ISA-Assistenten: Intelligente Bremser
27.3.2018
Unsere Experten haben fünf Geschwindigkeitsassistenten untersucht. Das Ergebnis: Die Systeme funktionieren gut, aber mit zehn Prozent Fehlerquote sind sie nicht zuverlässig genug.

„Blitzerversicherung“ werden die Fahrsicherheitsassistenten zur intelligenten Geschwindigkeitsregelung auch genannt, weil sie zusätzlich zum Tempomaten mit Abstandsregler (Adaptive Cruise Control; ACC) auch noch das jeweilige Tempolimit auf Verkehrszeichen oder aus den Navi-Daten lesen und berücksichtigen. Wie effektiv die Intelligent-Speed-Adaptation-Assistenten (ISA) arbeiten und ob sie zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen können, haben wir in einer Studie mit folgenden fünf Pkw untersucht: Audi A4, BMW 7er, Ford Galaxy, Mercedes S-Klasse und VW Arteon.
Zwangsbremsung muss man nicht befürchten
Rund ein Viertel aller Pkw-Unfälle sind laut ADAC Unfallforschung auf nicht angepasste Geschwindigkeit und zu geringen Abstand zurückzuführen. Ursachen, die ein intelligenter Geschwindigkeitsassistent verhindern soll. Deshalb will die EU-Kommission im Rahmen der General-Safety-Verordnung den ISA-Assistenten ab 2022 zur Pflicht machen.
Das Prinzip erscheint auf den ersten Blick überzeugend: Audi A4, BMW 7er, Mercedes S-Klasse und VW Arteon verfügen über regelnde Systeme, die selbstständig den Abstand zum Vordermann wahren sowie über eine Schildererkennung verfügen. Audi, Mercedes und VW passen ihre Fahrweise sogar dem Straßenverlauf und den Kurvenradien an, denn eine nicht angepasste Geschwindigkeit bedeutet, dass für die Straßen- oder Verkehrssituation zu schnell gefahren wird, nicht aber unbedingt die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten ist.
Der Ford Galaxy hat als Einziger eine intelligente Limiter-Funktion: Hier hat der Fahrer den Fuß am Gaspedal, aber sobald der Wagen schneller als vorgeschrieben fährt, reduziert das System selbsttätig die Geschwindigkeit, indem es den Motor drosselt. Angst vor einer Zwangsbremsung muss aber niemand haben, bei allen Fahrzeugen lässt sich das System übersteuern, zum Beispiel durch Gasgeben.
Assistenten nehmen Fahrer nicht aus der Verantwortung
Als umständlich erwies sich der ISA-Assistent von BMW, der bei jeder Geschwindigkeitsänderung eine Bestätigung per Knopfdruck vom Fahrer verlangt. Das stellt zwar sicher, dass kein Erkennungsfehler zum falschen Tempo führt, Erkennungs- und Kartenfehler sind jedoch die Schwachpunkte bei allen ISA-Kandidaten im Test. Dr. Reinhard Kolke, Leiter des ADAC Technik Zentrums: "Wir haben bei den Systemen eine Fehlerquote von durchschnittlich 10 Prozent festgestellt und raten daher dringend, sich nicht blind auf einen solchen Assistenten zu verlassen. Blitzt es doch, bleibt in jedem Fall der Fahrer verantwortlich."
