der Fall: Eine Autofahrerin fuhr mit ihrem SUV über eine Ampel, die schon mehr als eine Sekunde rot war. Für so einen Rotlichtverstoß sieht der Bußgeldkatalog eine Regelbuße von 200 Euro vor, außerdem zwei Punkte und einen Monat Fahrverbot. Die Autofahrerin hatte bereits Voreintragungen im Flensburger Fahreignungsregister.
Das Urteil: Das Amtsgericht Frankfurt erhöhte die Geldbuße auf 350 Euro. Der Verstoß sei besonders gefährlich gewesen, weil er mit einem SUV begangen worden sei. Durch die kastenförmige Bauweise und hohe Front stelle ein SUV bei einem Unfall eine größere Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer dar als ein Durchschnittsauto.
Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt sah das anders. Die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelbuße dürfe nur erhöht werden, wenn der Einzelfall deutlich vom Normalfall abweiche. Der pauschale Verweis, der Rotlichtverstoß sei mit einem SUV begangen worden und deshalb gefährlicher, reiche für die Erhöhung der Geldbuße nicht aus. Von der Fahrzeugkategorie SUV könne man nicht generell auf eventuelle Gefahren schließen.
Die Autofahrerin kam trotzdem nicht günstiger davon. Denn nach Ansicht des OLG war das höhere Bußgeld wegen ihrer Voreintragungen gerechtfertigt. Sie hatte 13 Monate zuvor schon einmal einen Rotlichtverstoß begangen.
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 29.9.2022, Az.: 3 Ss-OWi 1048/22
Keine Verurteilung ohne Daten
Für eine Verurteilung wegen eines Rotlicht-Verstoßes muss das Gericht genau feststellen, wie lange die Ampel schon rot war und wann der Fahrer die Haltelinie überfahren hat. Fehlen diese Angaben, ist die Verurteilung unwirksam.
Der Fall: Ein Mann wurde wegen eines Rotlicht-Verstoßes zu einer Geldbuße von 200 Euro und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt. Das Amtsgericht nahm an, dass der Mann bei Rot über die Haltelinie gefahren war, und bezog sich dabei auf Daten des Messverfahrens, bei dem Induktionsschleifen unter der Fahrbahn eingelassen sind. Der Mann legte Rechtsbeschwerde ein.
Das Urteil: Das Oberlandesgericht Karlsruhe hob das Urteil auf. Die Feststellungen des Amtsgerichts seien für den Schuldspruch nicht ausreichend. Es hätte genaue Ausführungen zur technischen Ausgestaltung der Ampel und zur Lage von Haltelinie und Induktionsschleifen machen müssen. Außerdem fehle die Angabe, wie lange die Ampel schon Rot gezeigt hatte, als der Mann über die Induktionsschleifen fuhr. Denn nur so könne nachvollzogen werden, ob und wann der Mann bei Rot gefahren sei.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 7.5.2024, Az.: 3 ORbs 330 SsBs 218/24