Zwei Peugeot E308 SW stehen nebeneinander beim Laden

Die E-Autos kommen. Aber reicht der Strom?

Fast eineinhalb Millionen Elektroautos gibt es derzeit in Deutschland. Und es werden immer mehr.

Ein Elektroauto wird geladen, im Hintergrund sind Windkrafträder und blauer Himmel zu sehen

Schon jetzt drehen sich in Deutschland viele Tausend Windräder, und auf immer mehr Feldern breiten sich Photovoltaik-Anlagen aus.

Aber was passiert , wenn die Antriebswende so gelingt, wie es sich viele wünschen? Wenn irgendwann ein Großteil der Autos in Deutschland mit Energie aus der Steckdose versorgt werden müssen? Gibt es dafür dann ausreichend – und möglichst regenerativen – Strom?

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Terawattstunden Strom: So hoch wäre der zusätzliche Strombedarf in Deutschland, hätten alle Pkw einen Elektroantrieb.

Wären alle Pkw in Deutschland E-Autos, bräuchten sie mehr als 100 Terawattstunden Strom, immerhin ein Sechstel des kompletten deutschen Verbrauchs. Dennoch sind Fachleute gelassen. "Ich sehe kein Versorgungsproblem", sagt Mathias Müller, Leiter Verteilnetze und Elektromobilität bei der Forschungsstelle für Energiewirtschaft. Denn die Zahl der E-Autos wächst nur nach und nach.

Er rechnet vor: Zwei Millionen E-Fahrzeuge heben den Strombedarf in Deutschland um etwa 1 Prozent. Bei 15 Millionen angestrebten E-Autos bis 2030 wären es also sieben bis acht Prozent. "Die Erhöhung des Strombedarfs durch E-Fahrzeuge ist nicht so gravierend wie oft dargestellt", sagt Müller mit Blick auf die nächsten Jahre.

Unser Strom wird immer sauberer

Strom an sich macht Elektroautos aber noch nicht nachhaltig. Entscheidend ist, ob die Energie aus erneuerbaren Quellen stammt. Im Jahr 2022 traf das auf 49,8 Prozent zu, 43,5 Prozent der in Deutschland erzeugten Energie kamen aus fossilen Quellen, und 6,7 Prozent waren Kernenergie.

In den letzten 20 Jahren hat der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix aber deutlich zugenommen. Das dürfte sich fortsetzen. Bis 2030 soll der Stromverbrauch nach dem Willen der Bundesregierung zu 80 Prozent aus nachhaltigen Quellen stammen. "Insofern wird E-Mobilität automatisch immer sauberer", sagt Müller.

Offshore Windpark

Kniffliger als die Produktion des Stroms ist seine Verteilung: Die neuen Solaranlagen und Windkraftanlagen sind schließlich übers ganze Land verteilt. Und die Stromnetze sollen neben Elektrofahrzeugen künftig auch die Industrie in Gang und Wohnungen warm halten.

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Kilometer neue Stromleitungen sieht der aktuelle Bedarfsplan der Bundesregierung vor. Bis Ende März 2023 waren 2506 Kilometer fertig. 47 Kilometer davon kamen im ersten Quartal des Jahres 2023 dazu.

Die Herausforderung: Erneuerbare Energie wird oft an Orten produziert, an denen er gar nicht gebraucht wird – zum Beispiel auf hoher See, wo sich immer mehr Windräder drehen. Deshalb müssen die deutschen Stromnetze in den kommenden Jahren massiv ausgebaut werden.

Und auch vor Ort gibt es Handlungsbedarf: Denn wenn in einem Viertel viele E-Autos laden und zeitgleich Wärmepumpen heizen, droht eine Überlastung. "Die Netze müssen für die Energiewende ertüchtigt und an einigen Stellen ausgebaut werden", sagt Verteilnetz-Experte Müller.

Stromanbieter dürfen bald das Angebot drosseln

Mit Blick auf Elektromobilität sieht er zwar wenig Risiko: "Wir wissen aus Studien, dass maximal 30 Prozent der Elektroautos gleichzeitig geladen werden." Sollten in naher Zukunft Autos allerdings automatisch – und parallel – immer dann laden, wenn die Preise an Strombörsen am günstigsten sind, wären punktuelle Überlastungen denkbar.

