"Das ist wie beim Streamingdienst, nicht wie beim typischen Autokauf"

Professor Ansgar Staudinger über rechtliche Fragen beim Autokauf direkt beim Hersteller, beim Buchen von vorinstallierten Funktionen wie Sitzheizung und die Vorteile des neuen Kaufrechts für Verbraucher.
Der Autokauf wandelt sich: Kunden konfigurieren ihren Wagen online und kaufen direkt beim Hersteller. Andere nutzen Functions on Demand. Dabei werden im Auto vorinstallierte Funktionen wie Sitzheizung oder Parkassistenz bei Bedarf dazu gebucht und nach Zahlung aktiviert. Darüber und über die Bedeutung des 2022 reformierten Kaufrechts sprach die ADAC Redaktion im Vorfeld des Deutschen Autorechtstags* mit Professor Ansgar Staudinger. Der Jurist, der an der Universität Bielefeld lehrt, ist Präsident des Autorechtstags.
ADAC Redaktion: Immer mehr Menschen konfigurieren ihr Auto im Internet, kaufen direkt beim Hersteller. Der Händler ist höchstens noch Vermittler. Was heißt das für Verbraucher?
Professor Staudinger: Wenn ich im Internet das Auto konfiguriere und den Kaufvertrag mit dem Hersteller abschließe, ist mein Vertragspartner nicht um die Ecke erreichbar, wie früher das Autohaus. Mein Ansprechpartner ist nicht real in meiner Stadt als Verkäufer greifbar, sondern ist ein Hersteller, der womöglich in der Ferne sitzt. Das Zweite, was ich bedenken muss: Bei Streitfällen muss ich genau wissen, wer mein Vertragspartner und damit auch mein Anspruchsgegner ist. Das kann Konsequenzen haben, wenn sich der Konflikt nicht friedlich außergerichtlich lösen lässt, sondern vor Gericht ausgetragen werden muss. Dann stellt sich die Frage, wo ich klagen muss – in der Regel dort, wo mein Gegner ansässig ist.
Bisher ist es doch so, dass der Hersteller eine Garantie gibt und der Händler für die Sachmängelhaftung Ansprechpartner ist. Beim Direktvertrieb liegt alles in einer Hand. Ist das gut oder schlecht?
Entscheidend bleibt, wer einem was verkauft und was er verspricht. Also wer für die gesetzliche Sachmängelgewährleistung einsteht und wer mein Garantiegeber ist. Garantien sind eine zweite, eigene Spur. Das muss man von der Mängelgewährleistung trennen. Es kann sein, dass die nur zwei Jahre währt, aber daneben eine Garantie über fünf Jahre besteht. Das ist schon bislang nicht einfach. Wenn ich einen Wagen im Autohaus kaufe, bekomme ich von dort die Gewährleistung. Dem Kunden muss deutlich gemacht werden, was aus der gesetzlichen Gewährleistung und was daneben aus der Garantie folgt. Der Verbraucher muss erkennen, dass er möglicherweise zweigleisig vorgehen kann.
Haben Sie schon von Streitfällen gehört, die sich aus dem Direktvertrieb ergeben?

Seit Anfang 2022 haben wir ein neues Kaufrecht, auch mit Aussagen zu Garantien und Fragestellungen zu digitalen Elementen und Produkten. Merkwürdig ist, dass erst jetzt erste Streitfälle verhandelt werden. Aber Sie mussten ja erst mal einen Kaufvertrag nach neuem Recht haben, und es musste ein Mangel- oder Garantiefall auftreten, der vor Gericht geht. Und die Mühlen unserer Justiz sind nicht die schnellsten.
Was ist denn bei einer Reparatur? Wer bestimmt, wo ich reparieren lassen darf?
