Wettlauf gegen die Zeit: Eine Fahrzeug-Rückholung aus Marokko während Corona

ADAC Blog

Autos werden auf einen Autotransporter geladen
© Car-Port Autotransport GmbH

Karim Letaief arbeitet beim ADAC als Sachbearbeiter Organisation Fahrzeugtransporte und holt gestrandete Autos und Motorräder von Mitgliedern aus dem Ausland zurück nach Deutschland. Im März 2020 bekam er es mit einem besonders kniffligen Fall zu tun.    

„Diese Rückholung werde ich nicht so schnell vergessen: sechs Fahrzeuge, zwangsweise in Marokko zurückgelassen. Das Problem: Ich hatte ein ungewöhnlich kurzes Zeitfenster, um sie zurückzuholen. Denn wäre die Zollfrist für die in den Pässen der Fahrer eingetragenen Fahrzeuge abgelaufen, hätten sie dem marokkanischen Staat gehört. Also organisierten wir alles unter extremem Zeitdruck und Corona-Pandemie-Bedingungen. Das war schon spannend.

Zwangsausreise aus Marokko ohne Fahrzeug wegen der Pandemie

Im März 2020 mussten wegen Corona alle Ausländer Marokko verlassen. Deutsche Touristen wurden ausgeflogen, ein erkranktes ADAC Mitglied holten wir mit dem Ambulanzjet nach Hause. Kurz vor der Grenzschließung retteten viele Touristen ihre Fahrzeuge noch in die spanischen Exklaven in Marokko. Der Fährverkehr zwischen den spanischen Staatsgebieten wurde ja vorerst nicht eingestellt.

Aber auch diese Grenzen zwischen Marokko und Spanien wurden etwas später streng abgeriegelt. Die Fahrzeuge – ein Wohnmobil, drei Autos und zwei Motorräder – von sechs Mitgliedern blieben in Marokko zurück.

Die Fahrzeug-Rückholung ist eine Schutzbriefleistung der ADAC Plusmitgliedschaft: Kann ein Fahrzeug im Ausland nicht repariert werden, hat aber auch keinen Totalschaden, holen wir es nach Deutschland. Oder der Fahrer ist erkrankt und kann das Fahrzeug nicht mehr steuern. Auch in diesem Fall überführen wir das Fahrzeug nach Deutschland.

Meine Kollegen und ich organisieren 60.000 Rückholungen im Jahr, aus Deutschland und den typischen Urlaubsländern in Europa, aber auch aus Island, Russland und Nordafrika. Ohne Corona fast ein routiniertes Kinderspiel.

Alle Grenzen waren zu und die Zeit knapp

Diese Rückholung während der Pandemie aber war sehr schwierig, ein echtes Abenteuer. Fast monatlich riefen die Mitglieder an und wollten wissen, wann wir ihre Fahrzeuge nach Deutschland holen. Das waren ja Werte, die da in Marokko standen. Ein Wohnmobil kostet schnell über 100.000 Euro. Aber ich musste sie Monat für Monat vertrösten. Die Grenzen waren einfach zu: keine Fähren gingen, nicht einmal Flüge.

Ich spreche Französisch und Arabisch, deshalb bin ich in unserem Bereich auf Nordafrika spezialisiert, also Tunesien, Algerien, Ägypten und eben Marokko. Mitte Oktober erfuhr ich überraschend vom marokkanischen Zoll, dass die sechs Fahrzeuge bis zum 31. Dezember aus dem Land müssten. Dann liefe die Zollfrist ab und die Fahrzeuge gehörten damit dem Staat Marokko. Bei der Einreise trägt der Zoll Fahrzeuge in den Pass des jeweiligen Fahrers ein. So soll der unverzollte Verkauf verhindert werden.

Autos werden auf einen Autotransporter geladen
Blick auf den Hafen von Tanger, wo die Fahrzeuge später auf ihre Ausreise aus Marokko warteten.© Car-Port Autotransport GmbH

Eine kreative Lösung musste her

Üblicherweise wird der Passeintrag bei einer Rückholung auf eine ADAC Partnerfirma übertragen. Dann bringt ein marokkanischer Mitarbeiter das Fahrzeug mit der Fähre auf das spanische Festland. Wegen Corona hatte Spanien  marokkanischen Staatsbürgern aber die Einreise untersagt. Europäer nach Marokko einzureisen zu lassen, hätte einen enormen Zeit- und Kostenaufwand bedeutet.

Denn die für die Überführung benötigten Fahrer sollten vor der Einreise nach Marokko zwei Wochen in Quarantäne, dann noch einmal zwei Wochen vor der Rückkehr nach Spanien und wiederum zwei Wochen in Spanien, bevor sie weiterarbeiten könnten. Der Rückweg hätte für jeden der sechs Fahrer damit statt weniger Stunden einige Wochen gedauert. Jetzt war Kreativität gefragt.

