Assistenzsysteme für Motorräder im Überblick

Mensch fährt auf einem Motorrad
In Schräglage kann Kurven-ABS Leben retten© ADAC/Uwe Rattay

Moderne Bikes haben nicht nur ABS an Bord. Es gibt immer mehr elektronische Helfer – vom Tempomat über Traktionskontrolle bis zur Hinterrad-Abhebe-Kontrolle. Der ADAC stellt die Assistenzsysteme für Motorräder vor.

  • Motorräder brauchen spezielle Systeme

  • Extrem hilfreich: Kurven-ABS

  • Alle Sicherheits- und Komfortsysteme im Überblick

Unterschied: Auto und Motorrad

Hinterrad eines Motorrads in der Luft
Das Hinterrad hebt beim Bremsen ab: Dagegen hilft die Stoppie-Kontrolle© ADAC/Uwe Rattay

Ein Auto steht stabil auf vier Rädern und ist als zweispuriges Fahrzeug in den meisten Fahrsituationen nicht vom Umkippen bedroht. Ganz anders das Motorrad: Im Stand "kippelig", stabilisiert es sich erst nach dem Losfahren durch die Drehbewegung der Räder. Ein aktiver Eingriff durch Assistenzsysteme in Bremse oder Lenkung (wie beim Auto z.B. beim Notbrems- oder Spurhalte-Assistent) ist beim Motorrad also nur bedingt möglich. Kommt er für den Biker unerwartet, kann sich die kritische Situation eher verschärfen als auflösen.

Viele Assistenzsysteme in Motorrädern haben deshalb warnenden Charakter oder sie beeinflussen und optimieren Fahrmanöver am Rand der physikalischen Grenzen in einer so fortgeschrittenen Phase, dass eine rettende Reaktion des Fahrers nicht mehr möglich erscheint. Trotzdem bieten zunehmend mehr Hersteller aktuell radargestützte, adaptive Geschwindigkeitskontrollen an, die sogar Bremsungen mit Verzögerungen von bis zu 0,5 g einleitet. Dies ist eine neue Qualität der Assistenz für den Fahrer.

Viele der modernen, direkt eingreifenden Assistenzsysteme nutzen ausgefeilte Sensoren zur Bestimmung der räumlichen Lage der Maschine und der Kräfte, die auf das Motorrad einwirken. Daraus werden die anderen relevanten Größen abgeleitet.

So hilft Kurven-ABS

Motorradfahrer bremst auf Sand
Bremsen auf Sand: Ohne ABS herrscht höchste Sturzgefahr© ADAC/Uwe Rattay

Kurven fahren – der vielleicht schönste Grund, auf ein Motorrad zu steigen. Bis zu dem Moment, wo es in der Kurve heißt: Vollbremsung – aus welchem Grund auch immer. Plötzlich richtet sich das Bike auf und verlässt die angepeilte Kurvenlinie Richtung Gegenverkehr oder Straßengraben. Oder die Reifen verlieren ihren Grip, das Motorrad rutscht unkontrolliert weg.

So war es zumindest früher, als es noch keinerlei Assistenzsysteme für Motorräder gab. Inzwischen, mit kurventauglichem ABS, sind Notmanöver in Schräglage durchaus beherrschbar – vorausgesetzt, man hat das System an Bord und sich mit seinen verbesserten Möglichkeiten vertraut gemacht. Die gewünschte Linie kann stressfrei gefahren werden. Das "Kurven-ABS" bedeutete nach dem "klassischen" Antiblockiersystem einen Quantensprung in Sachen Motorrad-Fahrsicherheit.

Gesetzlich ist das herkömmliche und vorrangig für Geradeaus-Fahrt ausgelegte ABS bei neuen Maschinen seit 2017 Pflicht. Doch die Hersteller statten ihre Modelle längst mit weiteren, teils hocheffektiven Assistenzsystemen aus. Diese kann man in zwei Gattungen unterteilen:

  • Sicherheitssysteme zur Verringerung des Unfall- oder Verletzungsrisikos (z.B. ABS, kurventaugliches ABS, kurventaugliche Traktionskontrolle)

  • Komfortsysteme zur Entlastung des Fahrers und zur Verbesserung der Ergonomie (z.B. Tempomat, per Schalter einstellbare Feder-Dämpfer-Systeme)

Das leisten Assistenzsysteme

Assistenzsysteme sollen das bestehende Risiko des Motorradfahrens verringern. Es wäre also unklug, diesen Sicherheitsgewinn durch riskanteres Fahren wieder zunichtezumachen.

Sicherheitssysteme für Motorräder

In den folgenden Tabellen werden auch jene Systeme aufgeführt, mit denen sich Motorleistung, Gasannahme oder Fahrwerk an besondere Bedingungen wie z.B. Regen anpassen lassen.

Bezeichnung

Wirkung

Sicherheitspotenzial

Standard-ABS (vorrangig für Geradeausbremsung)

Seit 2017 Pflicht, verhindert vor allem bei Geradeausfahrt einen Sturz durch Notbremsung mit blockierten Rädern

Sehr hoch

Kurventaugliches ABS

Wie Standard-ABS, zusätzlich anwendbar in starker Schräglage, verhindert das Aufrichten der Maschine inkl. Verlassen der Fahrlinie und ein Wegrutschen der Räder (im Rahmen der physikalischen Grenzen)

Sehr hoch

Hinterrad-Abhebe-Kontrolle (Stoppie-Kontrolle)

Verhindert beim starken Bremsen das Abheben des Hinterrades, im Extremfall einen Fahrzeugüberschlag, besonders bei starken Bergabbremsungen. Funktion ist in guten ABS teilweise integriert

