ADAC Test: Airbag-Westen für Motorradfahrer
Der ADAC hat 2020 die neueste Generation von Airbag-Jacken für Motorradfahrer im Crashtest überprüft. Im Ergebnis überzeugen alle Systeme – doch Wirkung hängt von der gefahrenen Geschwindigkeit ab.
Drei verschiedene Airbag-Westen/-Jacken im Test
Alle Produkte bieten zusätzlichen Schutz im Brust- und Rückenbereich
Erhöhtes Schutzpotenzial wirkt vorrangig nur bei Unfällen bis 50 km/h
Für Motorradfahrer hat ein Unfall oft schwerwiegendere Folgen als für Autofahrer. Vor allem beim Aufprall auf andere Fahrzeuge sind Autofahrer dank einer stabilen Fahrgastzelle und zahlreicher Airbags besser geschützt. Doch inzwischen können auch Motorradfahrer von Airbags profitieren, die in Jacken oder Westen integriert sind.
Im Test: Airbag-Jacken und Airbag-Westen für Biker
Um zu überprüfen, wie leistungsfähig moderne Airbag-Bekleidungssysteme sind, hat der ADAC drei Produkte einem Crashtest unterzogen: Das Tech-Air Street-e System von Alpinestars, die Smart Jacket von Dainese und die eVest von HELD. Ergebnis: alle getesteten Produkte erreichten die Testnote "gut".
Wie schnell zünden die Airbags der Jacken und Westen?
Die Gewichte der Kleidungsstücke liegen zwischen ca. 1,7 kg (HELD) und 2,2 kg (Alpinestars). Während Alpinestars und Dainese jeweils über zwei Gasgeneratoren zum Aufblasen der Airbags verfügen, belässt es HELD bei einem. Alle Produkte müssen vor dem ersten Einsatz durch den Händler oder Nutzer über die Website des Herstellers freigeschaltet werden. Entscheidend beim Crashtest war die so genannte Interventionszeit (Dauer vom ersten Anstoß bis zum vollständigen Aufblasen des Airbags), die im Idealfall unter 120 Millisekunden betragen sollte.
Dadurch ist die schützende Wirkung der integrierten Airbags bei allen Produkten bereits vor dem Anprall des Motorradfahrers am Auto gegeben. Im ADAC Vergleich betrug die Interventionszeit bei allen drei Fabrikaten ca. 80 Millisekunden.
Große Unterschiede bei den Airbag-Systemen für Biker
Die Handhabung der verschiedenen Systeme ist unterschiedlich. So kann die Weste von HELD nach dem Auslösen vom Nutzer selbst wieder in Stand gesetzt werden. Bei den Produkten von Dainese und Alpinestars muss dazu der Händler beziehungsweise der Hersteller bemüht werden. Ein weiterer Unterschied: Während die Weste von Dainese als einzige über oder unter einer bereits vorhandenen Schutzkleidung – wie zum Beispiel der eigenen Lederkombi – getragen werden kann, erfordern die Produkte von HELD und Alpinestars eigene, kompatible Jacken des jeweiligen Herstellers.
Airbag-Jacken für Biker: Verbesserte Technik
Bereits 2013 hat der ADAC die erste elektronische Airbag-Jacke von Dainese getestet. Damals waren die Sensoren für das Auslösen der Airbags noch am Fahrzeug installiert und es mussten zusätzliche Komponenten an der Maschine angebracht werden. Die Jacke funktionierte daher nur in Verbindung mit dem entsprechend ausgestatteten Motorrad. Alle aktuell getesteten Jacken verfügen über eine eigenständige ins Produkt integrierte Sensorik und sind somit unabhängig vom jeweiligen Motorrad nutzbar.
ADAC Empfehlungen an die Hersteller der Airbag-Systeme
Die alltägliche Inbetriebnahme der Airbag-Bekleidung sollte so unkompliziert wie möglich sein, eine einmalige Kontrolle einer gut erkennbaren Anzeige muss genügen
Die Bedienungsanleitungen müssen eindeutig formuliert und verständlich sein
Die Abdeckungsbereiche des Airbags sollten größer gewählt werden, der Airbag sollte im Kragenbereich zum Schutz der Halswirbelsäule eine noch bessere Stabilisierung des Helmes sicherstellen
Wünschenswert wäre mehr Fokus auf den Brustbereich, denn hier zeigt sich bei Betrachtung der Motorradunfälle aus der ADAC Unfallforschung mehr Bedarf
Die Batterielaufzeit pro Ladung sollte verlängert werden
Die Interventionszeit könnte bei Unfällen mit Fahrzeuganstoß noch verkürzt werden, wenn zusätzlich zu den Sensoren in der Kleidung auch Sensoren am Fahrzeug (z.B. an der Gabel) die Unfallsituation früher erkennen. Empfehlenswert sind ca. 40 bis 50 Millisekunden
Motorrad-Airbag-Jacken: Tipps für Biker
Den eigenen Bedarf klären: Lieber eine Airbag-Weste über der vorhandenen Motorradschutzkleidung oder eine Airbag-Weste unter neu zu beschaffender Jacke?
