Meran – zurück in die Zukunft

Jahrzehntelang hat die Kurstadt Meran mit Knödeln, Lederhosen und Sisi-Kult die Besucher nach Südtirol gelockt. Nun kehrt eine in alle Welt verstreute junge Generation heim – um der Stadt neuen Zauber einzuhauchen. Plus: Die Top-Sehenswürdigkeiten, Restaurants und ein Hotel-Tipp.
Alpin-mediterraner Treffpunkt für Künstler und Designer
Meran ist heute wieder Anziehungspunkt für junge Familien
Inzwischen auch als Shopping-Paradies gefeiert
Wenn Martin Kirchlechner morgens im Garten seines Familienguts sitzt, dann deutet nichts darauf hin, dass um ihn herum eine Stadt mit rund 40.000 Einwohnern zum Leben erwacht. Kein Verkehrsrauschen, kein Hupen. Nur das Zwitschern der Spatzen. Kakteen, Phönix-Palmen und Agaven leuchten in der Morgensonne, die zwischen den schneebedeckten Gipfeln hindurchstrahlt.
Das ist Meran. Ein mediterran-alpines Zusammenspiel. Im Norden von der Texelgruppe abgeschirmt, deshalb immer einen Schuss südländischer als der Rest der Alpenprovinz. Seit Jahrhunderten Treffpunkt der Künstler – Arthur Schnitzler, Franz Kafka, Heinrich und Thomas Mann. Und natürlich Sissi, die Kaiserin, die Meran 1870 und 1889 zu ihrem Winterdomizil erkoren hatte.
Das sind die Top-Sehenswürdigkeiten in Meran
Kurhaus
Das im 19. und 20. Jahrhundert errichtete Bauwerk an der Passer-Promenade bewahrt den Flair des einstigen Weltbades. Heute dient es als Veranstaltungszentrum.
Landesfürstliche Burg
Das kleine Schloss wurde im 15. Jahrhundert als Stadtresidenz erbaut und gilt als Zeugnis spätgotischer Wohnkultur.
Laubengasse
In den Stallungen der früheren Hauptstadt Meran sind heute Nobelboutiquen untergebracht.
Stadtpfarrkirche
Das mittelalterliche Gotteshaus mit seinem 83 m hohen Turm gilt als Lieblingsmotiv aller Fotografen.
Schloss Trauttmansdorff
Das Touriseum führt durch 200 Jahre Meraner Geschichte und beherbergt über 100.000 Pflanzen.
Meran ist mehr als nur ein Kurort

Die Stadt ruhte stets in sich. Irgendwann dann aber etwas zu sehr. Viele junge Meraner wollten in den vergangenen Jahrzehnten weg aus dem angestaubten Idyll. Auch Kirchlechner hat es als Student nach Wien gezogen. Während seines Studiums hat seine Familie beschlossen, ihr mittelalterliches Gut umzubauen. Und je mehr der heute 30-Jährige in den Semesterferien beim Umbau half, umso mehr keimte in ihm die Idee, das Haus selbst zu führen.
Kirchlechners Hotel Ottmanngut zieht ein Publikum an, das Lust auf Südtiroler Kultur abseits der jahrzehntealten Klischees aus Knödeln, Lederhosen und Alpenschick hat. Es steht für die angebrochene Verjüngungskur der alten Dame Meran. Die Gäste sitzen im Frühstückssaal beim 3-Gänge-Menü. Hausgemachtes Sauerteigbrot, Ziegencamembert aus dem Ultental, pochiertes Ei aus Marling, hausgemachter Holunderblütensaft. "In meiner Jugend waren die Gäste durchgehend älter", erinnert sich Kirchlechner. Es kamen vor allem Busgruppen nach Meran. Heute spazieren junge Paare mit Kinderwagen über die Passerpromenade.
TIPP
Ottmanngut*: Ein grünes Idyll inmitten der Stadt mit elf individuell eingerichteten Zimmern.
Viele kreative Köpfe kommen zurück

Meran war immer schon eine Stadt des Wandels. Bis 1420 Tiroler Landeshauptstadt, erfand es sich Mitte des 19. Jahrhunderts als Kurstadt neu. Als Pionierin des Tourismus wurde sie Vorreiter regionaler Modernität. Die 2005 erbaute Therme* gab den Startschuss zum erneuten Erwachen. Dann folgten renovierte Schätze wie das Ottmanngut oder auch der Pur-Südtirol-Laden inmitten der Stadt, der mit Produkten aus der Region für ein neues Bekenntnis zum Genuss steht.
Die Innenausstattung der Südtiroler Pur-Läden mit gedrechselten Lampen aus heimischem Kastanienholz und Porphyrböden aus dem Sarntal stammt von Harry Thaler. Als Student hatte es den Meraner nach London verschlagen, und noch während seines Studiums am Royal College of Art erfand er den "Pressed Chair", einen 2,8 Kilogramm leichten Stuhl aus Aluminium, wofür er in der Designwelt gefeiert wurde. Im Sommer 2017 ist er aus England zurückgekommen. Thaler sitzt im Sternerestaurant Sissi, einem seiner Lieblingslokale: "Früher zog es alle Kreativen in die großen Städte, heute ist man besonders, wenn man in die Provinz geht."
TIPP
Sissi*: Sternekoch Andrea Fenoglio präsentiert seine innovative Küche.
Kulinarisch hat Meran viel zu bieten

