Digitalisierung und Disruption in der Mobilität
Ob Park-Apps, Sensoren im Auto oder Verkehrsdaten in Echtzeit: Die Digitalisierung ist in der Verkehrswelt weit vorangeschritten und wird unsere Mobilität grundlegend verändern. Ein Überblick des ADAC Mobilitätsexperten Prof. Dr. Roman Suthold in seiner regelmäßigen Kolumne.
Die Musikbranche war die erste Branche, die den disruptiven Wandel durch Digitalisierung zu spüren bekommen hat. Gefolgt von der Filmbranche, dem Telekommunikationssektor und nicht zuletzt der Finanzbranche. Durch Smartphones und entsprechende Apps ist auch der Mobilitätssektor für die Start-ups und Big-Data-Player interessant geworden. Mit der Einführung der App-basierten Mobilität treten die Wegeketten in den Fokus und die Mobilität wird stärker als Service interpretiert.
Auf dem Mobilitätsmarkt lassen sich drei Ebenen des Wandels beobachten:
App-basierte Mobilität (Systemebene) stellt die Mobilitätsketten (von A nach B kommen) in den Fokus, nicht das einzelne Verkehrsmittel. Außerdem werden automatisierte Bezahlvorgänge implementiert.
Die Effizienzebene sorgt für eine höhere Auslastung der Fahrzeuge (Teilen von Fahrzeugen), höhere Wirkungsgrade der Antriebe (Emissionseffizienz) und mehr E-Mobilität.
Die Zeitebene definiert das Auto als dritten Lebensraum neben „Arbeit“ und „Zuhause“, mit dem man Geld verdienen kann. Die durch autonomes Fahren gewonnene Zeit soll ökonomisch genutzt werden („Zeit als Währung”).
Einer der ersten Bereiche im Mobilitätssektor, der Digitalisierung und Disruption zu spüren bekommen hat, waren die Taxirufzentralen. Mit myTaxi (heute: FREENOW) konnte der Kunde direkt und ohne Kenntnis regionaler Taxirufnummern günstig ein Taxi rufen. Die 2009 entwickelte App stellte eine direkte Verbindung zwischen Fahrgast und Taxifahrer her, was vorher nur über die Taxizentrale möglich gewesen ist. Heute bietet die App verschiedene Mobilitätsservices an.
Aber auch die Branche der Beförderungsdienstleister selbst steht mit den bis zur Corona-Pandemie boomenden digitalisierten Angeboten auf verschiedene Weise in Konkurrenz (siehe Grafik).
Der klassische ÖPNV hat Fahrpläne und Fahrkartenverkauf digitalisiert und die manuelle Suche von Verbindungen und Umstiegen überflüssig gemacht. Aufgewertet wird er durch Echtzeitdaten über Position und Auslastung (im Fernverkehr) der Verkehrsmittel. Die Störungsinformation und die Tarifgestaltung können noch verbrauchfreundlicher gestaltet werden. Optimierungsansätze wie Ridepooling und Ridesharing (siehe Grafik), die die Auslastung der Fahrzeuge erhöhen, können den klassischen ÖPNV ergänzen und den Stadtverkehr entlasten.
Hierfür muss das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) novelliert und die extreme Regulierung insbesondere im Taximarkt reduziert werden. Denn die neuen Mobilitätsangebote können nach aktueller Rechtsprechung nicht langfristig rechtssicher umgesetzt werden. Diese Konstellation ist unattraktiv für neue Anbieter und hemmt die Ausbreitung neuer Mobilitätsformen. Kern des Streits in der Taxibranche ist, dass neue Anbieter (z.B. Uber) am Taximarkt teilnehmen, aber nicht demselben Rechtsrahmen unterliegen (z.B. Beförderungspflicht vs. Rückkehrpflicht). Abzuwarten ist, wie sich die Novellierung des PBefG auf den öffentlichen Verkehr auswirkt.
Wichtig für die Zukunft des ÖPNV ist mehr Effizienz und Flexibilität im neuen PBefG!
Mehr Parkplätze ohne neue versiegelte Flächen
Auch im Individualverkehr hat die Digitalisierung breiten Einzug gehalten. Mit Navigationsgeräten und entsprechenden Apps ist die Routenwahl zum Kinderspiel geworden. Aktuell steht die Digitalisierung des Parkraums im Fokus.
Inzwischen bieten Start-Ups verschiedene Systeme an. Einerseits werden Systeme für Parkhäuser entwickelt. Ein- und Ausfahrvorgänge samt Zahlungsabwicklung erfolgen kontaktlos und digital, werden monatlich abgerechnet und die im System hinterlegten Parkhäuser sind im Fahrzeugnavigationsgerät direkt anwählbar (z.B. die Software-as-a-Service-Lösung von evopark). Andererseits sind Modelle bereits in der Anwendung, die das Parken im öffentlichen Raum optimieren. Mit Bodensensoren oder Überkopfradar an Straßenlaternen werden freie Parkplätze erfasst. In Köln gibt es bereits Straßenlaternen, die von weitem über Ampelfarben Auskunft über die Parkplatzsituation in der Straße geben. Dies stellt auch eine Entlastung der Anwohner dar.
"Wenn Daten das neue Öl sind, können Autos die effektive Bohrplattform sein."
Eine dritte Möglichkeit ist das Teilen von Parkplätzen, die sonst ungenutzt wären. Garageneinfahrten von Privatleuten oder auch der mit einer Schranke ausgestattete Mitarbeiterparkplatz können über eine App (z.B. die peer-to-peer-Lösung von Ampido) genutzt werden. Mit intelligenten Parkraumlösungen über Apps wird der Parksuchverkehr reduziert und das bestehende Parkraumangebot effizienter genutzt, ohne neue Flächen zu versiegeln.
