Unterwegs mit einem ADAC Pannenhelfer: Detektiv, Mechaniker und Retter in der Not
Für Jens Henker fängt die Arbeit an, wenn das Auto der anderen streikt: In Leipzig und Umgebung ist er Tausende Kilometer im Jahr unterwegs, um den Mitgliedern den Tag zu retten. ADAC Redakteur Gabriel Kroher hat den Pannenhelfer bei seiner mobilen Detektiv- und Mechanikerarbeit begleitet.
Schüchtern scheint sich der kleine Mitsubishi Colt im Leipziger Waldstraßenviertel wegzuducken, als Jens Henker sich prüfend neben ihm aufbaut. Der großgewachsene Pannenhelfer sieht mit seinen verschränkten, breiten Oberarmen, die unter der gelben Warnweste zum Vorschein kommen, aus, als könnte er den schwarzen Kleinwagen ohne größere Anstrengungen in die Luft heben. Doch auch wenn er dazu in der Lage wäre: Dank rückenschonendem Wagenheber aus der gut ausgestatteten mobilen Werkstatt seines Pannenfahrzeugs ist das Auto im Nu aufgebockt.
Die Mitsubishi-Besitzerin Simone Jahn beobachtet sein Tun bedrückt. "Merkwürdige Klopfgeräusche" habe sie plötzlich beim Fahren bemerkt und den Pkw zur Sicherheit lieber gleich hier, im gediegenen Leipziger Altbauviertel, am Straßenrand abgestellt. Eigentlich wohnt sie ganz woanders, und an ihren Arbeitsplatz kommt sie nur mit dem Auto. Entsprechend angespannt beobachtet sie den ADAC Pannenhelfer, der sich gerade unter die Radaufhängung geklemmt hat.
Gut ausgebildete Engel
Bei den meisten ihrer Einsätze – letztes Jahr waren es über drei Millionen – müssen sich die rund 1700 Pannenhelferinnen und -helfer in Deutschland um leere und defekte Batterien kümmern. Für die ausgebildeten Kfz-Mechaniker und -Mechanikerinnen ist Starthilfe geben ein Klacks, das Autoreparieren haben sie in Werkstätten aus dem Effeff gelernt. Henker hat ganze 20 Jahre in einem Betrieb gearbeitet, bevor er sich zum Gelben Engel berufen ließ. Eine Radaufhängung ist ihm also genauso vertraut wie Katoden und Anoden.
Im Moment blickt er allerdings etwas ratlos mit in die Hüfte gestützten Armen auf den japanischen Kleinwagen. Die Arbeit und die Sonne haben Henker den Schweiß auf die Stirn getrieben. Einen Grund für das Klopfen hat er nicht gefunden. Schon will er Simone Jahn raten, vorsichtig zur nächsten Werkstatt zu tuckern, da hat der Mechaniker einen letzten Einfall: "Wurden bei dem Auto denn kürzlich die Reifen gewechselt?" Jahn überlegt – und nickt. "Dann sind es die Radmuttern!"
Schon hat Henker den Drehmomentschlüssel zum Nachziehen der Radmuttern aus seinem Einsatzwagen gefischt. Und tatsächlich meldet Simone Jahn nach einer kurzen Testfahrt "klopffrei". Auf dem Weg zur Arbeit am nächsten Tag kann sie auf eine umständliche Bahnfahrt verzichten.
„Man trifft eigentlich jeden Tag komplett unterschiedliche Menschen, da wird es ganz automatisch nie langweilig“
Lars Henker, Pannenhelfer im Raum Leipzig
Detektiv und Mechaniker in einem
Nun sitzt Henker zufrieden am Steuer seines gelben Arbeitsplatzes. Fehlerdiagnose, also die Spurensuche danach, was mit dem Pkw nicht stimmt, ist einer seiner Lieblingsaufgaben. Denn hier müssen Mechaniker-Wissen, Tüftelei und Spurensuche beim Mitglied perfekt zusammenwirken, um am Ende das Rätsel der jeweiligen Panne lösen zu können.