Unser Team prüfte, welche alternativen Wege es gibt: Auf dem Seeweg im Container direkt nach Deutschland? Über den Landweg nach Tunesien und dann per Frachtfähre nach Italien? Oder als Frachtfähre nach Frankreich? Ich holte Angebote ein, prüfte Varianten, fahndete nach Firmen, die sich eine Rückholung unter den extremen Bedingungen zutrauen. Das kostete viel Zeit, die wir eigentlich nicht mehr hatten.

Parallel musste ich auf die Kosten achten: Eine normale Rückholung kostet schon mal 10.000 Euro. Wird ein Fahrzeug im Container verschifft, müssen oft noch Transportschäden ersetzt werden. Das will gut abgewogen und kalkuliert sein.

Eine ADAC Partnerfirma übernahm die Fahrzeug-Rückholung

Dann stießen wir auf die ADAC Partnerfirma Car-Port Autotransport GmbH, die sonst Fahrzeuge aus Großbritannien und Irland holt. Bei ihr arbeitet ein marokkanischer Fahrer. Das war wichtig, um im Land Probleme schnell und einfach zu klären.

Gleichzeitig hatten wir mit dem marokkanischen Transportministerium ausgehandelt, dass wegen Corona eine Ausnahme für havarierte Fahrzeuge gilt, und die Fahrer dieser Firma die Fahrzeuge unverzollt außer Landes bringen dürfen. Und: Zum Glück gelten für den gewerblichen Transport andere Quarantäne-Bedingungen.

Nach etlichen Telefonaten beauftragten wir Car-Port, nach Marokko zu fahren – mit zwei Lastwagen, die Wohnmobil, Autos und Motorräder aufladen konnten. Die Fahrer hatten neben den üblichen Papieren und negativen Corona-Tests notariell bestätigte Vollmachten dabei, die wir zuvor neu erarbeitet und ins Französische übersetzt hatten.

Immer wieder kam es zu Verzögerungen

Die meisten Unterlagen, Stempel und Vollmachten der Fahrzeug-Eigentümer hatten wir schon in der Hand, aber ein Besitzer war nicht zu erreichen. Er hatte als seinen Wohnsitz die Adresse seiner Eltern in Thüringen angegeben, lebte dort aber gar nicht. Am Ende bat ich einen Straßenwachtfahrer, kurz dort vorbeizufahren und den Eltern Bescheid zu geben. Die haben sich dann gekümmert.

Inzwischen fuhren die Lastwagen bereits über Frankreich und Spanien nach Marokko. An jeder Grenze gab es Verzögerungen, die wehtaten. Denn üblicherweise dauert es in Nordafrika ein paar Tage, bevor man die Autos bekommt – egal, ob man die nötigen Unterlagen dabei hat oder nicht.

Als die beiden Lastwagen im Hafen von Tanger angekommen waren, ging es tatsächlich nicht weiter. Auf einmal war der dortige Zoll mit den Vollmachten nicht einverstanden. Wir wussten weder warum, noch wie lange die Klärung des Problems dauern würde. Solche Verhandlungen ziehen sich schon mal zwei Wochen. Dabei war längst Anfang Dezember, bald würde also der marokkanische Zoll die Fahrzeuge einfach übernehmen.

Die Deutsche Botschaft in Marokko wurde zum Helfer in der Not

Wir baten schließlich die deutsche Handelskammer in Marokko um Hilfe, die wiederum die Deutsche Botschaft einschaltete. Das hat sehr geholfen und alles beschleunigt. Jetzt forderte der Zoll für jedes Fahrzeug noch Zollgebühren und eine zusätzliche ADAC Vollmacht mit Stempel. Den habe ich nicht im Homeoffice, also fuhr ich schnell die 45 Kilometer ins ADAC Gebäude, stempelte die Formulare und legte sie aufs Fax-Gerät.

Von da an lief alles glatt. Die Car-Port-Mitarbeiter luden die sechs Fahrzeuge auf die Lkw und setzten nach Spanien über. Dort segneten die spanischen Grenzer die Ladung innerhalb von zwei Tagen ab, und alles ging reibungslos weiter.

Autos werden auf einen Autotransporter geladen
Die zurückzuholenden Fahrzeuge werden im Depot des ADAC Servicepartners in Tanger auf die Lastwagen geladen.© Car-Port Autotransport GmbH

Kurz vor Weihnachten riefen wir unsere Mitglieder an und informierten sie über die erfolgreiche Rückholaktion. Heute stehen die Fahrzeuge wieder in Rheinland-Pfalz, Thüringen, Niedersachsen und Bayern.“

Hier lest ihr, wie der ADAC für zwei junge Männer nach einem Roller-Unfall einen Krankenrücktransport aus Thailand organisiert hat.


Fotos: Car-Port Autotransport GmbH
Autor: Roman Breindl