Eigentlich war es ein Routine-Einsatz für Harald Heinlein, Winden-Operator der ADAC Luftrettung – wäre die Hochwasser-Katastrophe nicht gewesen… Was er in der Nähe von Neu-Ulm erlebte, erzählt er hier: "Dass dieser Einsatz in Neu-Ulm so einen medialen Wirbel erzeugt, hätte ich nicht erwartet. Ich bin seit über 25 Jahren bei der ADAC Luftrettung tätig und im bayerischen Murnau stationiert. Dort arbeite ich in einem Luftrettungsteam als Winden-Operator und Ausbilder. Mit der Winde können wir sehr gut Personen, zum Beispiel Bergsteiger, aus unwegsamem Gelände evakuieren. Die Arbeit erfordert viel Training und Ausbildung, Erfahrung und Teamarbeit sind weitere wichtige Aspekte. Luftrettung verlegt Hubschrauber Wegen der Hochwasser-Katastrophe in Bayern hatte die gemeinnützige ADAC Luftrettung zwei weitere Hubschrauber mit Rettungswinden ausgestattet, Crews aus den regulären Schichten und dem Urlaub geholt und die Hubschrauber kurzfristig zusätzlich in Ingolstadt und Augsburg stationiert. Wie wertvoll solch eine weitere Unterstützung der Einsatzkräfte und Betroffenen ist, hat die Luftrettung bei der Flut im Ahrtal gezeigt. Person seit zwei Tagen vermisst Wir waren schon einige Tage in Augsburg stationiert und sind von dort aus Rettungseinsätze geflogen – meist von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Dann erreichte uns die Alarmierung für den Silberwald in der Nähe von Neu-Ulm: 'Person im Baum, seit zwei Tagen vermisst'. Nach 20 Minuten Flugzeit sollten wir die übermittelten Koordinaten im Wald erreichen. Auf dem Weg besprachen wir uns: Was ist bekannt? Welches Rettungsmittel ist sinnvoll? Kann ein Dreiecks-Sitz verwendet, oder muss der Bergesack heruntergelassen werden? Diesen Sack verwenden wir oft, wenn die zu rettende Person schwer verletzt ist. Hochwasser schloss Frau ein Als wir den Wald erreicht hatten, war klar, dass eine Landung unmöglich sein würde. Überall war Wasser, an den Rändern der überschwemmten Gebiete standen viele Rettungskräfte. Jetzt kam es darauf an, den richtigen Baum zu finden. In so einem Fall ist es aus der Luft gar nicht so einfach, den Ort zu identifizieren, an dem man erwartet wird. Wir zogen Kreise, sogenannte Suchpattern, bis wir die Frau in dem Baum erkennen konnten. Gefahr durch Rotor-Abwinde Als Nächstes platzierten wir den Hubschrauber über der zu bergenden Frau, das Windenseil musste ja punktgenau zu ihr abgelassen werden. Dazu musste die richtige Hubschrauber-Höhe gewählt werden. Ist der Hubschrauber zu niedrig, besteht die Gefahr, dass die Rotorblätter-Abwinde Wasser aufwirbeln, die Frau ins Wasser drücken oder Äste brechen und jemanden verletzen. Da der Pilot die Einsatzstelle nicht direkt sehen kann, ist er auf meine Information als Operator angewiesen. Ich sitze seitlich in der offenen Tür an der Winde und weise den Piloten über eine Intercom-Anlage ein. Notarzt spricht mit Patientin Wir entschieden uns für eine Höhe von 75 Metern über dem Baum. Dem Piloten gab ich genaue Anweisungen, bis wir auf der richtigen Position standen und der Notarzt abgewincht werden konnte. Er klärte, ob die Patientin verletzt und ob sie bei Kräften war. Nach nahezu 60 Stunden allein im Baum ist das ja nicht selbstverständlich. Außerdem musste er ihr erklären, was beim Aufwinchen auf sie zukommt, und wie sie sich dabei verhalten soll. Die wenigsten Menschen haben damit ja schon Erfahrungen. In diesem Fall war die Patienten sehr kooperativ und situationsbewusst. Gerettet! Wir konnten den Rettungssitz verwenden und die Frau relativ schnell hochziehen. Dafür braucht man eine ruhige Hand. Vorsichtig hoben wir die Frau vom Baum ab und achteten dabei auf abstehende Äste. Kurz bevor sie in fast 75 Metern Höhe die Kufe des Hubschraubers erreichte, verlangsamte ich wie immer die Fahrt. Wenn zum Beispiel die Hände zwischen Kufe und Stahlseil kommen, ist das gefährlich. Als Operator achte ich dann darauf, dass alle Personen in die Hubschrauberkabine kommen und gesichert werden. Das ist zwar einerseits Routine, trotzdem müssen immer alle Handgriffe sitzen. Als die sichtlich erschöpfte Frau und der Notarzt im Hubschrauber waren, landeten wir am Waldrand und übergaben die Gerettete an den Boden-Rettungsdienst, der sich weiter um sie kümmerte. Sie bekam erst mal etwas zu trinken. Alles in allem ging es ihr gut. Wir stellten die Einsatzbereitschaft mit Hubschrauber und Team wieder her und starteten. Auf der Station in Augsburg tankten wir die Maschine auf, damit wir die nächsten Einsätze fliegen konnten. Auch an diesem Tag bis Sonnenuntergang."