Can-Am Origin: Elektro-Enduro für die Stadt

Ein Can Am Origin Elektromotorrad fährt eine kurvige Strecke bei Sonnenuntergang
Stichwort Reichweite: Für ausgedehnte Touren ist die Can-Am Origin nur bedingt geeignet© BRP

Der kanadische Hersteller BRP produziert mit seiner Marke Can-Am seit Kurzem das elektrische Motorrad Origin. Die Reichweite der Enduro spricht allerdings eher für den Einsatz in der Stadt.

  • Viel Leistung und verschiedene Fahrmodi

  • Geringe Reichweite

  • Hoher Preis

Nur wenigen Motorradfahrenden dürfte der Name BRP (Bombardier Recreational Products) bekannt sein. Der kanadische Hersteller produziert vorwiegend Schneemobile, Jetboote, Quads und leichte Offroad-Fahrzeuge (All Terrain Vehicles, kurz ATV). Letzteres unter dem Namen Can-Am. Auch der Motoren-Hersteller Rotax zählt zum Konzern.

Nun hat das Schwergewicht im Bereich der motorisierten Spaß- und Arbeitsgeräte zwei elektrische Motorräder im Portfolio – die Can-Am Pulse und die Can-Am Origin. Kein ganz neues Terrain: Schon zwischen 1972 bis 1987 baute das Unternehmen Motorräder, konzentrierte sich danach aber auf ATV. Jetzt also ein neuer Aufschlag mit elektrischen Antrieben.

Während die Pulse ein flacher Roadster und Allrounder ist, bietet die Origin mit Stollenreifen und hochgelegtem Rahmen Enduro-Feeling. Beide eint ein E-Antrieb der Eigenmarke Rotax und der selbst entwickelte Lithium-Ionen-Akku mit 8,9 kWh Maximalkapazität.

Modernes Cockpit mit Apple CarPlay

Der Boardcomputer des Can Am Origin Elektromotorrad
Das 10,25 Zoll große TFT-Display lässt sich dank Bluetooth und Apple CarPlay mit dem Smartphone verbinden© ADAC/Fabian Hoberg

Zu Beginn der Probefahrt mit der Origin will der Stromfluss aktiviert werden. Dafür dreht man den Zündschlüssel, bestätigt eine Sicherheitsmeldung im Cockpit, dreht den Gasgriff nach vorne und drückt den Startknopf. Es fiept kurz und die Origin meldet sich fahrbereit. Auf dem 10,25 Zoll großen TFT-Monitor findet der Pilot nun digitale Anzeigen für Geschwindigkeit, Fahrmodus, Power und, ganz wichtig, die Restreichweite in Kilometer. Selbst der Temperaturzustand des Akkus lässt sich im Display ablesen. Smartphones lassen sich schnell über Bluetooth verbinden. Außerdem wartet das Cockpit der Origin mit Apple CarPlay und einem Touch-Display auf.

Der Tank ist beim Elektromotorrad natürlich nur angedeutet. Darin befindet sich anstelle von Benzin ein 0,7 Liter kleines Staufach, in dem unterwegs Mobilgeräte geladen werden können. Heißt: Musik, Navigation und Telefon bedient der Fahrer oder die Fahrerin einfach am Display – natürlich besser nicht während der Fahrt.

Über eine Taste auf dem Menüfeld am linken Lenkerende wählt der Pilot einen der sechs Fahrmodi. Neben Normal, Regen, Eco und Sport stehen für den Ritt abseits der Straße Offroad und Offroad-Plus zur Verfügung. Für die Eingewöhnungsphase reicht der Modus Normal, wer es flotter haben will, nimmt Sport, und für eine längere Autobahnstrecke empfiehlt sich Eco. Dazu später mehr.

Elektromotor mit bis zu 41 PS

Detailaufnahme des Motors des Can Am Origin Elektromotorrad
Der Rotax-Motor in der Origin leistet 30 kW/41 PS© ADAC/Fabian Hoberg

Kurz den Gasgriff nach hinten ziehen und die Origin stürmt kräftig nach vorne. Wer es darauf ankommen lässt, sogar in 4,1 Sekunden auf 100 km/h – ohne zu schalten und wie am Gummiband gezogen. Bei zu viel Drehmoment der 72 Newtonmeter am Hinterrad regelt die Traktionskontrolle fein ab. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 127 km/h.

