Krankenrücktransport eines Corona-Patienten aus Peru

ADAC Blog

Rücktransport eines Patienten im Ambulanz-Jet am Flughafen Cusco, Peru
© Hille

„Das war der logistisch-medizinisch schwierigste Einsatz seit Langem“, sagt ADAC Flugarzt Dr. Michael Hille heute. Der Notfallmediziner leitete den fünf Tage dauernden Krankenrücktransport eines Corona-Patienten aus Peru.

Der Oberbayer Bertold H. hatte sich bei einer Wanderung Ende August 2021 über den Inka-Trail mit Covid-19 infiziert und war ins Koma gefallen. Sogar ein Luftröhrenschnitt war nötig geworden. Bertold H. war in Peru vier Wochen an einer Beatmungsmaschine angeschlossen.

Erst Anfang November 2021 konnte das vom ADAC Ambulance-Service beauftragte Team den 54-jährigen Schwerkranken wohnortnah nach Deutschland holen. „Der Einsatz war eine große Herausforderung für den Patienten, die Crew und auch für mich“, fasst Flugarzt Hille den über 220.000 Euro teuren Einsatz zusammen. „Es ist erstaunlich, was die Kollegen in Peru in diesem kleinen Anden-Krankenhaus geleistet haben.“ Denn schwierige Infektionen überraschen selbst die Ärzte in einem gut vernetzten Klinikum wie Bamberg, in dem Hille als Oberarzt in der Notaufnahme arbeitet.

Allein das Beatmen eines komatösen Covid-Patienten sei sehr anspruchsvoll. Das Krankenhaus liegt in den Anden auf knapp 4000 Metern Höhe. So weit oben ist die Luft dünn, deshalb drohen weitere Komplikationen, von den Konsequenzen für einen schwer an der Lunge Erkrankten gar nicht zu sprechen. „Wir haben auf diesem Transport alles gegeben“, meint Hille, der in seiner Nebentätigkeit als Flugarzt rund 20-mal im Jahr für den ADAC Ambulance-Service Schwerkranke aus dem Ausland nach Hause holt. Rund 120-mal landete er in den letzten Jahren bereits mit Patienten an Bord in Deutschland.

Viele Komplikationen beim Krankenrücktransport des Corona-Patienten

„Eine lange Narkose führt meistens zu schweren Komplikationen,“ weiß Hille. So auch bei Bertold. H. Er leidet unter einer Entzündung in der Lunge, Nierenversagen, Kreislaufproblemen, Verdauungsstörungen, neurologischen Ausfallerscheinungen, Druckstellen am ganzen Körper. Dazu bauen sich durch das lange Liegen die Muskeln ab. „Das alles machte den ohnehin anspruchsvollen Lufttransport von Südamerika nach Europa schwieriger.“ Denn in der dünnen Luft mutiert jede körperliche Anstrengung zu einer ziemlichen Belastung, das merkt die Crew sogar beim Tragen ihrer Koffer. Dazu beeinträchtigen die FFP2-Masken die Atmung.

Hinzu kommt die Pandemie: Landegenehmigungen für außereuropäische Länder sind nur schwer zu bekommen. „Dazu müssen gut ausgebildete Notfallsanitäter oder Intensivpflegekräfte und Piloten an Bord sein, die Dienstpläne passen, aktuelle PCR-Tests und ein Jet verfügbar sein, zur Not gechartert werden.“ Eine Riesenaufgabe für die Disponentin des ADAC Ambulanz-Service in München, die sich tagelang um die Organisation des Krankentransports kümmert.

Start des Krankenrücktransport aus Peru mehrfach verschoben

Zwei Flugsanitäter vor dem Ambulanz-Jet Challenger am Flughafen Cusco, Peru kurz vor dem Rückflug
Der gecharterte Challenger des ADAC Ambulance-Service kurz vor dem anspruchsvollen Start in fast 4000 Meter Höhe© Hille

Denn der Zustand von Bertold H. verändert sich immer wieder. Gilt er an dem einen Tag als transportfähig, meldet die peruanische Klinik am anderen, dass sich der Zustand wieder verschlechtert habe, der Heimflug nicht möglich sei. Dann cancelt die Disponentin den Ambulanz-Jet, storniert Fluggenehmigungen und sagt der für den ursprünglichen Termin gebuchten Crew ab. Mehrfach wird ein geplanter Start verschoben, am Ende verschiebt sich auch Hilles geplanter Urlaub, der peruanische Patient geht vor.