Die Ergebnisse der ISA-Studie im Detail
Intelligent Speed Adaption | Audi A4 | BMW 7er | Ford Galaxy | Mercedes S-Klasse | VW Arteon |
---|---|---|---|---|---|
Datenquelle | GPS & Kamera | GPS & Kamera | GPS & Kamera | GPS & Kamera | GPS & Kamera |
Limiter und ACC-Funktionen (wenn aktiv) | |||||
Fahrzeug wird gemäß Tempolimit gedrosselt (Limiter) | - | - | + | - | - |
Fahrzeug regelt automatisch gemäß Tempolimit (ACC) | + | - | - | + | + |
Fahrzeug regelt mit einstellbarer Toleranz (km/h) | - | + 15 | + 10 | - | - |
Fahrzeug bremst (bei zu hoher Geschwindigkeit) | + | + | - | + | + |
System beachtet im ACC die Nebenspur (überholt nicht rechts) | + | - | - | + | + |
Warnungen | |||||
Optische und akustische Warnung | - | - | + | + | + |
Warnung kann personalisiert werden (Lautstärke, ...) | - | - | + | + | + |
Warnschwelle kann angepasst werden (km/h) | + 15 | - | + 40 | + 30 | + 20 |
Intelligenz | |||||
Geschwindigkeit wird an Kurvenverlauf angepasst | + | - | - | + | + |
Fahrmodi (Sport, Komfort) beeinflussen die Regelung | + | - | - | + | + |
Fahrtrichtungsanzeiger (Blinken) wird berücksichtigt | - | - | - | + | - |
Beschränkungen (z. B. "bei Nässe") werden erkannt und umgesetzt | + | + | + | + | + |
Vorfahrtsregelungen werden beachtet (Warnung) | - | + | - | - | - |
Ampeln werden berücksichtigt | - | - | - | - | - |
Kreisverkehrsplätze und Kreuzungen werden berücksichtigt | + | - | - | + | + |
Diese Systeme von Geschwindigkeitsassistenten gibt es
- Limiter: Oft auch bezeichnet als Geschwindigkeitsbegrenzer (MSA). Der Assistent begrenzt die Fahrgeschwindigkeit auf das eingestellte Limit oder gibt eine Warnung aus.
- Tempomat: Oft auch bezeichnet als Geschwindigkeitsregelanlage (GRA). Das Fahrzeug fährt automatisch die vom Fahrer eingestellte Wunschgeschwindigkeit.
- ACC (Adaptive Cruise Control): Oft auch bezeichnet als Abstandsregeltempomat. Hält, genauso wie der Tempomat, die eingestellte Geschwindigkeit. Bei Bedarf wird zusätzlich vom System leicht gebremst, um den notwendigen Sicherheitsabstand zum Vordermann einzuhalten.
- ISA (ISA Intelligent Speed Adaptation): passt die Fahrgeschwindigkeit intelligent an, indem z. B. Tempolimits oder Straßenverläufe berücksichtigt werden. Aktuelle Systeme arbeiten mit dem Limiter oder dem ACC zusammen.
Einzelbewertungen





Unser Fazit
Da es sich bei dem Versuch um eine Stichprobe mit verhältnismäßig wenigen Ereignissen handelte (103 befahrene Schilder), lassen sich die Ergebnisse nur als grobe Tendenz werten. Dennoch kann man aus der Studie die wichtige Erkenntnis ableiten, dass die Systeme zwar gut, aber noch nicht gut genug sind. Besonders das Kartenmaterial der Navigationsgeräte, auf die einige ISA-Systeme zurückgreifen, scheint fehlerhaft zu sein. Gerade in Bezug auf die verpflichtende Einführung einer "Zwangsbremse" ist die relativ hohe Fehlerquote inakzeptabel, nicht zuletzt auch für den nachfolgenden Verkehr. Mit aktivem Geschwindigkeitsassistenten kann man häufig beobachten, dass die "klassischen Fahrer" nach und nach zum Überholen ansetzen. Fährt das Auto automatisiert oder gar autonom, wäre daher aus Verbrauchersicht zumindest eine möglichst geringe Tachoabweichung wünschenswert.
Abweichungen nach Geschwindigkeit
50 km/h | 80 km/h | 100 km/h | 120 km/h | 130 km/h | |
---|---|---|---|---|---|
Audi A4 | 3,8 %, 1,9 km/h |
3,0 %, 2,4 km/h |
2,4 %, 2,4 km/h |
2,4 %, 2,9 km/h |
3,5 %, 4,6 km/h |
BMW 7er | 5,6 %, 2,8 km/h |
4,1 %, 3,3 km/h |
4,2 %, 4,2 km/h |
4,3 %, 5,2 km/h |
3,8 %, 4,9 km/h |
Ford Galaxy | 6,2 %, 3,1 km/h |
3,8 %, 3,0 km/h |
4,1 %, 4,1 km/h |
3,5 %, 4,2 km/h |
3,2 %, 4,2 km/h |
Mercedes S-Klasse | 5,6 %, 2,8 km/h |
4,8 %, 3,8 km/h |
3,6 %, 3,6 km/h |
3,6 %, 4,3 km/h |
3,0 %, 3,9 km/h |
VW Arteon | 2,2 %, 1,1 km/h |
2,4 %, 1,9 km/h |
2,5 %, 2,5 km/h |
2,8 %, 3,4 km/h |
2,6 %, 3,4 km/h |
Die getesteten Assistenten sind in Bedienung und Wirkungsweise sehr unterschiedlich, gerade in Bezug auf die Fahrereinbindung gehen die Hersteller unterschiedliche Wege. Um die Systeme ohne große Ablenkung und im vollen Umfang nutzen zu können, ist eine gewisse Einarbeitung erforderlich. Dabei darf nicht vergessen werden, dass sämtliche Assistenten den Fahrer lediglich unterstützen und ihn nicht von der Fahraufgabe entbinden. Das hat letztlich auch die relativ hohe Fehlerquote verdeutlicht. Bei den intelligenten Geschwindigkeitsassistenten sind vor allem aktuelle und fehlerfreie Kartendaten unverzichtbar, aber auch die Verkehrszeichenerkennung bei schlechten Witterungsbedingungen muss zuverlässiger werden. Schon heute unterstützen Assistenten den Fahrer beim Einhalten von Abstand und Geschwindigkeit und erhöhen dadurch die Sicherheit. Mit zunehmender Intelligenz, Zuverlässigkeit und steigender Akzeptanz könnten sie die Unfallzahlen weiter senken.