Die Hersteller sehen meist zusätzlich zum Airbag-Schutz eine Ergänzung durch feste Protektoren vor. Vom Händler hierzu beraten lassen: Was ist sinnvoll kombinierbar?
Soweit möglich Bedienungsanleitungen der Produkte im Internet beschaffen und vorab studieren. Mit diesem Wissen können beim Beratungsgespräch vor dem Kauf die relevanten Fragen gestellt werden
Eine ausgiebige Probefahrt mit der Airbag-Weste und der passenden Jacke durchführen. Hierbei besonders auf die Bewegungsfreiheit und das Gewicht der Kleidung achten
Je nach Hersteller-Vorgabe: Produkt und Nutzer registrieren und System aktiv schalten (lassen). Wenn möglich, passende App auf Smartphone oder Tablet laden
Regelmäßiges und rechtzeitiges Laden des Akkus nicht vergessen, ggf. Powerbank für das Aufladen unterwegs mitnehmen. Nicht während der Fahrt aufladen!
Der Schwerpunkt des Tests lag auf der Ermittlung der Interventionszeiten der verschiedenen Airbag-Systeme. Im Rahmen eines Full-Scale-Crashtests, bei dem ein mit Dummy besetztes Motorrad mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h seitlich an einen Pkw anstößt, wird die Zeit ermittelt, die zwischen der ersten Fahrzeugberührung bis zur vollständigen Entfaltung des Airbags vergeht.
Wichtig ist dabei, dass der Schutz noch vor Anprall des Dummys am Fahrzeug zur Verfügung steht, also schneller als ca. 120 Millisekunden nach Erstkontakt.
Die Auswertung der ADAC Unfallforschung zeigt, dass bei über 60 % der Motorradunfälle weitere Fahrzeuge beteiligt sind. Die Hälfte dieser Unfälle wird durch ein Fehlverhalten des Fahrzeugführers ausgelöst. Häufigster Fehler ist das Missachten der Vorfahrt. Die Schutzwirkung der Kleidung wirkt im Geschwindigkeitsbereich bis ca. 50 km/h, daher wurde diese Innerorts-Unfallkonstellation gewählt.
Basierend auf ISO 13232
Klassifikation: 313
Geschwindigkeit Motorrad: 50 km/h
Geschwindigkeit Fahrzeug: 0 km/h
Anprallwinkel: 90°
Überdeckung: 100%
Motorrad: Suzuki Bandit GSF 600
Messwerte: Geschwindigkeit des Motorrades, optische Bestimmung der Interventionszeit des Airbags (Video-Auswertung)
Die drei Crashtests wurden mittels High-Speed-Kameras mit 1000 Bildern pro Sekunde aufgezeichnet. Die Auswertung erfolgte beginnend mit der ersten Berührung fortlaufend in Schritten zu einer Millisekunde. Mit Hilfe eines Schlittengestells wurden Motorrad und Dummy positioniert und auf 50 km/h beschleunigt. Wenige Meter vor dem Kollisionspunkt wurde das vom ADAC eigens entwickelte Gestell abgebremst und das Motorrad fuhr die letzten Meter frei.
Ausgewählt wurden Motorrad-Airbag-Systeme für den Einsatz auf öffentlichen Straßen, die in kompatiblen Motorrad-Textil-Jacken getragen werden können. Von jedem Hersteller bzw. Anbieter wurde ein System ausgewählt. Zwischenzeitlich gibt es andere Produkte von weiteren Anbietern, zum Teil sind neue Produkte angekündigt.
Der Motorradtyp Suzuki Bandit GSF 600 wurde als durchschnittliches und weit verbreitetes Modell gewählt. Als Unfallgegner wurde ein beliebiger Pkw aus der oberen Mittelklasse gewählt, wobei für jeden Versuch das identische Modell zum Einsatz kam.
Ermittelt wurden:
Airbag-Interventionszeiten (Zeit vom ersten Kontakt des Motorrads mit dem Auto bis zur vollständigen Entfaltung/Befüllung des Airbags)
Gewichte der Kleidungsstücke
Wirksame Flächen der luftentleerten, freigelegten Airbags
Tragekomfort/Gewicht
Bedienung/Handhabung/Einschränkungen
Instandsetzung und Konnektivität
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