Wenn ein Mangel am Auto auftritt, muss ich meinem Verkäufer erst mal die Möglichkeit geben, zu prüfen, ob es ein Mängelgewährleistungsfall ist. Ich muss nach neuem Recht nicht mehr unbedingt eine Frist für die Nacherfüllung setzen. Aber mein Vertragspartner muss prüfen dürfen, ob wirklich ein Mangel vorliegt, der von Anfang an bestand. Oder ob Missbrauch oder falscher Gebrauch die Ursache ist. Dafür muss das Auto natürlich untersucht werden. Ein Beispiel: Ich wohne in Bielefeld und kaufe bei einem Autohaus in Hamburg einen Wagen, egal, ob neu oder gebraucht. Dann muss ich dem Verkäufer in Hamburg die Gelegenheit geben, den Wagen mal unter die Lupe zu nehmen. Wenn ich ihn dort ausgeliefert bekommen habe, habe ich die Pflicht, ihn dafür dorthin zurückbringen. Eine andere Konstellation ist, dass ein im Internet konfiguriertes Auto mir nach Hause geliefert wird. Dies müsste juristisch eine Auswirkung auf den Ort der Nacherfüllung haben. Es wird letztlich im Interesse des Verkäufers, also des Herstellers sein, dass er mir ein Netzwerk von Partnerwerkstätten nennt, an die ich mich wenden kann.
Auf dem Autorechtstag geht es auch um Functions on Demand. Wer ist denn mein Vertragspartner bei vorinstallierten Funktionen wie Sitzheizung oder Parkassistent, die ich für immer oder für eine bestimmte Zeit nachbuche?
Das ist wie bei einem Streamingdienst, nicht wie bei einem typischen Autokauf. Hier nutze ich auf Zeit eine gewisse Funktion. Das hat juristisch eher den Anstrich einer Miete. Wenn ich die Funktion nutze, schaltet mir der Autohersteller diese frei. Ich zahle für die Nutzungsdauer ein Entgelt. Und nach der vereinbarten Nutzungsdauer wird die Funktion wieder abgeschaltet.
Was bedeutet das für Verbraucher?
Heute kaufe ich ein Auto mit digitalen Komponenten wie einem Navigationssystem. Und all das ist für immer meines. Da gibt es schon genug Probleme, weil man sich bei digitalen Features immer fragt, wie lange muss zum Beispiel mein Navigationsprogramm aktuell gehalten werden. Nur für zwei Jahre, die durch die normale Sachmangelgewährleistung abgedeckt ist? Und bewege ich mich im normalen Kaufrecht oder gibt es Sonderregeln für Digitales? Und das wird noch komplizierter, wenn ich das Auto, technisch laienhaft ausgedrückt, mit voller Ausstattung kaufe, aber nicht alle Elemente aktiviert sind, sondern ich die punktuell dazu kaufe oder miete.
Welche rechtlichen Fragen ergeben sich daraus?
Da stellt sich erst mal die Frage, von wem kann ich was eigentlich beanspruchen. Und wer ist mein Ansprechpartner, wenn etwas nicht funktioniert? Schon heute sind Autos oft eine Hülle mit viel Digitalem. Da stellt man sich immer die Frage, was ist bei einem kaputten Motorblock und was bei einem nicht mehr aktuellen Navigationssystem. Das wird nicht einfacher, wenn ich jetzt ein Auto mit einem Navi kaufe, was noch schläft. Was sich aber scharfschalten lässt, wenn ich zusätzlich dafür zahle. Die Rechtslage wird komplizierter.
Haben Sie eine Idee, wohin diese Entwicklung führen könnte?
