Schwangerschaftsgurte im Test: Keiner hält, was er verspricht
Einige Hersteller von Schwangerschaftsgurten suggerieren, dass ein Dreipunktgurt Schwangere und ihr Baby bei einem Unfall nicht genug schützt. Adapter sollen für mehr Sicherheit sorgen. Der ADAC hat verschiedene Systeme getestet.
Keines der untersuchten Systeme erhöht die Sicherheit
Höhere Belastungen mit Schwangerengurt
Einige Produkte zerbrechen beim Crashtest
Viele Frauen fragen sich, ob sie und ihr ungeborenes Kind während der Autofahrt durch den normalen Fahrzeuggurt auch richtig geschützt sind. Sitzt der Gurt optimal fürs Baby? Drückt der Gurt im Fall eines Unfalls womöglich falsch auf den Bauch und gefährdet das Ungeborene?
Mit diesen Ängsten spielen die Anbieter von sogenannten Schwangerengurten. Sie behaupten, vom Fahrzeuggurt gehe eine Gefahr aus und ihre Produkte böten einen besseren Schutz. Aber erhöhen diese Systeme tatsächlich die Sicherheit? Dem ist der ADAC auf den Grund gegangen.
Was ist ein Schwangerschaftsgurt?
Schwangerschaftsgurte oder auch Schwangerengurte sind Gurtadapter, die den Dreipunktgurt unterhalb des Bauchs positionieren sollen. Im Handel werden die Produkte unter verschiedenen Verkaufsbezeichnungen angeboten, deshalb wurden beim ADAC Systemvergleich exemplarisch vier verschiedene Konzepte untersucht, die alle in den Verlauf des Beckengurts eingreifen.
Gummizug mit Druckknöpfen: Der Beckengurt wird zwischen den Beinen in eine mit Druckknöpfen verschließbare Lasche eingelegt, die mit einem elastischen Band an einem dünnen Sitzkissen befestigt ist. Das Sitzkissen wird mit einem Gurtband beispielsweise an der Lehne eines Vordersitzes befestigt.
Gurtadapter mit Kunststoffhaken: Der Beckengurt des Fahrzeugs wird durch einen Kunststoffhaken gelegt, der sich zwischen den Beinen der Schwangeren befindet und mit einem Gurtband am Fahrzeugsitz befestigt wird.
Gurtadapter mit Metallhaken: Dasselbe Prinzip wie beim Gurtadapter mit Kunststoffhaken, nur mit Metallhaken.
Zusatzgurt: Er wird um das Sitzkissen des Fahrzeugsitzes gelegt und daran befestigt. Anschließend wird der Beckengurt des Fahrzeugs durch eine Schlaufe am Zusatzgurt geführt.
Wirkung: Mehr Schaden als Nutzen
Um zu klären, ob Schwangerschaftsgurte irgendeinen Vorteil haben, hat der ADAC in einem Systemvergleich Anschnall- und Crashversuche durchgeführt. Im Fokus standen dabei die Fragen: Wie verändern die Schwangerengurte die Schutzwirkung vom Fahrzeuggurt? Welche Belastungen wirken auf den Dummy mit und ohne Gurtadapter ein? Sind sie ein Komfortgewinn für die schwangeren Frauen?
Die Auswertung der durchgeführten Crashversuche mit unterschiedlich großen Schwangeren-Dummys zeigt vor allem eins: Die zusätzlichen Rückhaltesysteme reduzieren die Belastungen fürs Baby nicht, sie erhöhen sie sogar. Zudem hielt keiner der getesteten Gurtadapter den wirkenden Kräften stand oder konnte beim Aufprall den Beckengurt in einer tieferen Position halten.
Stattdessen verschlechtern die Gurtadapter die Umschlingung und damit die Rückhaltung des Beckens. Im Bereich Brust, Bauch und Becken steigen die gemessenen Belastungen deshalb sogar an. Die am Bauch und am Becken gemessenen Beschleunigungen steigen gegenüber den bei den Referenztests mit dem herkömmlichen Dreipunktgurt angeschnallten Dummys um bis zu 30 Prozent.
Im Schritt angebrachte Elemente aus hartem Kunststoff und Metall stellen ein zusätzliches Verletzungsrisiko für werdende Mütter dar. Bei den Crashtests zerbrachen die Kunststoffhaken, die Metallhaken und das Schloss des Zusatzgurtes drückten von unten auf den Schwangerenbauch.
