Hubschrauber-Simulator der ADAC HEMS Academy: Testflieger am virtuellen Himmel
In der ADAC HEMS Academy bei Bonn üben Pilotinnen und Piloten im Hubschrauber-Simulator das Verhalten in Extremsituationen. Redakteur Christof Henn hat sich für einen Probeflug ins Cockpit gesetzt.
Der Himmel ist blau, wolkenlos. Kein Wind. Unter mir sehe ich den Rhein, die A3 und in der Ferne den Kölner Dom. Über mir werfen die sich drehenden Rotorblätter Schatten. In 2000 Fuß Höhe, das sind etwa 610 Meter, geht es Richtung Bonner Post-Tower. Das Tempo liegt bei 120 Knoten, immerhin 220 km/h. So schön kann Fliegen also sein, denke ich – bis Simulator-Techniker Marius Kroll den Autopiloten ausschaltet. Über dem Landeplatz auf dem Flughafen Köln/Bonn soll ich die Maschine ein paar Meter über dem Boden in der Luft halten. Ich bewege den Steuerknüppel vor mir, bediene die Fußpedale und den großen Hebel links von mir. Vergeblich, ich stürze ab.
Extremsituationen im Hubschrauber-Simulator
Zum Glück ist nichts passiert, alles nur virtuell. Ich bin kein Pilot, sondern durfte gerade im Simulator erleben, wie Rettungsprofis trainieren, in Extremsituationen immer richtig zu reagieren. Drei Flugsimulatoren stehen in der riesigen Halle der ADAC HEMS Academy, einem internationalen Trainingszentrum für Luftrettungscrews, in Sankt Augustin bei Bonn. Die beiden kleineren haben einen Durchmesser von etwa sieben Metern, wiegen rund 1,5 Tonnen und sitzen in vier Metern Höhe auf einer mächtigen elektrischen und sechs Tonnen schweren Bewegungsplattform.
Beim großen Simulator-Bruder ist alles ein paar Tonnen schwerer. Die beiden sind auf unterschiedliche Helikoptertypen ausgelegt. Viele Millionen Euro teure Technik für professionelle Flugsicherheitstrainings, in deren Verbesserung permanent investiert wird: 2022 in einen Notausstiegs-Simulator, in dem Öffnen, Herausdrücken und Abwerfen von Fenstern und Türen geübt werden. Und in ein virtuelles Feuerlöschtraining. Das ist ein weltweit neues Trainingsverfahren mit Virtual-Reality-Brillen zur Bekämpfung von Bränden in Hubschraubern.
Wie im echten Helikopter
Kernstück des Hubschrauber-Simulators ist das Cockpit, bei dem nur die Scheiben fehlen. Ansonsten ist alles wie in einem echten Helikopter: Sitze, Gurte, Steuerinstrumente, Schalter, Anzeigen, Sicherungen und sogar der Sound der beiden mehr als 800 PS starken Triebwerke. Selbst die Flugkulisse auf der riesigen gebogenen Panorama-Leinwand ist täuschend echt. Zehn Projektoren führen Pilotinnen und Piloten in die Bergwelt von Garmisch-Partenkirchen, über die raue Nordsee vor Sylt oder den Landeplatz auf einem Krankenhausdach. Wohin die Reise geht, bestimmt der Instruktor, ein erfahrener Fluglehrer, im Kontrollraum hinter dem Cockpit. Wenn er will, bewegen die Spindelmotoren der Plattform den Simulator – hoch, runter, zur Seite. Kroll: „Das führt vor allem beim Aufsetzen und bei Wind zu noch mehr Fluggefühl.“
Hier trainieren ausgebildete Pilotinnen und Piloten. Alle sechs Monate müssen sie für jeden Hubschraubertyp, den sie fliegen, einen Checkflug absolvieren. Der Instruktor kann über 100 Fehler einspielen, Systeme, Displays oder die Tankanzeige ausfallen lassen. Und das Wetter bestimmen: Regen, Hagel, Sturm oder dichte Wolken – eine der schwierigsten Übungen. Ohne Sicht muss die Person am Steuer den Instrumenten vertrauen.
Teilnehmende aus aller Welt
Wieder am Boden, treffe ich eine Crew aus Italien. Sie wartet am Ende der Brücke, die zum Simulator führt. Nebenan trainieren Tschechen, im dritten Simulator Südafrikaner. “Wir sind gut gebucht, nicht nur wegen der 170 Pilotinnen und Piloten der ADAC Luftrettung“, sagt Esther Rütsch, in der Academy für Marketing zuständig. “Wir haben jedes Jahr über 3000 Teilnehmende aus über 20 Ländern.“ Das macht Tausende Flugstunden und über 300 Trainingstage mit fliegerischen, operationellen und medizinischen Inhalten.
Im medizinischen Trainingszentrum
Notfallsanitäter und Berufspädagoge Philipp Lex leitet das medizinische Trainingszentrum der Academy. In einer Halle stehen ein Rettungswagen und der Nachbau eines Hubschraubers. In einem Nebenraum, ausgestattet wie eine kleine Intensivstation, liegt ein Mann. Er muss per Heli in eine Spezialklinik gebracht werden. Der sehr echt aussehende Dummy ist mit Kabeln und Schläuchen an Geräte angeschlossen, blinzelt gelegentlich. Sim-Man (für Simulator-Mann) wird er hier genannt.
Lex steht hinter einem Einwegspiegel, blickt in die Intensivstation und erweckt den Sim-Man zum Leben. Ich stehe bei ihm, spüre den Herzschlag und Puls der Puppe. Sie atmet, hustet und schreit auf einmal erbärmlich laut. “Im Training muss das medizinische Personal herausfinden, warum es ihm so schlecht geht“, sagt Lex, „ob die Schmerzmittel zu schwach dosiert sind oder etwas anderes nicht stimmt, zum Beispiel der Beckengurt nach einer Hüftfraktur nicht richtig sitzt.“ Eine gute Vorbereitung für neue Luftretterinnen und -retter. Und für erfahrene Kräfte ein Perfektionstraining.
Herzdruckmassage am Patientenphantom
Zum Abschluss hat Lex eine Erste-Hilfe-Übung vorbereitet: eine Herzdruckmassage. Mein Übungsobjekt ist ein Patientenphantom, das auf einem Stück Kunstrasen liegt. Lex zeigt mir, wo ich meine Hände auf den Brustkorb legen muss, und ermuntert mich, schneller und kräftiger zu drücken. Dann stellt er mir einen kleinen Koffer mit einem Defibrillator hin, ein Gerät, das so an vielen öffentlichen Plätzen und in Betrieben zu finden ist.
Ich öffne den Koffer und folge den Anweisungen einer Frauenstimme. Ich befestige die Elektroden auf dem Oberkörper des Übungsobjekts und drücke auf den roten Knopf, um Stromstöße auszulösen. Die Stimme sagt, ich soll eine Herzdruckmassage machen. Zwei lange und anstrengende Minuten. “Gut gemacht“, lobt Lex später. Fliegen habe ich heute natürlich nicht gelernt, aber ich habe mein Erste-Hilfe-Wissen aufgefrischt – mit dem ich im Ernstfall Leben retten kann.
Die Reportage über die ADAC HEMS Academy finden Sie auch in der aktuellen ADAC Motorwelt: adac.de/motorwelt
Hier lest ihr alles über die ADAC Medical App, die mobile medizinische Hilfe auf Reisen.