Um sie zu vermeiden, plant der Gesetzgeber, dass Netzbetreiber ab 2024 die Stromnutzung in Spitzenzeiten drosseln können. Die Folge: Elektroautos würden dann langsamer laden. Stefan Gerwens, Leiter des Verkehrsressorts beim ADAC, hält das grundsätzlich für sinnvoll, vor allem bis die Netze in Deutschland ausgebaut und digitalisiert sind. "Aber Drosselungen dürfen nur eine Ausnahme zum Schutz des Netzes sein – von begrenzter Dauer und mit einer garantierten Mindestleistung."

Die Gefahr: Würden private Lademöglichkeiten unplanbar und längerfristig eingeschränkt, dürfte das viele verunsichern. Und am Ende auch die Ausbreitung der Elektromobilität verzögern.

Handwerker installieren auf einem Hausdach eine Photovoltaikanlage

Ganz besonders sauber und in vielen Fällen auch günstiger als vom Händler ist der Strom, wenn er von der Photovoltaik-Anlage vom eigenen Dach stammt.

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Millionen Solaranlagen gibt es derzeit in Deutschland. 2022 lieferten sie 57 Terawattstunden Strom – das waren 12 Prozent des Verbrauchs.

Versorgt man damit auch noch das eigene E-Auto, amortisieren sich die rund 20.000 Euro Anschaffungskosten einer Photovoltaik-Anlage sogar noch schneller. "Der Eigenverbrauch lohnt sich mehr als das Einspeisen ins Netz", sagt ADAC Photovoltaik-Experte Patrick Neuendorf. Wird beispielsweise anstelle von Netzstrom zu 30 Cent/kWh Solarstrom zu rechnerisch 10 Cent/kWh geladen, reduzieren sich die Fahrtkosten von 6 auf 2 Euro pro 100 Kilometer.

Mit E-Auto lohnt sich die PV-Anlage schneller

Je nach Größe der Anlage amortisieren sich die Einstandskosten laut Neuendorf nach 25 bis 30 Jahren bei normalem Haushaltsverbrauch, mit E-Auto kann das 10 bis 15 Jahre schneller gehen. Ein Stromspeicher kostet zwar zusätzlich etwa 7000 Euro, erhöht aber auch die Autarkie auf etwa 75 Prozent, wenn er Energie vom Tag für die abendliche Gerätenutzung abgibt. Für das Auto allerdings genügt die Kapazität der Speicher nicht. "Das Ziel muss daher sein, das Fahrzeug an der Wallbox so oft wie möglich tagsüber zu laden, idealerweise bei Sonnenschein", rät der Experte.

Die Möglichkeiten dazu steigen, seit viele häufiger zu Hause arbeiten. Je nach Nutzung und Lademöglichkeit kann ein E-Auto so die Hälfte der jährlichen Fahrleistung mit CO₂-freien und kostensparenden Sonnenkilometern zurücklegen – den dunklen Winter eingerechnet.

Ein Hyundai Ioniq 5 beim Laden

In Zukunft könnte ein stationärer Stromspeicher aber gar nicht mehr nötig sein. Denn leistungsfähiger als jede Speicherbatterie für Photovoltaik-Anlagen ist das E-Auto selbst.

Zumindest, wenn er wie neue Ioniq-Modelle von Hyundai für das bidirektionale Laden vorbereitet ist.

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Kilowattstunden Strom können die Batterien der meisten aktuellen E-Autos in der Basisversion speichern. Eine vierköpfige Familie braucht ungefähr elf Kilowattstunden am Tag.

Bis das bidirektionale Laden für alle Verbraucherinnen und Verbraucher sinnvoll ist, wird es aber noch eine Weile dauern. Die Chancen der Technik sind jedoch groß. Denn könnte die Batterie Strom an andere Geräte abgeben, ließen sich damit Zeiten überbrücken, in denen regenerative Energie fehlt.

Das Prinzip ist sowohl für zu Hause als auch zur Stabilisierung des Stromnetzes denkbar. Seit Kurzem gibt es auch eine Norm dazu. "In der Technologie steckt viel Potenzial, gerade mit Blick auf den schleppenden Netzausbau", sagt ADAC Strommarktexperte Sören Trümper.

Auch die Bundesregierung möchte Bidi-Laden voranbringen. Ob und wann es jedoch kommt, dürfte nicht zuletzt von den noch unklaren Rahmenbedingungen abhängen. "Bidirektionales Laden muss verbraucherfreundlich geregelt werden, damit es sich großflächig durchsetzt," so Trümper.

Batterie des Elektro VW T6

Um E-Mobilität wirklich attraktiv zu machen, braucht es aber vor allem reichweitenstarke Batterien. Denn nur sie können potentielle Umsteiger vom Verbrenner von ihrer Reichweiten-Angst befreien.

