Die Motorrad Safety League fordert auch erfahrene Bikerinnen und Biker. ADAC Redakteur Lorenzo Walcher erzählt, was er auf der Nürburgring-Nordschleife erlebt hat. 7.45 Uhr – meine Hände kribbeln, als ich durch die Boxengasse rolle. Der Asphalt dampft – es riecht nach Regen. An der Bande steht auf einem Schild: "Welcome to the green hell". Eine Ducati rasselt vorbei. Gleich geht es los. Zwischen Respekt und Vorfreude "Ich dachte, nach der Kuppe geht es geradeaus" – das habe ich an der Wand meines Hotelzimmers gelesen, als ich mich morgens zum Treffpunkt aufgemacht habe. Es ist ein Zitat von Rennfahrer Robby Unser. Auch wenn ich damit noch wenig anfangen kann, verspüre ich reichlich Respekt und mindestens so viel Vorfreude. Bis auf ein paar Runden auf dem Sachsenring war ich noch nie auf einer Rennstrecke. Und dann gleich hier, auf der berühmtesten der Welt – der legendären Nürburgring-Nordschleife. Über 20 Kilometer, mehr als 70 Kurven, rund 300 Höhenmeter und mehr Mythen als jede andere Strecke. Briefing an Tribüne 13. Rund 200 Fahrerinnen und Fahrer sind zusammengekommen, um ein Motorrad-Perfektionstraining zu absolvieren. Die Anspannung ist klar zu spüren: An allen Ecken und Enden der Boxengasse wuselt es, hier wird noch ein Visier poliert, dort noch ein Bike getankt. Einer der Instruktoren greift zu einem Mikro und lädt über einen Lautsprecher zur Entspannung ein: "Schließt eure Augen und achtet nur auf eure Atmung". Etwas Ruhe kann nicht schaden, denke ich mir, und tatsächlich kehrt für ein paar Momente komplette Stille an der Nordschleife ein. Einige ruhige Atemzüge später erwacht die Box mit einem "Und jetzt viel Spaß!" wieder zum Leben. Jetzt geht es auch los für die acht Gewinner der Motorrad Safety League, einer Fahrsicherheitsinitiative, die der ADAC gemeinsam mit der Zeitschrift Motorrad und anderen Partnern durchführt. Eine bunte Gruppe – und auch die Bikes könnten unterschiedlicher nicht sein. Von der Reise-Enduro über das Naked Bike bis hin zur Supersportler ist alles vertreten. Sogar ein Elektrobike mischt mit. Klar ist: Bei der Safety League sind Hubraum und Leistung zweitrangig. Wer hier mitfährt, hat Können und Geschick bereits in den Vorentscheiden unter Beweis gestellt. Damit auf der Nordschleife alles sicher und kontrolliert abläuft und die Teilnehmenden viel lernen, wird unsere Gruppe von zwei Profis geführt: Dirk und Sven. Beide haben tausende Kilometer auf der Eifelstrecke gesammelt und hunderte Trainings begleitet. "Fahrt in einer Linie und immer kompakt. Später werden wir schneller sein, dann geht nur noch diese Linie", sagt Sven. Und Dirk ergänzt: "Vertraut euch gegenseitig und uns Trainern. Wirklich auf Sicht fahren wir hier nicht." Langsam dämmert mir, was Robby Unser meinte. Sektionstraining: Die perfekte Linie 7.58 Uhr – der erste Turn beginnt. Ohne Startsignal, trotzdem unüberhörbar: Dutzende Motorräder springen gleichzeitig an. Auch ich starte mit einer von BMW gestellten Maschine. Als ich den ersten Gang einlege, zeigt das Display eine Zwei: GP-Shift. Das bedeutet, dass die Reihenfolge der Gänge umgedreht ist. Gut, dass der erste Programmpunkt aus einem Sektionstraining besteht, also Übungen auf einem ausgewählten Bereich der Strecke, den wir Nürburgring-Anfänger näher kennenlernen. So haben die BMW und ich noch etwas mehr Zeit, uns vertraut zu machen. Geschlossen geht es auf die Piste: Wir erkunden den Abschnitt vom Schwedenkreuz bis in die Kompression der Fuchsröhre. Gut 30 Minuten fahren wir die Sektion rauf und runter, werden warm mit Teamkollegen, Asphalt und Motorrad. G-Kräfte in der Fuchsröhre 09.30 Uhr – es wird ernst. Die erste komplette Runde Nordschleife. Jetzt wird sofort klar, was Robby Unser und unsere Trainer meinten: Wer die Strecke nicht im Schlaf kennt, kommt ohne Vertrauen in den Vordermann nicht weit. Auch die vielen Videos, die ich im Vorfeld gesehen habe, helfen nur bedingt. Trotzdem sind die ersten 20 Kilometer ein purer Genuss. Schwer zu beschreiben wie es ist, wenn man durch den Abschnitt Ex-Mühle rauscht und kurz Richtung Himmel schaut. Wenn einen die G-Kräfte das erste Mal in der Fuchsröhre in den Sitz drücken. Oder das Gefühl beim Überfahren der Betonplatten im Karussell. 10 Uhr – zurück in der Boxengasse sprudelt es aus den Teilnehmern: Alle erzählen von ihren Eindrücken, tauschen sich aus über Optimal-Linien und schwierige Passagen. Dirk und Sven geben Feedback und bereiten uns auf den nächsten Ritt vor. Während wir noch diskutieren, läuft im Hintergrund Helmut Dähne vorbei. Der 80-Jährige ist Sieger der TT-Isle of Man, mehrfacher Deutscher Meister und ewiger Rundenrekordhalter auf der Nordschleife – kaum jemand verkörpert den Mythos dieses Kurses so sehr wie er. Im Fluss der Nordschleife Die Pausen verfliegen, mit jedem neuen Turn werden wir schneller. Immer 30 Minuten sind wir in der Box, bevor es wieder für 30 Minuten raus geht. Inzwischen ist die Strecke vollständig abgetrocknet und die Gruppe warm. Auch in Sachen Vertrauen gibt es keine Zweifel mehr. Es herrscht der grundsätzliche Gedanke: Wenn der Vordermann so fahren kann, dann geht das bei mir auch. Das Resultat: Die Nordschleife wird zu einem konstanten Fahrfluss, zu einer Achterbahn, nur eben nicht auf Schienen. 16.30 Uhr – ich schaue auf die Uhr und frage mich, wo die Zeit geblieben ist. Eben war noch Mittagessen, jetzt endet bereits der erste Tag. Ehrlich gesagt ist das auch in Ordnung: So spaßig wie es ist, der Nürburgring fordert seinen Tribut. Erschöpft, glücklich und voller Vorfreude auf morgen geht es für alle Fahrerinnen und Fahrer zurück ins Hotel. Beim gemeinsamen Abendessen denke ich noch einmal an Robby Unsers Worte. Ich muss grinsen. Alle Infos zur Safety League gibt es hier.