Interview mit Polizist: "Aggression im Straßenverkehr ist männlich"
Das Klima auf den Straßen ist rauer geworden. Wer besonders häufig ausrastet, woher die Aggressionen kommen und was man dagegen tun kann. Interview mit Ernst Klein, dem Leiter der Verkehrsinspektion 1 der Kölner Polizei.
Ernst Klein (58) ist seit 42 Jahren Polizist und Dozent an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Wir sprachen mit ihm am Rande des Deutschen Verkehrsgerichtstags in Goslar, wo der erfahrene Polizeibeamte zu den Referenten im Arbeitskreis "Aggressivität im Straßenverkehr" gehörte.
ADAC Redaktion: Geht es im Straßenverkehr aggressiver zu als früher?
Ernst Klein: Das lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Aber wir alle merken, dass sich das Klima im Straßenverkehr, also der Umgang miteinander, verändert hat: weg vom früheren „Hallo, Partner, Dankeschön“ hin zu „Platz da, jetzt komme ich“!
Betrifft das nur die Autofahrer?
Nein, es sind alle Verkehrsteilnehmer! Nicht nur Autofahrer, sondern auch Radfahrer und Fußgänger. Die Umstellung der Mobilität nimmt in Großstädten rasant Fahrt auf, das Mobilitätsverhalten – gerade in den Städten – verändert sich, aber der Verkehrsraum wächst nicht mit. Das führt zu deutlich mehr Konflikten, sehr oft zwischen Autofahrern und Radfahrern, die häufig auf die Fahrbahn ausweichen müssen. Auch Fußgänger sind dünnhäutiger geworden. Die Frustrationstoleranz, also die Bereitschaft, Fehler der anderen zu ertragen, wird kleiner.
Haben Sie ein Beispiel bei Fußgängern?
Ja, etwa der Fußgänger, der an der roten Ampel stehen bleiben soll. Wenn ein Polizist in der Nähe ist, tut er das, weil er die Strafe fürchtet. Aber die Einsicht „Das dient meinem Lebensschutz“ fehlt. Wenn sich ein Pkw nähert und der Fahrer hupt, weil jemand die Straße bei Rot überquert, müssen Sie mal erleben, was da los ist. Wir hatten schon Fälle, wo Fußgänger auf Autofahrer losgegangen sind.
Haben Sie dafür eine Erklärung?
Ein Grund ist vor allem die Verdichtung des Lebens- und Verkehrsraums. In Deutschland sind ca. 57 Millionen Kraftfahrzeuge zugelassen, so viele wie noch nie. Dazu kommen Radfahrer, E-Scooter-Fahrer und andere. Das führt zu einer Neuverteilung des Raums, der ja nicht größer wird. Teilweise passiert das mit den Ellenbogen. Und dann entstehen genau diese aggressiven Reaktionen. Vielleicht kommt auch noch dazu, dass Radfahrer und Fußgänger für sich in Anspruch nehmen, dass sie nicht die „Umweltsünder“ sind und sich als die moralisch Besseren sehen.
„Der Verkehr wird dichter, die Menschen reagieren emotionaler “
Ernst Klein, Polizist und Dozent an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen
Also ist gar nicht mehr das klassische Rasen und Drängeln das Problem, sondern der Umgang aller Verkehrsteilnehmer untereinander?
Das ist es insbesondere in den Städten. Wo der Raum dichter wird, die Anfahrtszeiten durch Staus und dichten Verkehr deutlich länger sind, reagieren die Menschen sehr viel emotionaler. Und daraus entstehen oft Aggressionen. Wenn jemand morgens statt der geplanten zehn Minuten länger als eine halbe Stunde braucht, können Sie sich vorstellen, wie derjenige auf der letzten Meile stimmungsmäßig getaktet ist.
Macht die Aggression vor den Polizeibeamten halt?
Nein, die erleben wir jeden Tag. Meine Kollegen von der Mountainbike-Staffel berichten, dass immer öfter Widerstand geleistet wird, nicht nur verbal, sondern auch mit körperlicher Gewalt. Es kommt vor, dass wir jemanden zu Boden bringen müssen, um die Situation zu beruhigen.
Was kann man tun, damit das besser wird? Höhere Strafen?
Das Strafmaß muss angemessen sein. Deutschland ist zum Teil bei den Verwarnungsgeld-Sätzen für Verkehrsordnungswidrigkeiten ein Billigland. Die Schweiz und die Niederlande gehen da ganz anders zur Sache. Ich bin aber gar kein Fan von höheren Strafen, denn damit fördere ich nicht die Einsicht. Wir müssen erreichen, dass die Menschen erkennen, dass es im Straßenverkehr nur funktioniert, wenn wir Paragraf 1, Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung verinnerlichen: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme.“ Damit wäre viel gewonnen.
Wo rasten Autofahrer schnell aus?
Oft fängt das mit Kleinigkeiten an. Haben Sie mal einen Reißverschlussverkehr beobachtet? Es gibt Leute, die lassen keinen rein. Die fahren so dicht auf, dass keine Lücke entsteht. Und dann kommt von der Seite einer, der einfädeln will. Kollisionskurs! Da denke ich mir: Wenn du den anderen reinlässt, hast du was Gutes getan und fühlst dich anschließend viel besser. Stattdessen wird der andere mit Gesten oder verbal beleidigt. Das geht bis hin zu Körperverletzungen. Da steigen Menschen aus ihrem Auto aus und dreschen auf den anderen ein, weil einem das Verhalten nicht passt. Solche Fälle haben wir früher nicht gekannt.
Stimmt das Klischee, dass es überwiegend Männer mit PS-starken Autos sind, die aggressiv werden?
Grundsätzlich muss man schon feststellen, dass Aggression etwas Männliches ist. Wenn eine Frau mal laut wird oder eine Aggression entwickelt, tut sie das maximal im Auto. Frauen neigen nicht dazu, ihr Recht außerhalb des Autos zu verfolgen.
Brauchen wir mehr Kontrollen?
Auf jeden Fall. Die anlasslose Verkehrskontrolle, bei der die Fahrzeugpapiere sowie der Zustand des Fahrers und des Fahrzeugs überprüft werden, kennen die Leute gar nicht mehr. Weil uns das Personal fehlt. Ich wünsche mir, dass der Verkehrsbereich in der Polizei personell verstärkt wird.