Batteriesystem

Die Aussichten dafür sind gut: Tatsächlich hat sich die Speicherkapazität in den letzten zehn Jahren verdoppelt, während der Preis um 90 Prozent gesunken ist.

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Kilometer Reichweite soll die neueste Batterie-Generation des chinesischen Herstellers CATL ermöglichen.

Und die Entwicklung geht weiter: Prof. Maximilian Fichtner, Direktor am Helmholtz-Institut für Elektrochemische Energiespeicherung in Ulm, verweist auf ein neues Fertigungsverfahren für Lithium-Ionen-Batterien. Es führt zu mehr Leistung, verwendet ungefährlichere Materialien und sorgt für niedrigere Preise.

So ermöglicht eine Batterie des chinesischen Weltmarktführers CATL laut Hersteller in ersten Testfahrzeugen 1000 Kilometer Reichweite und kann binnen zehn Minuten Energie für 700 Kilometer laden. In einigen Jahren dürften neue Technologien weitere Fortschritte bringen: Feststoffbatterien, eine Sonderform der Lithium-Ionen-Akkus, versprechen 30 Prozent mehr Reichweite, halb so lange Ladezeiten und höchste Brandsicherheit.

Neue Technik, größeres Angebot

Natrium-Ionen-Batterien wiederum kommen ohne Lithium und andere seltene oder gefährliche Rohstoffe aus, sind dadurch günstiger und zudem robuster. Als Schwachstelle gilt bei ihnen bisher die Reichweite, aber Fachleute sehen noch Potenzial. Dann könnten sich Natriumbatterien besonders im Klein- bis Kompaktwagensegment ausbreiten. "Im Hochleistungsbereich werden wir weiterhin Lithium-Ionen-Akkus sehen", ist Fichtner überzeugt.

"Es wird künftig eine größere Vielfalt an Batterien geben", prophezeit auch Prof. Achim Kampker, der an der Universität RWTH Aachen zur Produktion von Komponenten für E-Mobilität lehrt. Für ihn steht fest: "Die Batterietechnik entwickelt sich schnell weiter, und alle bisherigen Probleme sind lösbar."

Eine Arbeiterin produziert Batterien in China

Die Frage ist allerdings, welche Rolle Deutschland und Europa dabei spielen. Denn aktuell kommen die allermeisten Batterien aus Asien.

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Prozent der Batteriezellen für Elektroautos werden derzeit in China hergestellt.

Die Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, wie abhängig die deutsche und europäische Industrie von Komponenten aus Fernost ist.

"China hat die Technologieführerschaft übernommen", sagt Prof. Fichtner, "die meisten Neuentwicklungen kommen von dort." Auch Kampker rät dazu, sich diesen Rückstand einzugestehen. "Nur dann können wir die Aufholjagd starten." Dazu gehört für ihn sogar, "dass Staat und Industrie schneller werden und deutsche Firmen auch mal chinesische Hersteller kopieren."

Der Boom beim Batterie-Recycling beginnt

Aus Sicht von Fichtner wurde das Problem erkannt. "Nirgendwo in Europa sind so viele Gigafactorys geplant oder im Bau wie in Deutschland", sagt er und geht von 14 geplanten Batteriezellfabriken aus. Der Weltmarktführer CATL hat bereits im Frühjahr einen Betrieb hierzulande eröffnet: Das Werk im thüringischen Arnstadt ist das erste außerhalb Chinas.

Wie nachhaltig die dort entstehenden Batterien sind, wird nicht nur von der Technologie und den Rohstoffen abhängen. Oft noch unterschätzt ist die Zweitnutzung von Akkus, die für Autos zu schwach geworden sind: Laut Fichtner können sie danach noch viele Jahre als Speicher, etwa für Windkraftanlagen oder Photovoltaikfelder, dienen. Oder kombiniert mit anderen "Second Life"-Batterien ganze Ortschaften mit erneuerbarer Energie versorgen. Danach kommen die Batterien dann in die Endverwertung. "Das Recycling von Batterien ist ein riesiger Markt – der gerade erst anfängt zu boomen."

Die Aussichten für die Antriebswende hin zur Elektromobilität sind also gar nicht schlecht. Zumindest, wenn Technik, Gesellschaft, Industrie und Politik mitmachen.

Text: Christoph Henn. Digitales Storytelling: Thomas Paulsen. Bildredaktion: Ruth Steinhorst, Tanja Hirner