Ein weiterer Nachteil der Schwangerengurte ist, dass beim Anschnallen bis zu 30 Zentimeter mehr Gurtband benötigt wird. Der Gurt liegt weniger eng am Körper bzw. der Hüfte an. Dadurch steigt das Risiko eines Zusammenpralls mit dem Lenkrad, denn alle getesteten Systeme führen dazu, dass sich der Bauch des Dummys beim Crash weiter nach vorn bewegt.
Beruhigend: Der in vielen Autos serienmäßig verbaute Gurtstraffer kann den Nachteil der Schwangerschaftsgurte zum Teil ausgleichen, er hat aber dann keine Reserven für zum Beispiel einen nachlässig angelegten Gurt, dickere Kleidung oder beleibtere Insassen.
Das normale Gurtsystem des Fahrzeugs funktioniert gut
Der Systemvergleich zeigt, dass der normale Fahrzeuggurt sowohl die werdende Mutter als auch das ungeborene Kind bei einem Unfall gut schützt. Schwangere sind laut ADAC Unfallforschung beim Autofahren keinem höheren Risiko ausgesetzt als andere Autofahrerinnen. Der normale Dreipunktgurt kann die werdende Mutter und das ungeborene Kind bei einem Unfall gut schützen. Es gibt also keinen Grund zur Sorge!
Die Ergebnisse im Detail
Zum Anschnallen mit dem Gurtadapter werden bis zu zehn Zentimeter mehr Gurtband benötigt als ohne.
Der Gurtstraffer schafft es, den Großteil dieser zusätzlichen Gurtlose herauszuziehen, bevor sich der Dummy nach vorn bewegt.
Kopf und Hüfte des Dummys bewegen sich beim Aufprall mit dem Schwangerengurt um rund zwei Zentimeter weiter nach vorn als ohne. Das Risiko, beim Unfall mit dem Bauch an den unteren Lenkradkranz zu prallen, nimmt durch den Gurtadapter etwas zu.
Aufgrund des leicht anderen Bewegungsablaufs sind die an Kopf und Nacken gemessenen Belastungen um fünf bis zehn Prozent niedriger.
Die Gurtkräfte sind beim Crashtest so hoch, dass der Gummizug des Gurtadapters keinen Einfluss auf die Gurtposition mehr hat. Der Bauch des Dummys wird vom Gurtband in allen Versuchen – mit oder ohne Gurtadapter – nicht belastet.
Zum Anschnallen mit dem Gurtadapter werden rund 25 Zentimeter mehr Gurtband benötigt als ohne.
Der Gurtstraffer reduziert die Gurtlose, bevor sich der Dummy nach vorn bewegt. Dabei verformt sich der Kunststoffhaken bereits stark und zerbricht kurz darauf ganz.
Der Bauch des Dummys bewegt sich beim Aufprall mit Schwangerschaftsgurt um etwa fünf Zentimeter weiter nach vorn als ohne – die Gefahr eines Kontakts mit dem Lenkrad steigt dabei etwas an.
Aufgrund des geänderten Bewegungsablaufs sind die Nackenkräfte beim Versuch mit dem Gurtadapter etwas niedriger.
Zum Anschnallen mit dem Gurtadapter werden rund 18 Zentimeter mehr Gurtband benötigt als ohne.
Der Gurtstraffer reduziert die Gurtlose, bevor sich der Dummy nach vorn bewegt.
Der Bauch des Dummys bewegt sich beim Aufprall mit Schwangerengurt etwa fünf Zentimeter weiter nach vorn als ohne – die Gefahr eines Kontakts mit dem Lenkrad steigt dabei etwas an.
Der Beckengurt spannt sich beim Crashtest so stark, dass er die Metallklammer des Gurtadapters nach oben in den Schritt des Dummys zieht. Zwar kann diese Belastung aufgrund fehlender Sensorik am Dummy nicht quantifiziert werden, es ist jedoch wahrscheinlich, dass die stabile Metallklammer Verletzungen am Bauch und im Intimbereich verursacht. Beim durchgeführten Fahrzeugcrash reißt die Metallklammer sogar von ihrem Befestigungsgurt ab.
Aufgrund des leicht anderen Bewegungsablaufs sind die an Kopf und Nacken gemessenen Belastungen um fünf bis zehn Prozent geringer.
Zum Anschnallen des Dummys mit dem Zusatzgurt werden rund zehn Zentimeter mehr Gurtband benötigt als ohne.
Der Gurtstraffer reduziert die Gurtlose, bevor sich der Dummy nach vorn bewegt. Trotzdem rutscht die Hüfte des mit dem Zusatzgurt angeschnallten Dummys beim Aufprall um rund drei Zentimeter weiter nach vorn.
