Digitale Revolution: So bewertet ADAC Autotester Martin Ruhdorfer die Cockpits der Zukunft

Über 2000 Autos hat Ingenieur Martin Ruhdorfer in den letzten 18 Jahren getestet, und miterlebt, wie sich Instrumente, Anzeigen und Bedienkonzepte weiterentwickelten.
Glas, so weit das Auge reicht. Hier geht es aber nicht etwa um Scheiben, sondern um ein digitales Auto-Cockpit. Genauer gesagt um mehrere, miteinander verbundene Displays auf 1,41 Metern Breite. Mit dem neuen Mbux Hyperscreen zeigt Mercedes im EQS, wo der Trend hingeht: Nach zunächst einfarbigen, dann bunten LCD, kleinen Displays und Touchscreens halten aktuell immer größere Monitore mit mehr Bedienfunktionen und Steuerung per Sprache Einzug ins Cockpit.

Wichtiger Bestandteil des ADAC Tests: Die Bedienung der Autos
Martin Ruhdorfer, Projektleiter der Autotests im ADAC Technikzentrum in Landsberg, testet seit 18 Jahren Fahrzeuge und begleitet damit auch die Entwicklung der Bedienkonzepte. Über 2000 Autos hat der 39-jährige Ingenieur schon gr ündlich überprüft, das sind bis zu 150 pro Jahr.
Neben Fahrten auf Prüfstand und Testgelände fließen auch subjektive Bewertungskriterien in das Testergebnis ein – wie die Bedienung des Autos. Im ADAC Bewertungskatalog werden dafür eine Vielzahl von Eigenschaften überprüft, unter anderem Scheibenwischer-Funktionen, Heizung und Lichteinstellung. Wie einfach lassen sie sich bedienen, behält man auch bei Dunkelheit den Überblick, muss der Fahrer sie suchen?

Auto-Cockpit: Touchscreens und ihre Tücken
„Vor rund 20 Jahren waren die Auto-Cockpits analoger, auch wenn manche futuristisch aussahen. Seit ein paar Jahren geht der Trend zu digitalen Anzeigen, die sich optisch an Smartphones und Tablets orientieren“, sagt Martin Ruhdorfer. Knöpfe und Tasten finden sich immer seltener auf dem Armaturenbrett, moderne Cockpits schauen filigraner, flacher und damit aufgeräumter und schicker aus. Die Bedienung mache das aber nicht unbedingt einfacher.
Manche Hersteller übertreiben es etwa mit dem Touchscreen. „Wenn der Fahrer auf das Display schauen muss, um eine Funktion zu bedienen, geht der Blick weg von der Straße, sodass er im Blindflug fährt“, erklärt der Ingenieur. „Eine Taste oder einen Schalter spürt er hingegen praktisch blind, muss also seinen Blick nur kurz von der Straße wenden.“
Eine reine Bedienung über Touch-Flächen verringere die Treffsicherheit und erhöhe die Ablenkung vom Fahren. „Dafür hat aber die Bedienung über das Lenkrad zugenommen. Mit Dreh-Drück-Reglern kann der Pilot verschiedene Funktionen einfach bedienen“, so Martin Ruhdorfer. Kompliziert werde es jedoch bei kleinen Touch-Flächen auf dem Lenkrad. Sie beim Fahren nicht versehentlich zu berühren, sei gar nicht so einfach.

Auto-Cockpit der Zukunft: Voll digital statt analog
Die Entwicklung von digitalen Cockpits reicht bis in die frühen 1970er-Jahre zurück. Bunte Flüssigkristalle mit grobpixeligen Displays zeigten plötzlich wichtige Infos an, wie beim Aston Martin Lagonda 1976. Beim Opel Kadett GSI blickten Piloten ab 1983 auf ein digitales Cockpit. Ab 1984 schickte Alfa Romeo den 90 mit digitalen Anzeigen. VW Golf GTI-Fahrer konnten ab 1986 ein „Digitales Fahrer-Informations-Zentrum“ (Digifiz) bestellen. In den 1990er saßen häufig unter analogen Zeigerinstrumenten Displays für Kilometerstand, Uhrzeit und Temperatur.
Spätestens ab 2001 wurde es digital. Mit dem BMW iDrive, einem Dreh-Drück-Regler in der Mittelkonsole, sparten die Designer etliche Tasten ein, ohne Funktionen einzubüßen. Armin Distler, Teamleiter Konzepte User Interaction bei BMW, war vor 20 Jahren an der Entwicklung des ersten iDrive-Systems beteiligt. Die Idee war da allerdings schon ein paar Jahre alt: Mit dem 7er E38 führte BMW 1994 als Option für das Auto-Cockpit einen Monitor mit integriertem Navi ein – als erster Hersteller in Europa. „Wir haben dabei festgestellt, dass sich die wachsende Zahl der Funktionen nicht mehr über zusätzliche Schalter oder Tasten abbilden und steuern lässt“, erinnert sich Distler.
Revolutionär: Das BMW iDrive-System
Für den Nachfolger, den BMW 7er E65, planten die Ingenieure eine Revolution: Der Fahrer steuert mit einem Dreh-Drück-Kipp-Steller (iDrive Controller) in der Mittelkonsole einen Cursor auf einem Monitor, der im Armaturenbrett integriert ist. „Die erste Erkenntnis lag darin, Bedienelement und Monitor voneinander zu trennen“, erzählt der Teamleiter.
Eine so genannte Blindbedienbarkeit ist damals neu. „Wir haben gemerkt, dass sich der Dreh-Drück-Kipp-Steller für die Bedienung von Funktionen in einem Display sehr gut eignet. Schnell, intuitiv und mit haptischer Rückmeldung“, sagt Distler. So schaffen es die Ingenieure, in das erste System weit über 100 Funktionen zu integrieren, unterteilt in acht Funktionsgruppen, darunter Telefonie, Entertainment und Navigation.
Auch wenn das erste iDrive polarisiert und anfangs nicht bei jedem Kunden ankommt – die Idee hat sich bis heute durchgesetzt, auch bei anderen Herstellern. 2008 folgt mit der vierten Generation eine noch intuitivere Bedienung, 2012 eine optimierte Grafik. Seit 2015 können Fahrer das System auch per Touch und Geste bedienen, zudem bessert sich die Sprachsteuerung. Seit gut zehn Jahren zählt die iDrive-Bedienlogik in allen BMW-Modellen zur Serienausstattung, nun in der achten Generation.