Ein guter Pannenhelfer ist also immer auch ein bisschen Detektiv oder Ermittler, nur so kommt man auf die Lösung, wie zuvor beim Mitsubishi von Simone Jahn. "Da sieht man auch, warum Werkstätten nach einem Reifenwechsel empfehlen, die Muttern nach 50 Kilometern noch einmal nachzuziehen", so Henker.
Jeder seiner Erklärungen über Autos und ihr Innenleben merkt man die jahrelange Erfahrung an. Doch die allein hätte ihm beim "Detektivfall Simone Jahn" nicht weitergeholfen. "Das ging nur, weil ich nachgefragt habe, sonst kommt man auf so was ja nicht. Mit den Menschen zu sprechen hilft manchmal genauso viel, wie sich mit der Technik auszukennen", erklärt der Leipziger.
Wieder mehr mit Menschen und nicht nur mit ihren Pkw zu tun zu haben, war für ihn damals einer der Gründe, seinen alten Job in der Werkstatt an den Nagel zu hängen. "Früher war ich eigentlich den ganzen Tag in der Werkstatt, und in der Mittagspause hat man dann zum ersten Mal gemerkt: Hoppla, es scheint ja die Sonne. Das wollte ich nicht mehr. Für den ADAC bin ich jetzt immer draußen, wenn es schneit, stürmt oder regnet. Das gefällt mir viel besser."
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Neue Energie für altersschwachen Oldtimer
Jetzt geht es aber erst einmal ins Dunkle, nämlich in eine Tiefgarage in Leipzig-Lindenthal. Dort hat Hans Büsgen einen Stellplatz für seinen Jaguar XJ6 gemietet. Mit dem knapp 50 Jahre alten Oldtimer ist der Rentner schon bei der Sachsen-Rallye mitgefahren. Doch an diesem Tag will sein betagter Brite einfach nicht anspringen. Die Batterie ist zu schwach.
Eine leichte Übung für Jens Henker, im Nu hat er seinen tragbaren Akku an die Batterie des Jaguars angeschlossen, Plus zu Plus und Minus an Fahrzeugmasse, damit die Spannung zum Starten des Fahrzeugs ausreichend ist. Das laute, volle Rattern des Motors bestätigt, dass die Operation geglückt ist.
Kurz bevor Henker die Motorhaube schließen will, bemerkt er eine poröse Kraftstoffleitung, aus der Benzin austritt. Keine Lappalie. "Ich hab da glaub ich noch was", murmelt Henker, kramt in einer seiner Kofferraumschubladen herum, in denen über 600 Werkzeuge und Ersatzteile bereit liegen, und zaubert einen kleinen Schlauch hervor. Ein paar geübte Handgriffe, und schon fließt das Super-Benzin wieder ohne Verluste. Büsgens Spritztour ist gerettet, geräuschvoll knattert der Sechszylinder gen sächsische Landstraße davon.
Alle neun Sekunden ein Einsatz
Zu Starterbatterien bauen Pannenhelfer mit der Zeit eine enge Beziehung auf. Alle neun Sekunden rückt in Deutschland einer von Henkers 1700 Kolleginnen und Kollegen aus. Ständiger Wegbegleiter auf den Einsätzen sind defekte Batterien. "Gerade wenn es unerwartet über Nacht kalt wird, ist es heftig. Da pendelt man zwischen Garageneinfahrten in einer Straße hin und her und gibt Starthilfe", erzählt Henker mit einem Lächeln. Meist ist das Problem damit behoben.
Doch Batterien können auch zu leer werden, dann bilden sich grobkörnige Bleisulfat-Kristalle, die die Stromaufnahme dauerhaft behindern. "Eine Batterie ist wie ein Schwamm, ein richtig fluffiger Schwamm kann viel Wasser reinziehen, wenn er aber ausgehärtet – also kristalliert – ist, geht kein Wasser mehr rein", so der Profi. Kann die Batterie also keinen Strom mehr aufnehmen, hilft nur noch eine neue.