Das Risiko, beim Unfall mit dem Bauch an den unteren Lenkradkranz zu prallen, nimmt auch bei diesem System leicht zu.
Aufgrund des leicht anderen Bewegungsablaufs sind die an Kopf und Nacken gemessenen Belastungen niedriger.
Zusatzgurte: Kein besserer Komfort
Meist bereitet das Autofahren den Frauen in der Schwangerschaft keine Probleme. Das bestätigen auch die im Rahmen des ADAC Systemvergleichs durchgeführten Interviews mit den Probandinnen. Und obwohl die befragten Frauen auch beim Anschnallen mit einem herkömmlichen Gurt keine Schwierigkeiten hatten, wären sie bereit, Schwangerschaftsgurte anzulegen, wenn diese die Sicherheit für das Ungeborene verbessern würden.
Um den Tragekomfort der Schwangerengurte zu untersuchen, hat der ADAC Probandinnen die Systeme exemplarisch testen lassen und sie nach ihrem subjektiven Empfinden gefragt. Das Ergebnis dieser Stichprobe: Die Schwangerschaftsgurte erhöhen den Komfort nicht. Stattdessen werden bis zu 30 Zentimeter mehr Gurtband beim Anschnallen benötigt. Der Mehrbedarf an Gurtband hängt dabei sowohl von der Größe der Schwangeren als auch von deren Kleidung ab.
Die Anschnallversuche sind zwar nicht repräsentativ, liefern aber wertvolle Anhaltspunkte zu den zum Teil subjektiven Kriterien "Sicherheitsempfinden" und "Komfort" der Probandinnen.
Gurtadapter: Zugelassen oder nicht?
Einige Hersteller geben in ihrer Werbung an, dass ihr Gurtadapter nach UN-Regelung 16 getestet ist. In der UN-Regelung 16 ist die Genehmigung von Sicherheitsgurten und Rückhaltesystemen – meist eine Kombination aus Sitz, Gurt und Airbag – beschrieben.
Da es sich bei den Gurtadaptern weder um einen eigenständigen Sicherheitsgurt noch um ein vollständiges Rückhaltesystem handelt, können diese Produkte keine Zulassung nach UN-Regelung 16 erhalten – entsprechend ist auf den Gurtadaptern auch kein Genehmigungszeichen und keine Genehmigungsnummer zu finden.
Fazit: Finger weg vom Extragurt!
Sollten Schwangere ein zusätzliches Rückhaltesystem beim Autofahren benutzen? Klare Antwort: nein. Der herkömmliche Dreipunktgurt drückt nicht auf den Babybauch – er bietet bei einem Unfall einen sicheren Schutz. Er stellt absolut keine Gefahr für schwangere Frauen oder das ungeborene Baby dar.
Die getesteten Systeme sind nicht zu empfehlen. Weder bieten sie mehr Komfort, noch erhöhen sie die Sicherheit. Im Gegenteil: Gerade in den für eine Schwangere besonders sensiblen Bereichen Bauch und Becken erhöhen sie die Beschleunigungskräfte.
Das Geld für diese Hilfsmittel kann man sich also getrost sparen.
Schwanger Auto fahren: Unsere Tipps
Schwangere Frauen sollten beim Autofahren ein paar Sachen mehr bedenken als sonst, damit sie sicher und bequem reisen:
Der Beckengurt sollte tief auf der Hüfte aufliegen und nicht über den Bauch geführt werden.
Auf den Vordersitzen sind in den meisten Fahrzeugen bessere Rückhaltesysteme verbaut als auf dem Rücksitz. Vorn verringern Airbags und Gurte mit Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer die Gefahr von Verletzungen. Deshalb sind die vorne Sitzenden besser geschützt als die Fondpassagiere, und der Beifahrersitz ist einem Rücksitzplatz vorzuziehen.
Damit der Bauch dem Lenkrad nicht zu nahe kommt, können Schwangere die Verstellbereiche des Lenkrads und der Sitzhöhe nutzen. Durch einen größeren Abstand wird die Gefahr eines Anpralls an den Lenkradkranz minimiert.
Im dritten Trimester ist der Schwangerenbauch oft schon so groß, dass er nur noch einen kleinen Abstand zum Lenkrad hat und beim Autofahren eventuell sogar stört. Sofern sie nicht selbst fahren müssen, finden Schwangere möglicherweise auf dem Beifahrersitz eine bequemere und sicherere Sitzposition.