Andrea Fenoglio, Chefkoch und Besitzer des Sissi, tischt dem Designer die Hauptspeise auf: Milchlammschulter in Pistazienkruste. Fenoglio ist auch so einer, der sich die Stadt macht, wie sie ihm gefällt. Er hat sich nie darüber beklagt, dass ihm in den Touristenrestaurants das fade und überteuerte Angebot nicht schmeckt, sondern eine eigene Pizzeria eröffnet, das 357 – geleitet von seiner langjährigen Mitarbeiterin Mariantonietta Stramandinoli. Auch sie ist dafür nach Meran zurückgekehrt.
Der Rohschinken stammt aus Modena, die Pilze kommen aus Südtirols Wäldern, die Oliven aus dem apulischen Bitonto, die Zwiebeln aus dem kalabrischen Tropea. Dazu gibt es eine Auswahl an exzellenten Weinen, Whiskys, Gins und italienischen Craftbieren.
In Lokalen wie dem 357, dem Kallmünz am Sandplatz oder der Cocktailbar Rossini an der Freiheitsstraße, der zentralen Ausgehmeile, verschmilzt alle Inspiration der Stadt. Hier findet sich die zurückgekehrte Kreativszene, die ihre Heimat umgestalten will.
TIPP
357* Beste Pizzeria der Stadt.
Kallmünz* Dieses Restaurant ist eine der feinsten kulinarischen Adressen der Stadt.
Rossini* So muss eine Bar sein: Neonlicht, schlichtes Design, exzellente Getränke.
Junge Designer machen den Ort zum Shopping-Paradies

Mal schauen, sagte sich auch der Modedesigner Dimitrios Panagiotopoulos, als er nach einigen Jahren im Ausland beschloss, von seiner Heimatstadt aus sein Glück zu versuchen. Das Kosmopolitische steckte ihm von Geburt an im Blut. Sein Vater ist Grieche, seine Mutter entstammt einer Meraner Hoteliersfamilie. Auch Panagiotopoulos hat von Kindheit an die Reisebusse ankommen und abfahren sehen. Mit Tracht und Volksmusik konnte der 41-Jährige schon als junger Bub nichts anfangen.
Er sammelte Erfahrungen in London bei Vivian Westwood und in Metzingen bei Hugo Boss. Metzingen! "Da wurde mir bewusst, dass man auch von der Provinz aus Großes erreichen kann", sagt Panagiotopoulos. Nach dem Besuch einer Münchner Modeschule hatte er seine eigene Linie "Dimitri" gegründet. Sitz des Labels: Meran. Ein Modedesigner in der Kleinstadt. "Das war nicht leicht am Anfang", sagt er, "einige Meranerinnen dachten, ich sei Schneider, und brachten mir Kleider zum Flicken."
TIPP
Dimitri* Allein schon der Treppenaufgang zum Atelier und Verkaufsshop des Modedesigners Dimitrios Panagiotopoulos am Sandplatz lohnt einen Besuch.
Nachwuchskünstler beleben die Szene

Auch Theresa Gutweniger ist Teil dieses jungen Meran. Die Sängerin ist zurück aus Los Angeles, wo sie als Tracy Merano einige ihrer selbst komponierten Lieder aufgenommen hat. Sie steht am Beginn ihrer Karriere. Weggehen? Hierbleiben? Sie zuckt mit den Achseln. "Mal schauen", sagt die 23-Jährige unbeschwert.
Schnell hat sich die Kurstadt an die neuen Tonangeber gewöhnt. So wie sie sich immer an das Neue gewöhnt hat – ohne das Alte ganz loszulassen. Die Sonne sinkt und lässt den Himmel golden leuchten. Abends im 357: Ein babylonisches Sprachengewirr aus Deutsch, Italienisch, Südtiroler Dialekt und Englisch umhüllt die Szenerie.
Aus dem Ofen dringt Pizzaduft. Mariantonietta Stramandinoli schaut in die Runde, begrüßt die Gäste, empfiehlt das Craftbier einer kleinen norditalienischen Brauerei. "Das hier ist meine Familie", sagt sie. Und es ist klar, dass sie auch das neue Meran meint. Diese Stadt, die sich von der Biederkeit ihrer Vergangenheit und von der Kaiserin Sissi gelöst hat.
Dieser Beitrag ist ursprünglich im ADAC Reisemagazin Südtirol erschienen. Nutzung mit freundlicher Genehmigung der ADAC Medien und Reise GmbH.
Text: ADAC Reisemagazin/Lenz Koppelstätter
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