Die Origin liegt satt auf der Straße und fährt stabil ihre Spur, ohne beim Beschleunigen an der Vordergabel zu zittern. Auf jede Handbewegung am Gashebel reagiert der E-Antrieb direkt, ganz gleich bei welcher Geschwindigkeit. Doch auf den ersten Metern fällt neben dem starken Anzug das hochfrequente Geräusch auf.

Wie ein Zahnarztbohrer pfeift die gekapselte Kette mit automatischem Spanner auf der linken Seite permanent im Ölbad mit. Das klingt weder angenehm, noch passt es zur Offroad-Optik der Origin. Vorteil: Andere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger oder Radfahrer werden frühzeitig vor dem Elektro-Motorrad gewarnt. Außerdem liegt die Kette wartungsarm verstaut – passend zum großzügigen Inspektionsintervall von 16.000 Kilometern.

Rekuperieren statt Bremsen

Das Can Am Origin Elektromotorrad  von hinten stehend im Wald aufgenommen
Stollenreifen und ausreichend Federweg: Die Origin bringt Offroad-Qualitäten mit© ADAC/Fabian Hoberg

Auch bei anderen Bauteilen bietet Can-Am neueste Technologie: Alle elektrischen Systeme kühlt Can-Am mit Wasser, was die Lebensdauer verlängern und den Stromverbrauch reduzieren soll. Zugleich nimmt eine wohltemperierte Batterie schneller neue Energie auf – damit sich die Ladezeit reduziert. Im Alltag spürt man vor allem das Rekuperations-System.

Bei vorausschauender Fahrweise kann man den Bremshebel für die Vorderradbremse und die Fußbremse auf der rechten Seite getrost vergessen. Mit leichtem Dreh nach vorne am Gasgriff rekuperiert das Motorrad und bremst stark ab. Zudem produziert es Energie und erhöht die Reichweite. Schon nach wenigen Kilometern hat man das verinnerlicht.

Can-Am gibt für den WMTC-Zyklus eine Reichweite von bis zu 114 Kilometer und in der Stadt 145 Kilometer an. In der Praxis erreicht die Origin diese Werte nur bei sehr, sehr zurückhaltender Fahrweise. Denn während der Ritt in die Stadt oder über Landstraßen mit der Akku-Kapazität keine Probleme bereitet, bekommen Pendler auf der Autobahn zumindest im Sport-Modus direkt nach der Auffahrt einen Schrecken.

Galerie: Die Can-Am Origin im Detail

Die angegebene Restreichweite in Kilometer sinkt überproportional schnell – und das schon bei 100 km/h. Da hilft nur: Zügig auf Eco schalten und sich bei 80 bis 85 km/h hinter einen Lastwagen klemmen. Bei konstant Tempo 80 sinkt die Reichweite dann "nur" noch auf 84 Kilometer.

Zugegeben: Das macht keinen Spaß, beruhigt aber die Nerven und reduziert nebenbei den starken Winddruck an Helm und Brust. Wer dennoch häufig auf Autobahnen oder Schnellstraßen unterwegs ist, sollte immer mit vollem Akku starten und sich noch eine feste Windschutzscheibe (198 Euro) montieren.

In der offenen Version verspricht Can-Am für die Origin eine maximale Leistung von 35kW/48 PS. In den Zulassungspapieren liegt die angegebene Leistung allerdings bei 30 kW/41 PS. Praktisch für Piloten mit A2-Lizenz: Can-Am gibt eine Dauer-Nennleistung von 20 kW/27 PS an. Für A1-Piloten und B196-Inhaber stellen die Kanadier eine Variante mit 11 kW/15 PS zur Wahl, was 125 ccm entspricht.

