Nach Radunfall auf Mallorca: Mit dem richtigen Luftdruck nach Hause

Bei einem schweren Sturz zog sich Rennradfahrer Marcel Wüst auf Mallorca mehrere Knochenbrüche und eine Lungenverletzung zu – wie der Rückflug nach Deutschland dank des vom ADAC organisierten Sea-Level-Flights trotzdem gelang.
Man tritt dem ehemaligen Profi-Fahrer, Jahrgang 1967, bestimmt nicht zu nahe, wenn man ihn als "harten Hund" bezeichnet. Im August 2000, bei seiner zweiten Teilnahme an der Tour de France, hatte er bei einem Unfall schwere Kopfverletzungen erlitten und war auf dem rechten Auge erblindet. Damit war zwar die Profikarriere beendet. Aber nach seinem Prinzip "Hinfallen? Aufstehen! Liegenbleiben ist keine Option" hatte er sich damals eine neue Existenz aufgebaut, als Coach, Motivator und Anbieter von Radsporturlaub auf Mallorca.
Der Unfall

Und dort, nahe seiner Casa Ciclista im Ort Cala Murada an der Ostküste, verunglückte er am Nachmittag des 6. Februar 2022 erneut. An diesem Sonntag war er mit vier anderen Rennradfahrern hinter sich unterwegs, nahm die rechte Hand vom Lenker, um das Zeichen zum Abbiegen zu geben, und legte sich bei Tempo 30 in die Kurve.
Wie sich später herausstellte, war nach Straßenbauarbeiten an dieser Stelle eine Bodenwelle zurückgeblieben – doch weder eine farbliche Abweichung im Fahrbahnbelag noch ein Gefahrenschild warnt Verkehrsteilnehmer davor. Wüst wurde regelrecht ausgehebelt und schlug mit dem rechten Oberkörper ungebremst auf der Straße auf.
Glück im Unglück war, dass einer der Mitfahrer Rettungssanitäter ist, Erste Hilfe leisten konnte und auch die Ambulanz schnell eintraf. Im Hospital de Llevant von Porto Cristo führten Röntgen und CT dann zur vorläufigen Diagnose, dass fünf Rippen, Schlüsselbein und Schulter gebrochen waren – erst drei Wochen nach dem Unfall wurde in Deutschland auch noch eine Fraktur des linken Mittelhandknochens festgestellt. Es folgte die Verlegung in ein Krankenhaus der Inselhauptstadt Palma, wo sich Wüsts Ehefrau um die Korrespondenz mit der Versicherung kümmerte und in einem Besucherbett übernachten konnte.
Stagnation im Krankenhaus
Inzwischen war auch ein Pneumothorax festgestellt worden, der die Lungenfunktion beeinträchtigte. Doch der Chefarzt der Klinik gab Wüst die Auskunft, er könne lediglich weiterhin konstant Schmerzmittel verabreichen und die Operation am Schlüsselbein durchführen. Die Brüche von Schulterblatt und -gelenk, Hauptsorge des Patienten, seien "muy complicado" und müssten bis zum Ausheilen der Lungenverletzung warten. Und ein Flug mit seinen Luftdruckunterschieden käme erst nach weiteren zehn Tagen in Frage.
Lange tat sich kaum etwas, Ungewissheit und Stagnation machten Wüst mental erheblich zu schaffen. So nahm er am Mittwoch, drei Tage nach dem Unfall, Kontakt zum Experten Prof. Helmut Lill auf, der sich bereit erklärte, ihn in Hannover zu operieren. Blieb die Frage, wie er ohne zu fliegen dorthin kommen sollte. Wüst überlegte schon, von starken Schmerzmitteln betäubt die Rückreise mit Fähre und Zug anzugehen.

Dann kam am Freitag ein Anruf des ADAC, mit dem er zwei Tage nach dem Unfall Kontakt aufgenommen hatte. Der ADAC Ambulanz-Service bot an, ihn am darauffolgenden Sonntag auf einem so genannten Sea-Level-Flight mitzunehmen, der einen Patienten aus Gran Canaria nach Hannover bringen sollte. Dafür würde das Flugzeug eine Zwischenlandung einlegen, der Luftdruck in der Kabine permanent auf Meeresniveau bleiben und so die Lunge geschont. Erleichtert nahm Wüst das Angebot sofort an, angesichts dieser Perspektive ging es ihm auch mental gleich viel besser.
Rückflug per Sea-Level-Flight, Operation und Genesung

Der Flug verlief planmäßig, sodass Wüst am Montag von Prof. Lill operiert werden konnte. Schon am folgenden Tag machte er die ersten Gehversuche, um den Kreislauf wieder in Gang zu bringen und die Heilung zu unterstützen. Wieder zwei Tage später verließ er die Klinik, mit einer Orthese, die den rechten Arm am Körper fixiert, mit verkürzten Muskeln und Sehnen in der rechten Schulter. Seitdem schreitet seine Heilung schnell voran, unterstützt von viel sportlicher Betätigung und ambulanter Physiotherapie. Sogar auf einem Hollandrad war er bald wieder unterwegs und flog Anfang April wieder nach Mallorca, um Stammkunden zu betreuen.
ADAC Mitglied war Marcel Wüst geworden, nachdem ihm seine Freundin – heute Ehefrau – von den Leistungen des Clubs erzählt hatte. Nach einer Autopanne auf Mallorca wechselte er vor Jahren in die ADAC Plus-Mitgliedschaft. Damals konnte er natürlich nicht ahnen, dass diese ihn im Jahr 2022 aus einer misslichen Lage in einer Klinik in Palma helfen würde, in der er sich nicht genügend informiert, ja geradezu vernachlässigt gefühlt hatte. Inzwischen ist Marcel Wüst ADAC Premium-Mitglied.