Hoch

Kombi- oder Integral-Bremssystem

Bremskreise für Vorder- und Hinterrad sind ganz oder teilweise verknüpft, Bremshebel wirkt auch auf die Bremse des anderen Rades. Sorgt für bessere Bremsstabilität und schnelleren Bremseinsatz

Hoch

Wheelie-Kontrolle

Verhindert das Abheben des Vorderrades beim zu heftigen Beschleunigen. Motorkraft wird ggf. begrenzt

Hoch

Kurventaugliche Schlupfkontrolle

Sichert bei Kurvenfahrt den Grip des Hinterrades durch etwaige Begrenzung der Motorkraft, besonders bei sportlicher Fahrweise, kann sogenannte Highsider verhindern

Hoch

Standard-Schlupfkontrolle

Sichert Grip und Führung des Hinterrades bei Geradeausfahrt, "Durchdrehen" wird verhindert

Mittel

Anti-Hopping-Kupplung, Motorbremsmoment-Kontrolle

Verhindert beim Runterschalten oder Gaswegnehmen ein kurzzeitiges Blockieren des Hinterrades, sichert damit Grip und Führung des Hinterrads vor allem beim Anbremsen vor engen Kurven

Mittel

Automatische, dynamische Anpassung des Feder-Dämpfer-Systems

Verbessert den Kontakt der Räder auf unebenem Untergrund bei sportlicher Fahrweise, erhöht Fahrstabilität bei sehr dynamischen Fahrmanövern (z.B. starkes Beschleunigen und Bremsen)

Mittel

Abstandsradar (z.B. Adaptive Cruise Control)

Überwacht fortlaufend den Abstand zu anderen Fahrzeugen, vorrangig nach vorne gerichtet. Funktion ähnlich wie bei Pkw, Steuerung der Motorleistung, autonome Bremsung bis 0,5 g

Mittel, dient vorrangig dem Komfort

Totwinkel-Assistent / Side-View-Assistent (Radargestützt, ähnlich wie Abstandsradar)

Warnt vor seitlich fahrendem Fahrzeug, das man beim Spurwechsel übersehen könnte

Mäßig

Verschiedene Fahrmodi

Motorcharakteristik kann den Witterungs- und Straßenverhältnissen angepasst werden, auch Off-Road-Modus möglich. Umfasst oft auch Einstellungen von Bremse und Fahrwerk. Sicherheitsgewinn hängt von den Fahrgewohnheiten ab

Unterschiedlich

Blinkendes Bremslicht

Bei Vollbremsung blinkt das Bremslicht, um den nachfolgenden Verkehr zu warnen

Mäßig

Reifendruckkontrollsystem

Warnt bei Druckverlust im Reifen, kann bei korrekter Fahrerreaktion das Unfallrisiko verringern

Mäßig

Berg-Anfahr-Hilfe

Klemmt an starken Steigungen die Hinterradbremse bis zum Anfahren fest, um eine Rückwärtsrollen zu verhindern, reduziert Stress

Mäßig

(Adaptives) Kurvenlicht

Leuchtet die Straße bei Kurvenfahrt besser aus als Standardlicht. Sicherheitsgewinn bei Nachtfahrten

Mäßig

Warnblinkanlage

Wie Pkw, sinnvoll z.B. bei Pannen oder an Stauenden

./.

Notruf-System / eCall

Vergleichbar Pkw, automatischer Notruf bei Ereignissen, die das System als Unfall interpretiert

./.

Komfortsysteme für Motorräder

Bezeichnung

Wirkung

Automatikgetriebe

Macht Kuppeln und Schalten überflüssig

Schaltautomat

Ermöglicht das Schalten ohne zu kuppeln

Elektronische Fahrwerkseinstellung

Federvorspannung und Dämpfungseigenschaften können per Knopfdruck angepasst werden

Rückfahrhilfe

Erleichtert das Manövrieren schwerer Maschinen

Neue Assistenzsysteme: Ausblick

Weitere Maßnahmen und Systeme zur Verbesserung der Motorradsicherheit werden sich mit zunehmender Vernetzung der Fahrzeuge untereinander ergeben. Dabei spielt die Vehicle-2-X-Kommunikation eine wichtige Rolle. Sie kann Risikopotenziale frühzeitig erkennen und entsprechende Warnungen erzeugen. Dadurch können mögliche Konfliktsituationen reduziert und somit die Motorradsicherheit zum Beispiel in Kreuzungs- und Einmündungsbereichen erhöht werden.

Außerdem werden erste Spurhalteassistenten entwickelt, die bei Untätigkeit des Fahrers auf die Fahrspur aktiv Einfluss nehmen sollen. Spätestens jetzt werden aktive und erfahrene Motorradfahrer und -fahrerinnen nachdenklich.

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Tipps für Motorradfahrerinnen und -fahrer

  • Machen Sie sich intensiv mit der Wirkung, Funktionsweise und den Einstellmöglichkeiten von Assistenzsystemen und Sicherheitsausstattungen Ihrer Maschine vertraut. Das bedeutet: Die Bedienungsanleitung ist Pflichtlektüre. Lassen Sie sich außerdem vom Händler Ihres Vertrauens die Systeme genau erklären.

  • Mit ABS – und ganz besonders mit modernem Kurven-ABS – muss man im Notfall richtig umgehen können, um den Sicherheitsgewinn auch wirklich nutzen zu können.

  • Die ADAC Experten empfehlen: Machen Sie in regelmäßigen Abständen ein passendes Sicherheitstraining. Bei modernen Bremssystemen müssen Sie Fahrgewohnheiten ändern, um optimal reagieren zu können.

Fachliche Beratung: Ruprecht Müller, ADAC Technik Zentrum