Autistischer Förderkandidat Finn Niklas Wollnik: „Man kann alles schaffen, man muss es nur wollen“
Wenn der 14-jährige Finn Niklas Wollnik ins Rennfahrzeug steigt, ist er in seiner Welt. Hier kann er alles um sich herum ausblenden und ist vollkommen fokussiert auf das Auto und die Strecke. Der Förderkandidat des ADAC Weser-Ems geht in dieser Saison erstmals beim ADAC Tourenwagen Junior Cup an den Start. Das Besondere: Er ist Autist.
Finn hatte keine leichte und unbeschwerte Kindheit. Ständige Untersuchungen und Therapien bestimmten seinen Alltag. Das Knüpfen sozialer Kontakte fällt ihm schwer. Zudem hat er Schwierigkeiten, sich sprachlich richtig auszudrücken und Emotionen zu verstehen. Ihm blieb es verwehrt, wie andere Kinder unbeschwert draußen zu spielen und sich mit Gleichaltrigen zu treffen. „Wir hatten Sorge, dass Finn aufgrund des Autismus später keine Ausbildung beginnen kann“, erzählt seine Mutter Bianka. „Dank des Motorsports hat er sich so positiv entwickelt, dass das nun doch möglich ist“, freut sie sich.
Das Kartfahren wird Finns Leidenschaft
2017 im Urlaub mit seinen Eltern trat der Motorsport in sein Leben: Der damals 8-jährige Finn saß erstmals in einem Leihkart und fuhr die ersten Runden. „Das hat mir so viel Spaß bereitet, da wusste ich direkt: Das ist genau meins“, erzählt Finn. Seine Mutter Bianka ergänzt: „Ab diesem Moment wollte Finn Kart fahren. Wir wussten, dass bei uns in Steinfeld ein Verein ist, der Kartslalom anbietet.“ Durch seinen Autismus benötigte Finn drei Anläufe, um sich dort vorzustellen. „Nachdem er das geschafft hatte, stand fest, dass er Kartslalom fahren wird.“ In den kommenden Jahren folgten Teilnahmen an verschiedenen Kartslalom-Pokalen und Finn konnte erste Erfolge einfahren. So wurde er 2019 Dritter beim Frieslandpokal und holte sich ebenfalls den dritten Platz bei der Vereinsmeisterschaft Jugend. Doch dann kam Corona und für Finn stand fest, dass er mehr wollte, als nur ein paar Minuten Slalom zu fahren. Seine Eltern unterstützen ihn stets: „Wir haben Finn daher ein Rennkart gekauft. Mein Mann ist mit ihm nach Hagen zum Training gefahren, da dort damals die Coronamaßnahmen ein wenig gelockert wurden“, erzählt Mutter Bianka. Das Training zahlte sich aus, sodass Finn im Jahr 2021 beim ADAC Rundstrecken-Einsteiger-Cup, kurz REC, fuhr und sich den Meistertitel holte. Anfang 2023 nahm er am Wintercup in Kerpen teil. Im Juniorbereich sicherte er sich den ersten Platz. Er stieg um auf den Seniorbereich und startete in der RMC-Cup-Serie. Aufgrund eines privaten Unfalls, bei dem Finn sich das Handgelenk brach, konnte er an zwei Rennen nicht teilnehmen. Doch davon ließ sich der 14-Jährige nicht stoppen und holte sich in der Meisterschaft allen Widrigkeiten zum Trotz den dritten Platz.
Das neue Ziel: Mit dem Auto auf die Rennstrecke
In diesem Jahr folgt der nächste große Sprung im Motorsport für Finn: Er wird beim ADAC Tourenwagen Junior Cup an den Start gehen. Wie es dazu kam? Finn und seine Eltern wurden vom ADAC Weser-Ems zum Nürburgring eingeladen, um sich die Serie anzuschauen. „Der Tourenwagen Junior Cup hat mich sofort fasziniert. Ich finde es gut, dass die Autos alle gleich sind und ich so vom Kart aufs Auto umsteigen kann“, berichtet der 14-Jährige. „Auf dem Heimweg hatte ich Tränen in den Augen und habe zu meinen Eltern gesagt, dass ich dort unbedingt mitfahren möchte.“ Seinen großen Traum unterstützten seine Eltern. Vater Mario: „Da wurde uns klar, wir müssen Finn das ermöglichen, dass er diesen Sprung schafft. Seit diesem Tag hat er nur noch über den Tourenwagen Junior Cup gesprochen.“
Sein Ziel – im Auto auf den großen Rennstrecken zu fahren – hat er bereits jetzt erreicht. Für ihn jedoch kein Grund, weniger ehrgeizig zu sein: „Ich möchte in der bevorstehenden Saison beim Tourenwagen Junior Cup ganz viel lernen. Und für die Meisterschaft habe ich mir als Ziel gesetzt, nicht letzter zu werden.“ Für den autistischen Jungen hat der Motorsport einen ganz besonderen Stellenwert: „Motorsport ist mein Leben, das ist meine Welt. Ich mag Menschenmengen nicht so sehr und manche Geräusche und Menschen verstehe ich nicht. Wenn ich mein Visier schließe, bin ich fokussiert und die Außenwelt kann mir nichts anhaben.“
"Ich bin so, wie ich bin"
Vor einem Rennen geht Finn in Gedanken nochmal die Strecke komplett durch, hört Entspannungsmusik und redet sich selbst gut zu. Er ist dann sehr ruhig. Immer wieder gibt es Menschen, die seine zurückgezogene und in sich gekehrte Art falsch interpretieren: „Finns Mimik und Gestik werden oft falsch verstanden. Er musste lernen, Geräusche und Menschen auszublenden, um sich in bestimmten Situationen zurecht zu finden. Es hieß dann öfter, er wäre arrogant oder unfreundlich. Dabei ist es eigentlich nur ein Schutz für ihn selbst“, erzählt seine Mutter Bianka. Finn ergänzt: „Ich bin so wie ich bin. Ich finde vielleicht nicht immer die richtigen Worte, die Menschen hören wollen. Aber Motorsport ist mein Leben und ich werde immer mein Bestes geben, um dort erfolgreich zu sein.“ Durch den Sport hat Finn gelernt, soziale Kontakte aufzubauen, mit Emotionen umzugehen
und diese auch zuzulassen. „Ihn so fröhlich und voller Lebensmut zu erleben ist für uns einfach unglaublich“, so Mutter Bianka. Für Kinder und Jugendliche mit Autismus, die gerne in den Motorsport einsteigen möchten, hat der junge Nachwuchsfahrer einen Rat: „Ganz wichtig ist, dass die Menschen Spaß daran haben. Man kann alles schaffen, man muss es nur wollen – egal, was andere sagen!“