Reißverschlussverfahren: Wie es geht und wer haftet
Eigentlich ganz einfach, in der Praxis gibt es trotzdem ständig Ärger: Wenn sich die Fahrbahn von zwei Spuren auf eine verengt, müssen sich die Fahrer im Reißverschlussverfahren einordnen. Wer Schuld hat, wenn es kracht.
Fahrer müssen sich gegenseitig einfädeln lassen
Zu früh gewechselt: So entstehen Staus
Unfall beim Spurwechsel: Wie die Gerichte entscheiden
Wann gilt das Reißverschlussverfahren?
Laut Straßenverkehrsordnung (StVO) gilt das Reißverschlussverfahren dann, wenn eine Fahrspur endet oder wegen eines Hindernisses nicht mehr befahrbar ist. Dann lassen sich die Fahrer gegenseitig einfädeln.
Nicht zu früh die Spur wechseln
Konfliktpotenzial in der Praxis: Der Spurwechsel soll erst unmittelbar vor der Engstelle erfolgen. Autofahrer, die bis zum Hindernis fahren, sind also keine Drängler, sondern verhalten sich korrekt. Das hat einen ganz einfachen Grund: Zu frühes Einfädeln verursacht eher einen Stau. Autofahrer auf der weiterführenden Spur müssen die anderen Verkehrsteilnehmer einfädeln lassen. Im Gegenzug dürfen die Fahrer, die sich einordnen, den Spurwechsel nicht erzwingen.
Wichtig: Das Reißverschlussverfahren gilt immer, wenn sich Fahrspuren von zwei auf eine verengen, unabhängig davon, ob es durch eine entsprechende Beschilderung angeordnet wird.
Wer haftet bei einem Unfall?
Wer hat Schuld, wenn es beim Reißverschlussverfahren zu einem Unfall kommt? Diese Frage beschäftigt die Gerichte nicht selten. Wie Clubjurist Stefan Bergmann erklärt, gilt für den denjenigen, der die Fahrspur wechselt, erhöhte Sorgfaltspflicht. Er darf den Wechsel nicht erzwingen und nicht darauf vertrauen, dass er automatisch "reingelassen" wird. Passiert ein Unfall, liegt ein Großteil der Haftung in der Regel beim Spurwechsler. So hat das auch das Oberlandesgericht Frankfurt gesehen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 8.12.2003 – Az. 16 U 173/03) und einem Spurwechsler eine Haftungsquote von 70 Prozent zugeschrieben.
Das Oberlandesgericht München sprach in einem anderen Fall die komplette Haftung für den Unfall dem Spurwechsler zu (Az. 10 U 4565/16). Die Begründung: Wenn es im Rahmen eines Spurwechsels beim Reißverschlussverfahren zu einer Kollision kommt, spreche der Anscheinsbeweis dafür, dass der Spurwechsler die alleinige Schuld trägt. Der Pkw-Fahrer habe den Fahrstreifen gewechselt, obwohl eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht ausgeschlossen gewesen sei.
Was ist ein Anscheinsbeweis? Um einen Anscheinsbeweis handelt es sich, wenn das Gericht von einem in der Praxis typischen Geschehensablauf ausgeht, z.B. bei Auffahrunfällen. Es muss dann nicht explizit bewiesen werden, ob es auch im konkreten Einzelfall zu diesem Ablauf gekommen ist. Voraussetzung: Es gibt keine Anhaltspunkte für einen anderen Verlauf.
Ausnahmsweise kann es auch zu einer 50-prozentigen Schuldaufteilung beider Fahrer kommen. Wenn der Fahrer auf der Hauptspur seinen vermeintlichen Vorrang erzwingen will, den Spurwechsel verhindert und es dabei zum Unfall kommt, können beide gleichermaßen haften.
Video: So geht das Reißverschlussverfahren
Was gilt an Autobahnauffahrten?
Beim Auffahren auf die Autobahn gilt das Reißverschlussverfahren nicht. Wer auf dem Beschleunigungsstreifen auf die Autobahn auffährt, muss die Fahrzeuge auf der Autobahn passieren lassen und seine Geschwindigkeit entsprechend anpassen. Erst wenn sich eine Lücke auftut, darf er auffahren.