Für solche Fälle hat Henker immer ein paar Ersatzbatterien im Kofferraum. Dort steht auch der kleine Computer, auf dem Straßenwachtfahrer ihre Einsätze zugeteilt bekommen. Der zuständige Disponent hat im Blick, wo sich Henker und seine Kollegen gerade befinden. Meldet ein Mitglied eine Panne, wird ein Pannenhelfer in der Nähe angefunkt. Den genauen Einsatzort bekommt Henker als Zielpunkt auf sein Navi geschickt.
„Für den ADAC bin ich jetzt immer draußen, wenn es schneit, stürmt oder regnet“
Lars Henker
Urlaubsretter in der Not
Leider kennt sich das Navi mit den Parkplätzen des Flughafen Leipzig/Halle, wo Lars Röcker wegen einer leeren Batterie nicht mehr wegkommt, nicht sonderlich gut aus. Ein Anruf bei dem ADAC Premium-Mitglied bringt Orientierung. Also zurück zum Autobahnkreuz, bei P14 wartet Bröcker schon vor seinem maladen Mazda 6. Heute ist er mit der Familie aus dem Mallorca-Urlaub gekommen, als die Koffer eingeladen sind, springt der Motor nicht mehr an. "Zum Glück bin ich ADAC Mitglied", meint Röcker.
Dass Messgerät von Henker zeigt 2,4 Volt, 12,50 sollten es eigentlich sein. Nichts, was der mobile Akku nicht beheben könnte. "Jetzt rentiert sich die Mitgliedschaft mal richtig", freut sich Röcker und stapft munter davon, um seine wartende Familie einzusammeln, die in der Zwischenzeit im Brotzeitraum des Flughafenpersonals Zuflucht gefunden hat. Man sieht ihm die Erleichterung an, schließlich war er es, der vor Urlaubsstart das Licht im Auto angelassen hatte.
Autoschlüssel im Hosenbein
Missgeschicke wie diese sieht Jens Henker inzwischen entspannt. Einmal wurde er zu einem verzweifelten DJ gerufen, der nach einem Gig seinen Autoschlüssel nicht wiederfinden konnte. "Der war total hibbelig und aufgeregt", erzählt Henker, "dem musste ich dann das Auto öffnen. Normalerweise geht das ganz fix, aber mit seinem Modell war ich eine Dreiviertelstunde lang beschäftigt. Und was fällt dem jungen Mann, gerade als ich fertig geworden bin, aus dem Hosenbein? Natürlich der Autoschlüssel."
Verziehen habe er dem Mitglied aber natürlich umgehend. "Na klar doch. Manche Leute rufen auch an, weil sie einfach vergessen, die Kupplung zu treten. Aber das nehme ich denen überhaupt nicht übel, man weiß ja nie, was Menschen gerade für Stress haben."
Helfer für den Helfer
Und einmal hat es ihn sogar selbst erwischt: Unterwegs zu einer Reifenpanne blieb Henker auf einem Waldweg im Schlamm stecken. Ein Jäger sprang als Ersatzengel ein und brachte den mobilen Arbeitsplatz des Straßenwachtfahrers wieder in die Spur. "Schuld war aber das Navi", lässt Henker noch mit einem Schmunzeln wissen.
Sein letzter Einsatz an diesem Tag ist ein schwieriger Fall. Beim Anfahren an der Ampel streikt der Wagen von ADAC Mitglied Andreas Lupitz. Henker vermutet ein Problem mit der Kraftstoffpumpe und schafft es, dass das Auto wieder anspringt. Eine dauerhaft zuverlässige Lösung ist das aber nicht. "Wie weit haben Sie es denn zu Ihrer Stammwerkstatt?", fragt der Pannenhelfer den jungen Mann, "ich begleite Sie für den Fall, dass was schiefgeht."
Ermitteln, reparieren und nun auch eskortieren. Das Ende der Schicht zeigt, wie groß das Aufgabenfeld von Pannenhelfer Henker tatsächlich ist. "Es kommt jeden Tag etwas anderes, das macht den Job ja so spannend."