Intelligente Routenführung für zwei Prozent der Autofahrer erhöht den gesamten Verkehrsfluss
Doch auch die Routenwahl hat noch Optimierungspotenzial. Die intelligente Navigations-App NUNAV nutzt beispielsweise Schwarmintelligenz und kollaboratives Routing. Ein Teil der App-Nutzer wird über den kürzesten Weg geführt, während andere Nutzer über verschiedene Strecken geführt werden. So werden der Gesamtverkehr stärker verteilt und Stauspitzen abgeflacht. Oft reicht schon eine intelligente Routenführung für zwei Prozent der Verkehrsteilnehmer, um den Verkehrsfluss insgesamt zu erhöhen.
Aktuelle Fahrzeuge haben viele Sensoren, mit denen „nebenbei“ Daten für andere Zwecke generiert werden können, wie etwa für lokale Wettervorhersagen. Wenn Daten das neue Öl sind, dann können Autos in Zukunft die effektive Bohrplattform hierfür sein. (Leih-) Fahrzeuge werden dabei als ultimative mobile Endgeräte genutzt (z.B. UZE Mobility). Aber auch die Infrastruktur wird smart: Die Stadt Wuppertal hat z.B. Lichtsignalanlagen mit Bluetooth-Detektoren ausgestattet, um Echtzeitverkehrsströme genauer zu erfassen und die Ampelphasen entsprechend anzupassen. Der Verkehrsfluss soll verbessert und Emissionen gesenkt werden.
Steckbrief Prof. Dr. Roman Suthold
Prof. Dr. Roman Suthold (48) ist seit 2004 beim ADAC und seit 2006 Leiter des Fachbereichs „Verkehr und Umwelt“ beim ADAC Nordrhein. Der gebürtige Kölner lehrt zudem als Honorarprofessor an der Hochschule Fresenius (Köln) zum Thema „Mobilitätsmanagement“ und ist als Lehrbeauftragter an der Hochschule Bochum („Verkehrssysteme und -konzepte“) tätig. Seine Spezialgebiete sind Mobilität in Ballungsräumen, kommunale Verkehrsplanung und Digitalisierung im Mobilitätsbereich.
Kommunen müssen diese Echtzeitdaten in Mobilitätsdashboards visualisieren. Diese Dashboards können mit den Daten von Sharing-Anbietern, wie z.B. E-Tretrollern, aufgewertet werden. Im Ausland wurde das Datenmanagement solcher Angebote in der Ausschreibung berücksichtigt. Auch deutsche Kommunen müssen die vorhandenen Mobilitätsdaten zur Optimierung der Verkehrsabläufe noch stärker nutzen!
Mehr Bürgerbeteiligung durch Online-Plattformen
Die Einbindung der Bürger wird über Apps einfacher. Das Projekt FixMyBerlin beispielsweise verbessert die Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürger. Dafür wurde eine kartenbasierte Online-Plattform entwickelt, die Daten des Radverkehrs zusammenführt, Planungen der Verwaltung klar kommuniziert und diese damit von Anfragen entlastet. Ziel des Projektes ist es, die Akzeptanz für Planungsprojekte sowie Qualität und Geschwindigkeit ihrer Umsetzung zu verbessern.
Auch die Bürgereinbindung bei der Datenerhebung ist möglich. Die ADAC App Läuft's hilft bei der Erfassung von Mängeln im öffentlichen Straßenverkehrsraum. Mit der App können Fotos und die GPS-Position problemlos gemeldet werden, sodass der Mangel zügig an die richtige Stelle weitergeleitet und behoben werden kann.
Mängel im Straßenverkehr melden: Die ADAC App "Läuft's"
Tiefe Schlaglöcher, unlesbare Straßenschilder, unverständliche Ampelschaltungen oder fehlende Fahrbahnmarkierungen: Mit der ADAC App "Läuft's" können Sie all dies ganz unkompliziert melden. Ihr ADAC in NRW gibt die Meldung umgehend an die zuständige Behörde weiter, damit die Mängel behoben werden können.
Laden Sie sich "Läuft's" kostenfrei im Google-Play- oder Apple Store herunter.
In Stuttgart wird versucht, die negativen Effekte des stark wachsenden Lieferverkehrs durch ein digitales Lieferzonenmanagement zu entschärfen. Durch die Nutzung einer App erhalten Paketdienste die Möglichkeit, in Lieferzonen Zeiten zu „buchen”, um Stau und Parken in zweiter Reihe bei der Anlieferung zu verhindern. Die Stadt hat Zugriff auf diese Daten und kann die Einhaltung der Lieferzeiten kontrollieren.
Wie die Beispiele aus den Bereichen öffentlicher Verkehr, Individualverkehr und Kommunen zeigen, macht die Digitalisierung die Mobilität einfacher und effizienter!
Fazit
Der Kunde will nur einen Ansprechpartner, insgesamt gibt es aber viele Anbieter und noch nicht „eine App für Alles“! In Berlin wird versucht, dieses Ziel mit der App Jelbi umzusetzen. Leider machen nicht alle Anbieter mit, da sie ihre Kundenschnittstelle nicht aufgeben möchten. Außerdem müssen diese Apps nicht zwangsläufig in den Nachbarstädten und im Umland funktionieren – was zu einer „App-Flut“ auf dem Smartphone führen kann.
Der Weg ist aber klar: Wenige Apps für mehr Mobilität, auch über die eigene Stadtgrenze hinaus. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig eine stärkere Kundenorientierung im Mobilitätsbereich ist, um das Verkehrssystem weiter zu optimieren. Durch die Corona-Pandemie wird dieser Trend zur Digitalisierung im Mobilitätsbereich noch einmal mehr befeuert (siehe Kolumne "Die Coronakrise als Chance").