Ich denke, dass Functions on Demand den Konfigurationsprozess verschlanken. Wahrscheinlich geben die Hersteller demnächst Autos mit einer denkbar vollumfänglichen Ausstattung ab. Also mit vielen Elementen, die ich bei Bedarf aktivieren kann. Früher musste man sich beim Kauf entscheiden, ob man eine Sitzheizung haben will oder nicht. Wenn der Zug dahin geht, dass der Konfigurationsprozess sich so verändert, ist das eine ähnliche Entwicklung wie im Reiserecht. Früher sind Reisen vor allem stationär durch Reisebüros vertrieben worden. Dann hat man festgestellt, dass das auch virtuell über Buchungsplattformen geht. Und jetzt setzen viele Veranstalter auf den Direktvertrieb. Also buchen Sie die Kreuzfahrt direkt dort und nicht über ein Reisebüro oder einen Vermittler im Internet. In vielen Bereichen werden die Zwischenstufen abgerüstet, auch im Autohandel wird das den Markt verändern. Das klassische Autohaus gerät unter Beschuss.
E-Autos sind auch auf dem Autorechtstag ein Thema. In der Regel geben die Hersteller bei der Batterie acht Jahre Garantie und/oder auf eine bestimmte Laufleistung. Gibt es hier rechtliche Probleme?
Bei der Batterie ist die Frage, wie lange sie hält und wie teuer ein Ersatz wird. Viele Hersteller geben nicht offen an, was eine neue Batterie isoliert kosten würde. Früher war es für eine Weile möglich, ein günstiges E-Auto zu kaufen und die Batterie zu mieten. Ein vernünftiges und umweltpolitisch sinnvolles Modell, weil so ein E-Auto für kleines Geld zu kaufen war. Bei der Miete der Batterie wurde in den Geschäftsbedingungen festgelegt, dass den Kunden, die trotz Mahnung nicht zahlten, die Auflademöglichkeit aus der Ferne abgeschaltet wurde. Das nannte man digitale Selbstjustiz. Der Bundesgerichtshof hielt dieses Geschäftsmodell für rechtlich unzulässig.
Sie haben das neue Kaufrecht angesprochen. Wie hat sich das ausgewirkt?
Für die Verbraucher ist der Rücktritt bei einem mangelhaften Produkt einfacher geworden. Außerdem ist es für gewerbliche Verkäufer schwerer, aus der Sachmängelgewährleistung herauszukommen. Denn sie müssen sehr, sehr genau darauf achten, dass all das, was sie verkaufen, dem entspricht, was sie in Aussicht stellen. Die Sache, hier das Auto, darf auch nicht von dem abweichen, was normal üblich und zu erwarten ist. So muss der Händler bei einem Gebrauchtwagen eine atypische Nutzung angeben, dass er zum Beispiel aus einer Mietwagenflotte stammt. Der europäische Gesetzgeber geht davon aus, dass einer Profi ist, der Verkäufer. Und der Käufer ist juristischer und technischer Laie. Und dem muss das Unangenehme und das abweichend Negative deutlich vor Augen geführt werden.
Was hat sich noch geändert?
Es gibt einen weiteren Punkt, über den sich viele Autohändler aufregen. Der Verbraucher kann sogar von einem Vertrag Abstand nehmen, wenn das Auto einen Mangel hat, den ich kenne. Ein Beispiel: Sie kaufen ein Auto mit einem Hagelschlag und kommen nach zwei Wochen wieder und machen den Vertrag rückgängig. Dann sagt der Händler, "Das hast du doch gesehen, das war doch offensichtlich". Der europäische Gesetzgeber und im Vollzug der deutsche sagen: Nur wenn der Händler im Vertrag deutlich auf diesen Nachteil hinweist, ist er geschützt. Außerdem hat sich die Beweislastumkehr von sechs auf zwölf Monate verdoppelt. (Anmerkung der Redaktion: Erst nach einem Jahr liegt jetzt die Beweislast für einen Mangel beim Käufer und nicht mehr beim Verkäufer.) In der Gesamtschau steht der Unternehmer mit dem neuen Recht schlechter da, der Verbraucher besser.
* Durch Anklicken des Links werden Sie auf eine externe Internetseite weitergeleitet, für deren Inhalte der jeweilige Seitenbetreiber verantwortlich ist.