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Schnelles Laden mit 11 kW

Der Akku des Can Am Origin Elektromotorrad
Das Aufladen des Akkus dauert je nach Ladezustand und -säule unterschiedlich lang© ADAC/Fabian Hoberg

Wenn sich die Kapazität des Akku-Packs mit 8,9 kWh dem Ende entgegen neigt, hilft nur Nachladen. Die Origin verfügt über ein eingebautes Ladegerät mit 6,6 kW. Je nach "State of Charge" (Ladezustand) liegt die Ladezeit dann zwischen 5 und 5,5 Stunden. Von 20 auf 80 Prozent benötigt ein Mode-3-Lader rund 50 Minuten, von 0 auf 100 Prozent 90 Minuten – alles steuer- und abrufbar über die BRP-GO!-App.

Recht schnell geht es über eine 11-kW-Wallbox. Dafür einfach die kleine Ladeklappe auf der rechten Seite öffnen, Ladestecker einstöpseln, die Wallbox freischalten und den Zündschlüssel abziehen. Unter recht lauter Kühlluft speichert der Akku dann in rund 1,5 Stunden Energie für die nächsten 110 Kilometer. Nachteil: Die Akkus lassen sich nicht herausnehmen.

Can-Am Origin: Technische Daten, Preis

Herstellerangaben

Motor

Flüssigkeitsgekühlter Synchron-Permanentmagnetmotor, Nennleistung 30 kW/41 PS, (oder auch 20 kW/ 27 PS oder 11 kW/15 PS), Spitzenleistung 35 kW/47 PS, 72 Nm Drehmoment



Akku

Flüssigkeitsgekühlter Lithium-Ionen-Akku, 8,9 kWh Maximalkapazität, Betriebsspannung 350 V



Fahrleistungen und Verbrauch

Höchstgeschwindigkeit 127 km/h, 0 – 100 km/h: 4,3 S, WMTC-Kraftstoffverbrauch kombiniert, Reichweite: 130 km im Eco-Modus



Fahrwerk

KYB 43 mm USD-Telegabel vorne, 255 mm Federweg; Leichtmetall-Einarmschwinge hinten, ein KYB-Federbein (einstellbar in Zug-, Druckstufendämpfung und Vorspannung), Federweg 255 mm; Drahtspeichenräder; Reifen 90/90 R21 (vorne) und 120/80 R18 (hinten); 320 mm Einscheibenbremse vorne, 240 mm Einscheibenbremse hinten



Assistenzsysteme

Sechs Fahrmodi, ABS, Traktionskontrolle



Maße und Gewichte

Radstand 1503 mm, Sitzhöhe 865 mm, Gewicht fahrfertig 187 kg, Zuladung 151 kg



Preis

ab 16.499 Euro



Das Fahrwerk legt Can-Am komfortabel-sportlich aus, zumindest im Solobetrieb. Selbst hohe Bodenwellen oder tiefe Schlaglöcher schlucken die Federn vorne und hinten mit ihrem üppigen Federweg von 255 Millimetern locker weg. Wer es gerne härter mag, kann zumindest die hinteren Feder-Dämpfer verstellen. Mit einer Sitzhöhe von 865 Millimetern thront der Pilot (bei einer Körpergröße von 1,80 Meter) angenehm über dem Verkehr, kann sich aber an der Ampel noch mit beiden Füßen am Boden abstützen.

Nach den ersten Kilometern fallen die 187 Kilogramm Leergewicht kaum auf, so flink und sauber austariert fährt die Origin in Kurven. Selbst enge Kehren oder eckige Wendemanöver gelingen mit dem E-Bike leicht. In der Stadt, ganz klar das eigentliche Revier der Origin, überzeugt sie mit einfachem Handling, sehr guter Zwischenbeschleunigung und der schmalen Karosserie. Der integrierte Rückwärtsgang ist zwar nett gemeint, aber überflüssig.

Fazit: Für Pendler optimal

Elektrisch schnell und sauber in die Stadt fahren, klappt mit der Can-Am Origin hervorragend. Die Allzweck-Enduro bereitet auf der Kurzstrecke viel Spaß und fährt sich ausgesprochen agil. Ein gutes Bike für Pendler, die keinen Wert auf eine hohe Reichweite legen. Denn die rund 110 Kilometer sind einfach zu mager – vor allem bei einem Preis von mindestens 16.499 Euro.

Text: Fabian Hoberg