"China ist eindeutig Leitmarkt bei der Elektromobilität"

Bosch Elektromobilitätschef Marco Zehe im Interview
Marco Zehe ist beim Automobilzulieferer Bosch für Elektromobilität zuständig© Bosch

Seit 25 Jahren im Geschäft: Marco Zehe leitet beim Autozulieferer Bosch die Sparte für Elektromobilität. Im Interview erklärt er, wie die Chinesen sich auch in Europa durchsetzen könnten und durch welche Technologien E-Autos attraktiver werden könnten.

ADAC Redaktion: Herr Zehe, Sie sind jetzt seit 25 Jahren bei Bosch. Welche Veränderung hat Sie in dieser Zeit am meisten beeindruckt?

Marco Zehe: Die Vernetzung des Autos. Wenn ich einen Pkw des Jahrgangs 2000 mit einem aktuellen Modell vergleiche, dann sieht man die enorme Veränderung. Es ist wie beim Mobiltelefon. Vor 25 Jahren hatte ich ein Handy, nur zum Telefonieren. Heutige Smartphones eröffnen eine Vielzahl an Möglichkeiten.

Mit der Antriebswende geht es dagegen viel langsamer voran. Liegt das am mangelnden Interesse der Hersteller?

Nein, schlussendlich entscheidet der Konsument darüber, welches Fahrzeug gekauft wird. Für Bosch wie die gesamte Autoindustrie ist die Antriebswende ein zentrales Thema und wird das auch bleiben. Aber das Umfeld ist anspruchsvoll. Bei der Ladeinfrastruktur, zum Beispiel, herrscht immer noch große Unsicherheit. Mancher Kunde fragt sich auch, ob ein E-Auto genauso zuverlässig wie ein Verbrenner ist. Ebenfalls wichtig: Wie sieht es beim Weiterverkauf aus? Gibt es einen Gebrauchtwagenmarkt, und ist der Preis einigermaßen kalkulierbar?

Sehen Sie da Fortschritte?

Ja, ich glaube schon, dass es kalkulierbarer wird. Und es wird auch weiterhin technische Veränderungen geben, die Elektroautos noch interessanter machen. Ein solches Thema könnte zum Beispiel die Nutzung der Batterie im E-Auto als Stromspeicher fürs Haus sein.

Der Automobilzulieferer Bosch

Bosch ist ein führender Automobilzulieferer mit Sitz in Stuttgart und bietet den Autoherstellern eine breite Palette an Produkten für ihre Fahrzeuge an. Dazu gehören eine Vielzahl von traditionellen Komponenten für Verbrennungsmotoren, längst aber auch Komponenten für Hybridantriebe und Elektroautos. Bosch beschäftigt weltweit rund 418.000 Mitarbeitende und erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2024 einen Umsatz von 90,3 Milliarden Euro.

Marco Zehe ist Vorsitzender des Geschäftsbereichs Elektromobilität ("Electrified Motion") und seit dem Jahr 2000 in verschiedensten Positionen ohne Unterbrechung bei Bosch beschäftigt.

Gibt es auch beim Einstiegspreis für E-Autos Hoffnung auf Fortschritte?

In China fassen niedrige Leistungs- und damit günstigere Preisklassen mehr und mehr Fuß, auch aus Indien gibt es dazu Anfragen. Das wird sicherlich auch in Europa kommen und zu sinkenden Preisen führen.

Was trägt Bosch zum Fortschritt beim E-Auto bei?

Bosch kann Fahrzeuge vom E-Bike bis zum Lkw mit elektrischen Antrieben versorgen. Wir haben vom kleinsten Elektronikchip bis zur Antriebsachse alles im Haus. Wir können noch weiter Effizienz gewinnen, indem wir unsere Chips auf Basis von Siliziumkarbid einsetzen, die unter anderem eine bessere Leitfähigkeit als klassische Silizium-Chips haben. Wir bieten auch 800-Volt-Technologie an, um noch schneller zu laden.

2012 versprach der damalige Geschäftsführer Dr. Bohr im Interview mit dem ADAC, Bosch werde zur Nummer 1 in der Elektromobilität. Ist das gelungen?

Für unser Marktsegment würde ich durchaus sagen: Auf globaler Ebene sind wir unter den führenden Zulieferern.

Auch in China und den USA?