Usability: Die Bedienung muss intuitiv sein
Wichtig bei allen Fahrzeugen: Bei einem optimal konstruierten Auto-Cockpit kann der Fahrer alle Funktionen bequem ohne Verrenkung intuitiv bedienen. Tasten und Schalter geben im Idealfall durch einen leichten Widerstand eine Rückmeldung über die Arbeit.
„Kompliziert wird es, wenn Funktionen in Untermenüs versteckt sind, und der Fahrer sie nicht auf Anhieb findet“, sagt ADAC Ingenieur Ruhdorfer. Scheibenwischer und Licht müssen daher einfach zu bedienen sein. „Wenn plötzlich Starkregen oder Nebel einsetzt, muss der Fahrer sofort die richtige Funktion einschalten können“, sagt er.
Allein auf große Monitore zu setzen, h ält der Experte für zu kurz gegriffen. Nicht die Größe sei entscheidend, sondern die Funktionalität, die sich dadurch ergebe. Manche neue Techniken bringen aber mehr Nachteile als Vorteile mit sich. Bei einem Kamera-Rückspiegel, bei dem das Verkehrsgeschehen auf einem Monitor im Fahrzeug angezeigt wird, sehen Träger von Gleitsichtbrillen häufig nur ein verschwommenes Bild.
Einige Autohersteller wie Kia oder früher Daihatsu verwenden vergleichsweise große Tasten sowie Drehregler, die intuitiv und damit einfach zu bedienen sind. Auch der VW Golf VII biete im Gegensatz zum aktuellen Golf VIII für die meisten Autofahrer eine leichte Bedienung an. Bei komplexen Systemen sei das iDrive mit seinem Dreh-Drück-Regler mit zusätzlichem Touchfeld nach einer gewissen Einarbeitungszeit für viele Autofahrer gut zu benutzen, ohne auf die Mittelkonsole zu schauen.

Das nächste große Ding: Sprachsteuerung
Mercedes setzt für eine haptische Rückmeldung im Monitor zwölf Stellmotoren ein, dazu kommt eine intelligente Steuerung. Wichtige Rubriken wie Navi, Telefonie und Entertainment werden auf der ersten Oberfläche angezeigt, andere Anwendungen dem Fahrersituativ nach Tag, Uhrzeit und auf den Kontext bezogen angeboten.
Andere Hersteller setzen neben den Touchdisplays vermehrt auf Gesten- und Sprachsteuerung. „Bei immer komplexeren Bediensystemen bietet sich das an. Die Spracherkennung muss aber die Wünsche gut verstehen und auf die Befehle korrekt reagieren“, sagt Ruhdorfer.
Verstehe das System etwas falsch und verstelle versehentlich eine andere Funktion, kann das den Piloten irritieren. „Daher sollten Sprachsteuerungen eine Rückgängig-Funktion oder das System zumindest eine Back-Taste besitzen.“
Autokauf: Unbedingt die Bedienung testen
Vor einem Autokauf rät der Experte, sich das Fahrzeug in Ruhe anzuschauen und die Bedienung genau auszuprobieren. „Nicht nur das Design ist entscheidend, sondern auch der persönliche Geschmack. Ob die Bedienung einem Fahrer liegt, sollte man ausgiebig testen“, empfiehlt er.
Autor: Fabian Hoberg
Fabian Hoberg ist freier Journalist und beschäftigt sich vor allem mit den Themen Auto, Mobilität, Technik und Verkehr. Für den ADAC Blog schreibt er unter anderem auch Porträts über interessante Berufe in der Automobilszene - abseits der Ingenieure.