Dicke Jacken sollten möglichst ausgezogen oder zumindest aufgemacht werden, damit der Gurt möglichst eng am Körper anliegt.
So hat der ADAC getestet
Um den Einfluss der vier verschiedenen Gurtadapter auf den Schutz des ungeborenen Kindes und der werdenden Mutter zu bewerten, wurden Schlittenversuche mit zwei verschieden großen Dummys durchgeführt:
Ein kleinerer Dummy, der ca. 1,50 m groß und rund 50 kg schwer ist und mit einem "Schwangerenkit" ausgestattet wurde. Das Schwangerenkit besteht aus einem Schwangerenbauch, der mit zwei an einem Embryo-Dummy montierten Beschleunigungssensoren ausgestattet ist.
Ein größerer Dummy, der ca. 1,75 m und rund 78 kg schwer ist und mit einem aus Schaumstoff angefertigtem Schwangerenbauch versehen wurde.
Die Dummys wurden jeweils mit einem Dreipunkt-Fahrzeuggurt mit Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer auf einem auf dem Testschlitten montierten Fahrzeugsitz angeschnallt. Der Testschlitten wurde anschließend in Anlehnung an den Euro-NCAP-Frontalaufpralltest mit voller Überdeckung auf 50 km/h beschleunigt und beim Aufprall mit einer Verzögerung von rund 40 g abgebremst.
Referenztests mit Dreipunktgurt (ohne Gurtadapter)
Als Referenz wurden Tests mit den beiden verschieden großen Dummys durchgeführt, die jeweils mit dem herkömmlichen Dreipunktgurt gesichert wurden.
Während Fahrer und Beifahrer meist von Frontairbags und Gurten mit Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzern vor Verletzungen geschützt werden, sind auf den Rücksitzen der meisten Fahrzeuge nur herkömmliche Gurte ohne Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer verbaut.
Um den Einfluss von Airbags und Gurtstraffern zu untersuchen, wurden zwei Fahrzeug-Crashtests mit zwei Kleinwagen – in Anlehnung an den Euro-NCAP-Frontalaufpralltest mit einer Testgeschwindigkeit von 50 km/h – durchgeführt.
Beim Referenztest wurden drei Schwangeren-Dummys mit den fahrzeugeigenen Dreipunktgurten angeschnallt:
Auf dem Fahrersitz ein etwa 1,50 m großer und rund 50 kg schwerer Dummy mit einem "Schwangerenkit"
Auf dem Beifahrersitz und dem Sitzplatz hinten links ein ca. 1,75 m großer und etwa 78 kg schwerer Dummy mit Schwangerenbauch aus Schaumstoff
Beim zweiten Crashtest wurden dieselben Dummys mit verschiedenen Gurtadaptern für Schwangere angeschnallt:
Auf dem Fahrersitz ein etwa 1,50 m großer und rund 50 kg schwerer Dummy mit einem "Schwangerenkit", gesichert mit einem Gurtadapter mit Kunststoffhaken
Auf dem Beifahrersitz ein ca. 1,75 m großer und etwa 78 kg schwerer Dummy mit Schwangerenbauch aus Schaumstoff, gesichert mit einem Gurtadapter mit Metallhaken
Auf dem Sitzplatz hinten links der ca. 1,75 m große und etwa 78 kg schwere Dummy mit Schwangerenbauch aus Schaumstoff, gesichert mit einem Gurtadapter Gummizug mit Druckknöpfen
Um praktische Erfahrungen zu sammeln, wurden Anschnallversuche mit Probandinnen unterschiedlicher Größe, Statur und in verschiedenen Schwangerschaftsstadien durchgeführt.
Die Probandinnen wurden gebeten, den Fahrersitz so einzustellen und sich so anzuschnallen, wie sie üblicherweise fahren. Diese Einstellungen, der Abstand zum Lenkrad, der Gurtverlauf und die zum Anschnallen benötigte Gurtlänge wurden dokumentiert.
Die Probandinnen wurden befragt, ob das Autofahren in der Schwangerschaft unkomfortabler geworden ist oder ob sie sich unsicherer bzw. verletzlicher fühlen.
Anschließend wurden die Probandinnen gebeten, sich mit Gurtadaptern für Schwangere anzuschnallen. Der Gurtverlauf und die benötigte Gurtlänge wurden dokumentiert und die Probandinnen wurden befragt, ob der Gurtadapter für sie komfortabler ist und ob sie sich damit sicherer fühlen.
Technische Beratung: Andreas Ratzek, ADAC Technikzentrum