Härtetest für die KI: TUM erprobt vollautonom fahrendes Wiesn Shuttle

Vollautonom durchs Oktoberfest-Chaos: Zur Wiesn ist in der bayerischen Landeshauptstadt auch auf den Straßen eine Menge los. Der Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik der Technischen Universität München (TUM) hat diese extremen Bedingungen für einen besonderen Test genutzt und gezeigt, dass der Traum vom vollautonomen Fahren zum Greifen nahe ist.

Wenn EDGAR sich in Bewegung setzt, sind ihm neugierige Blicke der umstehenden Passanten sicher. EDGAR (Excellence Driving GARching) ist kein torkelnder Besucher der Wiesn, sondern ein Versuchsfahrzeug der Technischen Universität München (TUM), das die Entwicklung des vollautonomen Fahrens vorantreiben soll. Und während sonstige Versuchsfahrten der Automobilindustrie nicht selten auf abgesperrten Teststrecken oder speziell dafür freigegebenen Autobahnabschnitten stattfinden, wagt die TUM den Härtetest und setzt EDGAR als Wiesn Shuttle ein. „Wir waren auf der Suche nach dem herausforderndsten Umfeld, das wir uns irgendwie ausmalen konnten. Und da ist uns aus verschiedenen Gründen sofort das Oktoberfest in den Sinn gekommen“ erklärt Felix Fent, Gruppenleiter Autonomous Vehicle Perception an der Technischen Universität München.
Künstliche Intelligenz am Steuer
Dass Autofahren zur Wiesn-Zeit eine besondere Herausforderung ist, weiß jeder, der das legendäre Volksfest schon einmal besucht hat. Rund um die Theresienwiese in München wartet alle Jahre wieder ein chaotisches Treiben und eine ganz besondere Mischung aus Pendlerverkehr, Fahrrädern, Taxis, Rikschas und nicht zuletzt teils unberechenbare (weil angetrunkene) Fußgänger auf alle Verkehrsteilnehmer. Selbst menschliche Autofahrer können hier schnell an ihre Grenzen kommen. Doch die TU München lässt beim VW Multivan mit Plug-in-Hybrid die KI ans Steuer. Ein ausgeklügeltes System aus Kameras, Mikrofonen, LIDAR- und Radarsensoren erfasst das Geschehen rund um das Fahrzeug – während die Software alle Daten blitzschnell auswertet und Gas-, Brems- und Lenkbefehle weitergibt. EDGAR ist High-Tech auf vier Rädern.
Prominente Passagiere
Obwohl vor allem eingefleischte Autofans skeptisch gegenüber dem Traum von der vollautonomen Mobilität sind und Sicherheitsrisiken als Argument anführen, haben sich an einem Wiesn-Sonntag prominente Passagiere im MCube Wiesn Shuttle angekündigt. Neben Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter und dem bayerischen Wissenschaftsminister Markus Blume ließen sich auch der TUM-Präsident Thomas F. Hofmann und Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner von der KI chauffieren. Die Teststrecke führte rund 20 Minuten entlang eines Rundkurses rund um das Gelände des Volksfestes. Einen Tag nach den bekannten Fahrgästen durften sich auch alle anderen Wiesn-Besucher für eine Fahrt im autonomen Shuttle anmelden und sich davon überzeugen, dass die KI unfallfrei durch den Oktoberfest-Alltag navigieren kann.
Erkenntnisse vom Wiesnbesuch
Der Einsatz bei der Wiesn war eine gelungene Mischung aus Showcase und Forschung. „Wir haben enorm viele Daten aus dieser weltweit einmaligen Umgebung gesammelt“, erklärt Fent. Und auch die ersten Erkenntnisse hat das Team rund um EDGAR schon ableiten können. Entgegen den anfänglichen Erwartungen waren Fußgänger nicht die Verkehrsteilnehmer, die das autonome Shuttle vor die größten Probleme gestellt hat. „Fußgänger bewegen sich zwar unvorhersehbar – vor allem zu später Stunde auf dem Oktoberfest – dafür aber vergleichsweise langsam“, so Fent. Hier haben vor allem die cleveren Algorithmen geholfen, die das EDGAR-Team über die Jahre entwickelt und dazu beigetragen haben, das Verhalten von Fußgängern besser vorherzusagen. Etwas schwieriger sei es für das System, Radfahrer und E-Scooter einzuschätzen, denn die bewegen sich auch unvorhersehbar, verstoßen nicht selten gegen Verkehrsregeln und seien zudem aber deutlich schneller unterwegs. Hier bleibt für EDGAR deutlich weniger Zeit, im Notfall zu reagieren.

Grenzen des Autonomen Fahrens
Obwohl laut Fent vollautonomes Fahren schon heute möglich ist, hat auch der Einsatz rund um das Oktoberfest bekannte Grenzen bestätigt. Sogenannte „Edge-Cases“, sprich spezielle und äußerst selten auftretende Fälle, seien schlichtweg nicht vorhersehbar oder kollidieren manchmal auch mit den gesetzlichen Vorgaben. So weiß EDGAR, dass durchgezogene Linien eigentlich nicht überfahren werden dürfen. Wenn nun aber ein Fahrzeug widerrechtlich in zweiter Reihe parkt, muss ein Mensch eingreifen und im Sinne des Verkehrsflusses die Situation auflösen. Dieser Eingriff erfolgt bei EDGAR remote von einem Teleoperator, der nicht im Fahrzeug sitzt. Solche Hürden gibt es auf dem Weg in den Massenmarkt noch zu überwinden. Doch Fent ist zuversichtlich, dass autonomes Fahren künftig unseren Alltag prägen könnte. Vor allem als vollautonome Shuttle, die zum Beispiel Pendler zum nächsten Bahnhof bringen und damit das sogenannte Last-Mile-Problem lösen.
Südbayern bewegt
Mehr zum Projekt der Technischen Universität München finden Sie auf unserem Instagram-Kanal.