Adaptive Fahrwerke im Test: Lohnt der Aufpreis?
27.11.2018
Verstellbare Fahrwerke und Stoßdämpfer versprechen eine bessere Straßenlage und vor allem mehr Komfort. Ob das stimmt, zeigt der Test von sechs Fahrzeugmodellen von Audi bis VW.
- Im Test: Sechs Modelle von Audi, Mercedes, Mini, Škoda, Volvo und VW
- Ergebnis: Nicht alle adaptiven Fahrwerke sind empfehlenswert
- Das Luftfahrwerk im Audi Q5 schneidet am besten ab
Dynamic body control, adaptive air suspension, PASM, EDC oder FlexRide – kryptische Namen, mit denen Fahrzeughersteller die gleiche Ausstattungsoption bezeichnen: Verstellbare oder adaptive Fahrwerkssysteme, bei denen sich mit einer Vorwahltaste die Härte der Dämpfer einstellen lässt oder sogar – abhängig von der Fahrsituation – selbst verstellt. Der Effekt: Je nach Geschmack kann der Fahrer mal sportlicher, mal komfortabler unterwegs sein.
Waren adaptive Systeme früher ausschließlich in der Oberklasse verbaut, etablieren sie sich zunehmend auch in der Unteren Mittelklasse oder sogar Kompaktklasse. Mit etwa 1000 Euro Zusatzkosten sollte man allerdings rechnen. Aber lohnt der Aufpreis? Denn so richtig schlecht federt doch kein Auto mehr.
Ein Sensor am Sitz misst die Bewegungen der Karosserie
Der ADAC hat die Frage für sechs identische Fahrzeugpärchen untersucht. Doch während im normalen Autotest allein das subjektive "Popometer" für die Beschreibung des Fahrgefühls zuständig ist, bedienten wir uns diesmal zusätzlich objektiver Methoden.
Am Beifahrersitz bauten die ADAC Testingenieure dafür einen Sensor ein, der beim Überfahren von Unebenheiten alle Bewegungen registriert, die auf die Karosserie übertragen werden. Genauer: Er zeichnet die exakten Beschleunigungswerte längs, quer und hoch dreidimensional auf und bewertet die Frequenzen.
Und weil die Medizin inzwischen exakt sagen kann, welche Schwingungen vom menschlichen Empfinden als besonders nervig oder angenehm empfunden werden, kann deren Auswertung dann tatsächlich das Popometer mit objektiven Messwerten ergänzen.
Angepasste Hydraulik. Mal komfortabel, mal sportlich
Für den Test besorgten wir jeweils ein Standardmodell von Audi Q5, Mercedes C-Klasse, Mini, Škoda Octavia, Volvo V60 und VW Golf sowie ein Pendant mit gleicher Motorisierung und Rädergröße, aber optionalem, meist adaptivem Fahrwerk.
Bei ihm analysiert die Software das Lenk-, Brems und Schaltverhalten des Fahrers und leitet daraus ab, ob er möglichst dynamisch oder eher gelassen unterwegs sein will und passt die Dämpfung entsprechend an.
Das Prinzip: Meist wird in Millisekunden ein elektromagnetisches Ventil im Stoßdämpfer angesteuert, das den Ölfluss regelt. Indem mal mehr oder weniger Öl von einem Innenrohr ins andere fließt, wird die Kennlinie des Dämpfers, also die Härte entsprechend verstellt.
Zusätzlich bietet das adaptive System drei einstellbare Modi von Komfort bis Sport an, die aber kein tatsächliches Umschalten bedeuten, sondern eher eine gewünschte Tendenz vorgeben.
Die Testergebnisse im Detail
Im Test: Bremsen, Sicherheit, Komfort
Nur beim getesteten Mini Cooper S sind die Dämpfer nicht adaptiv, sondern lediglich in zwei Stufen fix verstellbar. Auch der Test-Audi Q5 hat eine Besonderheit: eine Luftfederung. Bei ihr passen sich nicht nur der Dämpfer, sondern auch die "Feder" an: Eine Art aufblasbarer Luftbalg ersetzt die spiralförmige Stahlkonstruktion. In unserem Vergleich hatte nur der Audi eine Luftfederung, die aber auch andere Premium-Hersteller anbieten.
Geprüft wurden alle Fahreigenschaften, die von verstellbaren Fahrwerken beeinflusst werden können. Zum Beispiel das Bremsen. Denn wenn die Vorderachse weniger eintaucht, könnte mehr Bremskraft auf die Hinterachse verteilt werden.
Doch in der Realität bestätigte sich diese physikalische Theorie nicht: Keines der sechs Fahrzeuge erzielte im Sportmodus eine nennenswerte Bremswegverkürzung, die über die übliche Messstreuung hinausging.