Mit unserem Joint-Venture UAES sind wir im Bereich E-Mobilitätslösungen auch in China ganz vorne mit dabei. In den USA ist der Markt verhaltener. Dann gibt es auch Hersteller, die sich bei der E-Mobilität noch zurückhalten und eher in Richtung Hybrid-Technologie gehen, aber auch da sind wir aktiv.

Welche Auswirkungen werden die Zölle der USA auf Ihr Geschäft haben?

Für Bosch als international agierendes Unternehmen ist globaler Handel unter fairen Wettbewerbsbedingungen von hoher Bedeutung. Während wir uns auf unseren Ansatz fokussieren, jeweils vor Ort zu produzieren, arbeiten wir gleichzeitig in einem internationalen Produktionsnetzwerk und sind global aufgestellt. Wir evaluieren derzeit die Auswirkungen der angekündigten Zölle auf unsere globalen und regionalen Geschäftsaktivitäten.

Wie gehen Sie auf die Ansprüche der Endverbraucher ein?

Die Endverbraucher-Wünsche können natürlich regional unterschiedlich sein. Im Endeffekt geht es allen bei der Elektromobilität aber um das Gleiche: Bezahlbarkeit, sowohl was die Anschaffungskosten als auch die Betriebskosten – Stichwort Strompreis – angeht, steht an erster Stelle. Dann muss das Laden schnell gehen, es muss unkompliziert ablaufen, und es muss komfortabel sein. Die Reichweiten spielen in allen Regionen auch eine wichtige Rolle. Es sei denn, Sie befinden sich in den großen Megacities, wo es viele Lademöglichkeiten gibt.

Jahrzehntelang hat es einen Technologietransfer aus Europa und den USA nach China gegeben. Müsste es bei der E-Mobilität inzwischen umgekehrt sein?

China ist aktuell eindeutig Leitmarkt bei der Elektromobilität. Die Entwicklungsgeschwindigkeit ist wahnsinnig schnell, der Markt wächst rasant. Es ist aber auch leichter, wenn man ein Geschäft quasi auf der grünen Wiese aufbaut, also bei null anfangen kann.

Gibt es bei Bosch also eine "China-Geschwindigkeit" – und eine Geschwindigkeit für den Rest der Welt?

Das Entwicklungstempo in China ist höher als im Rest der Welt. Wir versuchen, uns dem überall anzugleichen, von dort zu lernen.

Immer mehr chinesische E-Autos werden auch in Europa angeboten. Noch verkaufen sie sich aber nicht besonders gut. Warum?

Die Akzeptanz der Fahrzeuge wird sukzessive besser werden. Schließlich ist die Technologie, die wir in den Autos sehen – und die wir kennen – sehr gut. Die Chinesen wollen auf den europäischen Markt, und vermutlich werden sie das auch schaffen. Spätestens, wenn sie eigene Fertigungen in Europa aufbauen.

Der Kostendruck auf die Hersteller wird größer, der Trend geht zur Standardisierung. Wie werden sich unsere Autos künftig voneinander unterscheiden?

Aus unserer Sicht findet die Differenzierung eher in anderen Domänen wie der Software statt.

Ein Sportwagen zum Beispiel hebt sich doch immer sehr stark über den Antrieb von anderen Modellen ab.

Sportwagen hatten immer und werden immer unterschiedliche Leistungsklassen haben. Was ich meinte, ist beispielsweise die Vernetzung und Digitalisierung im Fahrzeug und mit seiner Umwelt oder das Infotainment als Differenzierungsmöglichkeiten. Hierbei spielt der wachsende Anteil an Software in modernen Fahrzeugen eine große Rolle sowie die Möglichkeit, Autos über Software-Updates aktuell zu halten oder sogar mit neuen Funktionen auszustatten.

Die Politik hat gesagt, 2030 wollen wir 15 Millionen elektrische Autos auf Deutschlands Straßen haben. Die Zielzahl ist aber nicht zu erreichen. Wie gehen Sie damit um? Sie müssen ja den Hochlauf der Elektromobilität mit den Herstellern zusammen planen.

Wir stellen uns nicht mehr ausschließlich auf ein Volumen-Szenario ein, sondern rechnen mit verschiedenen Einflüssen von außen. Auf politischer Ebene kann es Veränderungen geben, in deren Folge Rahmenbedingungen plötzlich nicht mehr gelten. So haben wir es etwa mit dem abrupten Förderstopp für E-Autos Ende 2023 erlebt. Bei Bosch werden wir uns auf alle möglichen Szenarien vorbereiten.

Vielen Dank für das Gespräch.