Unsere Empfehlungen
- ISA-Systeme sollten jederzeit übersteuerbar sein und sich dauerhaft vom Fahrer abschalten lassen, auch weil die Qualität der örtlichen Geschwindigkeitsbeschränkungen stark variiert.
- Eine Ausrüstungsvorschrift hält der ADAC aktuell für nicht erforderlich. Bedien- und Anzeigeelemente sollten für den Fahrer gut sichtbar und erreichbar sein.
- Der Systemstatus soll jederzeit ersichtlich sein, mögliche Störungen müssen dem Fahrer klar kommuniziert werden (z. B. bei wetterbedingter Störung).
Tipps für Autofahrer
- Vor der Abfahrt mit dem System vertraut machen.
- Fahrerassistenzsysteme sollten generell nur genutzt werden, wenn es die Verkehrslage und/oder die Witterungsbedingungen zulassen.
- Kartenmaterial/Navigationsdaten durch regelmäßige Updates aktuell halten.
- Warnungen (Lautstärke, Toleranz) wenn möglich personalisieren.
- Tempolimits beobachten und nicht auf das System verlassen.
- Komfortsysteme, wie z. B. ACC/ISA, vor dem Kauf beim Händler ausprobieren.
- Die Geschwindigkeit dem Verkehrsgeschehen, den Straßen- und Witterungsverhältnissen anpassen und vorausschauend fahren.
ADAC Position zur General-Safety-Verordnung der EU
Der ADAC sieht das Sicherheitspotenzial von ISA, hält die Systeme zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch noch nicht für ausreichend erprobt und ausgereift. Er hatte sich deshalb gegen die Ausrüstungsvorschrift ausgesprochen. Den Bedenken des ADAC wurde immerhin Rechnung getragen, indem der europäische Gesetzgeber übersteuerbare und abschaltbare ISA Systeme vorschreibt. Darüber hinaus muss die EU-Kommission fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung die Zuverlässigkeit und Effizienz von ISA prüfen und ggf. einen Legislativvorschlag vorlegen.
So sind wir bei unserer Studie vorgegangen
Bei unserer Studie stand die Prüfung der technischen Zuverlässigkeit der Systeme im Vordergrund. In diesem Zusammenhang ist besonders die Erkennungsrate von Tempolimits relevant. Aus diesem Grund wurden die Fahrzeuge im Realverkehr geprüft und die Systemanzeigen dokumentiert. Die Reaktionen auf stationäre und temporäre Verkehrszeichen wurden ebenso analysiert wie die auf Spielstraßen, Ortsein- und -ausfahrten, bedingte Limits (z. B. "100 km/h bei Nässe") und elektronische Wechselverkehrszeichen. Wurde eines der Schilder nicht oder falsch interpretiert (z. B. 60 km/h statt 80 km/h), gab es dafür einen Abzug.
Die etwa 110 km lange Teststrecke führte in einem festgelegten Rundkurs über Autobahnen, Schnell-, Bundes- und Landstraßen durch diverse Ortschaften. Mehr als 100 Verkehrszeichen mussten erkannt werden. Geschwindigkeitsreduzierungen aufgrund des Straßenverlaufs (zum Beispiel an einer scharfen Kurve) wurden nicht bewertet.
Kontakt zur Redaktion: redaktion@adac.de
Fotos: ADAC / Uwe Rattay