Senioren am Steuer: besser als ihr Ruf

In Deutschland gibt es keine Altersgrenze für den Führerschein. Auch wenn mit dem Alter Reaktionsfähigkeit und Sehvermögen nachlassen können, setzt man hierzulande auf Eigenverantwortung statt Eignungstest oder Entzug. Der Fahr-Fitness-Check des ADAC Südbayern hilft bei der Überprüfung der eigenen Fahrtauglichkeit und sorgt für ein sicheres Gefühl am Steuer.
Auf das Auto zu verzichten ist eine Herausforderung. In ländlichen Gegenden mehr denn in der Stadt. Für ältere Menschen häufig noch mehr als für Jüngere. Denn das eigene Auto bietet Mobilität und Unabhängigkeit. Aber wie ist es um Fahrtauglichkeit älterer Menschen bestellt? Auch wenn die sogenannten Best Ager durch ihre langjährige Fahrpraxis als erfahrene und zuverlässige Verkehrsteilnehmer gelten, lassen andererseits körperliche Fähigkeiten und Reaktionsvermögen mit zunehmendem Alter erwiesenermaßen oft nach. Sind ältere Verkehrsteilnehmende also eine Gefahr für den Straßenverkehr? Sollte ihnen ab einem bestimmten Alter gar der Führerschein entzogen werden? „Nein“, meint Fahrlehrer Stefan Kandler aus Penzing. Er bietet im Auftrag des ADAC den Fahr-Fitness-Check für Senioren an. „Ich habe letztes Jahr mit über 90-Jährigen den Check absolviert und alle waren noch fahrtüchtig“, sagt Kandler. „Letzte Woche bin ich hingegen mit einer 56-jährigen Frau mit beginnender Demenz gefahren und das war schon grenzwertig. Man kann Fahrtüchtigkeit nicht nur am Alter festmachen. Das ist immer individuell abhängig.“ Vor diesem Hintergrund spricht sich der ADAC auch gegen gesetzliche Altersgrenzen oder verpflichtende Test aus und setzt auf freiwillige Angebote.
Kein Risiko für den eigenen Führerschein
Den Fahr-Fitness-Check hält der Fahrlehrer für eine gute Sache. Er richtet sich an ältere, noch regelmäßig Auto fahrende Personen, die gemeinsam mit qualifizierten Fahrlehrern ihre persönlichen Fahrfertigkeiten bewerten möchten. Wichtig ist dabei vor allem eins: die Freiwilligkeit. „Seniorinnen und Senioren erhalten eine Fremdeinschätzung über das eigene Fahrverhalten von einem unabhängigen, neutralen Experten“, erklärt Kandler. „Dabei geht es um offenes und ehrliches Feedback eines Profis, ohne den Druck, den Familienangehörige vielleicht aus Sorge aufbauen, wenn sie eine Diskussion über das Autofahren im Alter anfangen.“ Dementsprechend ist der Check nicht nur freiwillig, er hat auch keine Konsequenzen für den eigenen Führerschein. Die Fahrer erhalten lediglich Tipps und Ratschläge. Das Ergebnis wird nicht an die Behörden weitergeleitet. Selbst bei einem schlechten Ergebnis droht damit kein Führerscheinentzug.
Neue Sicherheit gewinnen
Kandler sieht vor allem die positiven Auswirkungen eines solchen Checks. „Teilnehmende werden durch die Bestätigung der eigenen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie das wertschätzende Feedback motiviert. Sie erhalten eine neue Sicherheit, die sich auf das Verhalten im Straßenverkehr positiv auswirkt.“ 45 Minuten dauert eine solche Testfahrt. Die Strecke führt durch die eigene Region und wird im eigenen PKW absolviert. Hinzu kommt ein intensives Vorgespräch und eine Nachbesprechung mit Handlungsempfehlungen. Auch das verschafft laut Kandler Sicherheit. Bisher gab es nur einen Fall, in dem der Fahrlehrer zu einer Abgabe des Führerscheins geraten hat.
„Die meisten Senioren, die ich begleiten durfte, fahren ruhiger und entspannter als meine jüngeren Fahrschülerinnen und Fahrschüler.“
Stefan Kandler, Fahrlehrer©privat
Diskussion um Führerscheinprüfung
In einigen europäischen Ländern wie Dänemark, den Niederlanden, Spanien, Italien oder Tschechien gibt es verpflichtende Fahrtauglichkeitsprüfungen oder Gesundheitstests für ältere Autofahrende. Auch in Deutschland wird das Thema immer wieder diskutiert. Dabei sind Senioren laut Statistischem Bundesamt, gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung, seltener in Verkehrsunfälle verstrickt als Jüngere. Was allerdings nicht den Umkehrschluss zulässt, dass sie per se sicherer fahren. „Die geringere Unfallbeteiligung dürfte insbesondere daran liegen, dass ältere Menschen seltener als jüngere am Straßenverkehr teilnehmen, unter anderem, weil sie nicht mehr zur Arbeit fahren“, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts. Daten des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr belegen ebenfalls, dass Senioren mit steigendem Alter deutlich weniger Kilometer fahren.
Senioren oftmals Unfallverursacher
Gleichzeitig zeigen aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts auch: wenn Senioren in Verkehrsunfälle mit Personenschaden verwickelt sind, tragen sie meist die Hauptschuld. Im Jahr 2023 waren die über 65-Jährigen in mehr als zwei Drittel der Unfälle (68,1 %) die Hauptverursachenden. Bei den über 75-Jährigen wurde ihnen sogar bei drei Viertel der Unfälle die Hauptschuld zugewiesen (76,7 %). Während bei jüngeren Fahrern Geschwindigkeit oder mangelnder Abstand häufiger Unfallursache sind, fahren ältere Verkehrsteilnehmer vorausschauender und angepasst. Bei ihnen werden Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren und Missachtung von Vorfahrt oftmals zum Unfallverhängnis. Mögliche Gründe sieht Experte Kandler in altersbedingten Ursachen. „Wenn der klassische Schulterblick weh tut, weil jede körperliche Bewegung schmerzt, dann ist das natürlich ein Risiko.“
Der Fahr-Fitness-Check setzt auch hier an und sensibilisiert Senioren für diese Risiken. Für die Zukunft wünscht sich Kandler deshalb, dass noch mehr Seniorinnen und Senioren am Fahr-Fitness-Check teilnehmen. „Wir leben in einer immer älter werdenden Gesellschaft. Die Zukunft liegt also bei den Älteren.“