Doch kann man mit adaptiven Fahrwerken sportlicher und sicherer fahren? Zumindest messbar nicht: Beim ADAC Ausweichtest waren die im Parcour erzielbaren Geschwindigkeiten nicht höher als mit dem Standardfahrwerk. Lediglich beim ersten Anlenken zeigte sich der Sportmodus mit weniger Wankneigung etwas verbindlicher und vermittelt auch insgesamt ein handlicheres Fahrgefühl.
Fazit: Der hohe Aufpreis lohnt sich nicht immer
Die deutlichsten Unterschiede der Fahrwerkssysteme zeigten sich in Sachen Komfort. Doch das Testergebnis belegt auch: Nicht immer und in allen Einstellungen ist das verstellbare oder adaptive Fahrwerk dem Standardfahrwerk überlegen. Und vor allem: Nicht für jedes Modell lohnt der teilweise saftige Aufpreis.
Das teuerste System im Audi Q5 schneidet in puncto Komfort am überzeugendsten ab: Sein Luftfeder-System profitiert davon, das mit Feder und Dämpfer beide relevanten Fahrwerksbauteile verstellbar sind.
Die geringsten Vorteile konnten die ADAC Tester bei der Mercedes-C-Klasse feststellen: Der nur geringe Komfortgewinn ist für sie 1000 Euro extra nicht wert. Möchte man den Komfort verbessern, sollte man das ebenfalls erhältliche Luftfahrwerk Probe fahren, das leider für diesen Test nicht zur Verfügung stand.
Ohnehin empfehlen wir vor dem Kauf eine Probefahrt mit den verschiedenen Fahrwerken, die für das Auto angeboten werden. Denn wer mit dem Standardfahrwerk gut zurecht kommt, kann sich den Aufpreis meist auch sparen.
So funktionieren Feder und Dämpfer
Die Räder eines Autos sind mit der Karosserie beweglich über Federn verbunden. Sie tragen das Eigengewicht des Autos und halten es auf einem Niveau. Beim Überrollen von Fahrbahnunebenheiten federn sie unabhängig von der Karosserie ein und aus. Schraubenfedern sind progressiv ausgeführt: Je weiter das Rad einfedert, desto straffer wird die Feder. Dadurch wird ein Durchschlagen bis zum Bodenblech verhindert oder abgeschwächt.
Hätte das Auto nur Federn, würde es durch Bodenwellen dauernd in Bewegung bleiben und beständig schaukeln. Deshalb besteht die Radaufhängung auch aus Dämpfern, meist mit Hydrauliköl gefüllt. Sie wirken den Bewegungen der Federn entgegen. Diese Federn und Dämpfer (mit den zugehörigen Hebeln, Lenkern und Trägern) werden als Fahrwerk bezeichnet.
So haben wir getestet
Um eine möglichst umfassende Fahrwerksbewertung zu erstellen, wurde ein umfangreicher Katalog an Messstrecken ausgearbeitet. Ein exemplarischer Kanaldeckel im Landsberger Industriegebiet wurde mit 30 und 50 km/h überfahren, ein abgesenkter Bordstein mit 10 km/h genommen und das mittelalterliche Kopfsteinpflaster der Landsberger Innenstadt mit 25 km/h befahren. Diese Hindernisse stellen kurze Stöße dar, wie sie innerorts typischerweise vorkommen.
Zusätzlich wurden zwei verschiedene, eher kurze Bodenwellen auf dem Fliegerhorst Penzing mit je 30 und 50 km/h überrollt, höhere Geschwindigkeiten wurden in der Buchloer Gegend gefahren: Dort sind recht grobe Wellen mit 80 km/h und eine Strecke mit eher feinen Wellen mit 100 km/h in die Bewertung mit eingegangen.
Die groben Wellen sind teils extrem, hier sollten die Fahrwerke an ihr Limit gebracht werden. Da solch starke Anregungen im Alltag sehr selten vorkommen, wurden die Messergebnisse dieser Fahrten nur mit geringer Wichtung in die Gesamtbewertung aufgenommen. Dennoch sind sie ein wichtiger Hinweis auf die möglichen Grenzen des Fahrwerks.
All diese Hindernisse wurden mit den zu vergleichenden Fahrzeugen mit Hilfe eines Messsystems der Firma MüllerBBM analysiert. In Verbindung mit einem Beschleunigungssensor, der Bewegungen in alle drei Raumachsen hochpräzise erfasst, wurden die Schwingungen des Fahrzeugs gemessen. Die gewonnenen Daten werden nach Maßstäben bewertet, die das menschliche Empfinden simulieren. Anschließend steht nach weiteren Rechenschritten ein Komfortgesamtwert zur Verfügung, der den Komforteindruck des Fahrzeugs quantifizierbar macht.
Die jeweiligen Pärchen rollten für den Test jeweils auf den gleichen Rädern, um den beträchtlichen Einfluss der Rad-/Reifenkombination auf den Komfort zu eliminieren.
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(acfo). Fotos: ADAC/Uwe Rattay (6), PR (7)