Der gecharterte Challenger des ADAC Ambulance-Service kurz vor dem anspruchsvollen Start in fast 4000 Meter Höhe. Bild: Hille

Schließlich hebt ein gecharterter Challenger-Jet für die 12.500 Kilometer lange Strecke von Nürnberg nach Cusco ab. Fünf Piloten sind an Bord, zwei Flugsanitäter und der für den ADAC tätige Arzt. Bei einem Zwischenstopp auf halber Strecke auf den kapverdischen Inseln im Atlantik steigen zwei der Piloten aus, sie fliegen auf dem Rückweg den Jet mit Patient und restlicher Crew an Bord ausgeruht nach Europa zurück. Die anderen drei Piloten hatten sich auf die schwierige Landung in Peru vorbereitet, Fachwissen angeeignet, Schulungen gemacht: Landung und Start in 4000 Metern Höhe in den Bergen erfordern besondere Sorgfalt.

Professionelle Peruaner

Nach der Landung besucht die medizinische Crew sofort den Patienten im Krankenhaus, trifft die peruanischen Kolleginnen und Kollegen zu ersten Übergabegesprächen. Im Verlauf dieser ausführlichen Visite diskutieren Pflegekräfte und Ärzte die medizinischen Probleme und die Transportlogistik. Hier zeigt sich erneut, wie hochprofessionell und kompetent das peruanische Team in den vergangenen Wochen das Überleben des Patienten ermöglicht hatte.

Wenige Stunden bleiben der deutschen Crew, um sich auszuruhen. Am nächsten Morgen geht es um 4.30 Uhr vom Hotel zurück zum Flughafen. Dort warten Patient, Ärzte und der Jet. Und schon die nächste Herausforderung: Ein vollgetanktes Flugzeug ist zu schwer, hebt in der extremen Höhe nicht ab, Triebwerke und Tragflächen bringen in der dünnen Luft nicht genug Auftrieb zustande. Deshalb startet der Challenger mit wenig Treibstoff, vollgetankt wird erst in Bolivien. Nach dem so erzwungenen Zwischenstopp und einem weiteren Tankstopp in Brasilien nimmt der Challenger Kurs auf die Kapverden – dort erfolgt mitten in der Nacht der geplante Pilotenwechsel für den weiten Weg in die Heimat.

Druckausgleich in der Kabine

An Schlaf ist während des Flugs nicht zu denken: Das medizinische Personal überwacht ständig den schwer kranken Patienten und beobachtet kritisch die angeschlossenen Geräte zur Überwachung und Stabilisierung der Vitalfunktionen. Den gesamten Flug über herrscht höchste Konzentration in der fliegenden Intensivstation, für die die Piloten einen speziellen Druckausgleich schufen. Um denkbare Komplikationen auszuschließen, ist die medizinische Ausrüstung doppelt an Bord: „Da oben bist du allein, da hilft dir kein Kollege wie im OP-Saal im Krankenhaus,“ sagt Michael Hille. Aus seinen über 120 Einsätzen für den ADAC Ambulanz-Service weiß er, die Technik muss funktionieren, Know-how und Kommunikation im Team müssen stimmen.

Nach 18 langen Flugstunden setzt die Maschine am frühen Morgen zur Landung in Friedrichshafen am Bodensee an. Den schwer kranken Corona-Patienten übernimmt auf dem Rollfeld ein Rettungswagen und fährt ihn in eine Spezialklinik.

Ende November 2021 erreichte uns die traurige Nachricht, dass Bertold H. während seines Reha-Aufenthalts verstorben ist. Die Familie des Patienten war dankbar, dass er seine letzten Wochen in Deutschland verbringen konnte. Auf ausdrücklichen Wunsch der Familie dürfen wir die Geschichte seiner Rückholung hier erzählen.