Ohne Einschränkungen: Gelungene Inklusion beim ADAC

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Die blinde Mitarbeiterin des ADAC Michelle Wagner bei der Arbeit
Michelle Wagner (rechts) und ihre Kollegin Arbenita Mazreku in der Telefon-Service-Zentrale des ADAC Nordbayern© ADAC Nordbayern e.V./Dennis Heldt

Michelle Wagner verstärkt die Telefon-Service-Zentrale des ADAC Nordbayern. Ihre angeborene Seheinschränkung ist dabei kein Hindernis. Wie Inklusion gelingen kann – mit vielen positiven Auswirkungen.

Donnerstagmorgen, 8.30 Uhr. Michelle Wagner sitzt vor ihrem Computer. Gerade absolviert sie ein Trainingsprogramm zu den rechtlichen Rahmenbedingungen einer privaten Haftpflichtversicherung. Neben ihr sitzt Arbenita Mazreku. Sie arbeitet schon länger in der Telefon-Service-Zentrale (TSZ) des ADAC Nordbayern in Nürnberg. Jetzt steht sie Michelle Wagner beim Start im neuen Job zur Seite, unterstützt sie bei der Bearbeitung der Aufgaben. Eine ganz normale Situation zwischen neuer Mitarbeiterin und erfahrener Kollegin.

So normal sollte es eigentlich immer sein – ist es aber in der Realität nicht. Denn Michelle Wagner hat eine angeborene Seheinschränkung und erkennt Farben und Umrisse nur zu drei Prozent. Sie ist die erste Mitarbeiterin bundesweit im Vertrieb des ADAC mit einer starken körperlichen Einschränkung.

Hilfe zur Selbsthilfe

Die 21-Jährige ist im Alltag auf Hilfe angewiesen und benötigt in vielen Situationen spezielle technische Unterstützung, beruflich wie privat. "Zum Glück gibt es mittlerweile viele Apps fürs Smartphone, die mir mein Leben erleichtern. Zum Beispiel kann ich mit der Kamera Texte abfotografieren und sie mir automatisch vorlesen lassen", berichtet Michelle Wagner. Dank hilfsbereiter Freunde und ihrer Familie kann sie in Nürnberg mittlerweile allein wohnen.

"Ich brauche zwar etwas länger, aber auch Kochen ist kein Problem. Ich muss neue Gerichte und Abläufe einmal mit einem Betreuer üben, aber dann klappt das wunderbar", sagt sie. Unterstützt wird sie auch von einem Betreuer vom Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund. Er kommt immer wieder vorbei, wenn sie Neues erlernen muss oder will. Dazu zählen auch Wege zu Fuß. "Ich kann nicht einfach irgendwohin gehen wie andere. Ich muss neue Strecken mit jemandem üben und trainieren, bevor ich allein unterwegs bin", erklärt die gebürtige Oberpfälzerin.

Die blinde Mitarbeiterin des ADAC Michelle Wagner bei einem Gespräch
Gut gelaunt: Michelle Wagner im Gespräch mit ihrem Chef, Sebastian Brand© ADAC Nordbayern e.V./Dennis Heldt

Über 100 Bewerbungen und viele unbegründete Absagen

Den Weg von der Straßenbahn zum ADAC Nordbayern kennt sie mittlerweile. Seit September 2022 arbeitet Michelle Wagner beim Club. Während ihrer Ausbildung zur Kauffrau für Dialogmarketing absolvierte sie zwei Praktika im Callcenter bei H&M und bei der Grundig Akademie. Im Anschluss schrieb sie 100 Bewerbungen in einem Jahr, es hagelte Absagen: "Ich glaube, viele Arbeitgeber hatten Angst und Vorbehalte vor Inklusion und den damit verbundenen Kosten."

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Die Bewerbung beim ADAC Nordbayern war dann eine Initiativbewerbung. "Ich habe im Gespräch schnell gemerkt, dass Michelle eine gute Fachkraft ist, die uns weiterbringen kann. Inklusion ist eher Chance als Herausforderung", sagt Sebastian Brand, Leiter der Telefon-Service-Zentrale.

Allerdings: Die Anschaffung der technischen Hilfsmittel war schwieriger als gedacht, die Kommunikation mit dem Kostenträger mühsam. Unzählige Anträge und Formulare mussten ausgefüllt werden, Rückfragen lähmten, die Bewilligung der Mittel für auf die Bedürfnisse von Sehbehinderten passenden Arbeitsgeräte zog sich hin.

Ohne besondere Technik geht es nicht

Inzwischen hat Michelle Wagner einen besonderen Bildschirm und eine spezielle Tastatur, die durch eine zweite mit Blindenschrift ergänzt werden kann. Die Büro-Software ist barrierefrei, bei vielen Internetseiten werden die Textpassagen vorgelesen, an denen der Cursor sich gerade befindet. Probleme macht noch die IT des ADAC selbst. "Da müssen wir uns als Arbeitgeber an die eigene Nase fassen und nachbessern, wenn wir künftig offener und besser für Inklusion aufgestellt sein wollen", sagt Sebastian Brand.

"Der Arbeitsalltag ist schöner geworden"

Auch mit dem Headset arbeitet Michelle anders als ihre Kolleginnen. Auf einem Ohr hört sie die Sprachausgabe ihrer Anwendungen oder der Internetseiten, auf dem anderen gleichzeitig die Stimmen der Anruferinnen und Anrufer. Ihre beiden Teamkolleginnen Arbenita Mazreku und Una Bejic bewundern die 21-Jährige für dieses Multitasking-Talent und ihr exzellentes Gehör. Una Bejic sagt: "Der Arbeitsalltag ist nicht nur spannender, sondern auch schöner geworden. Als Team sind wir noch stärker zusammengewachsen mit ihr."

Zu einem ähnlichen Fazit kommt Sebastian Brand. "Inklusion ist zwischenmenschlich und fachlich eine Bereicherung. Michelle war eine der besten Personalentscheidungen, die ich bisher getroffen habe."

Inklusion kann also gelingen – und sogar alle anderen Mitarbeitenden weiterbringen. Eigene Verhaltensweisen müssen überdacht werden, man kann sich durch den Kontakt mit Menschen mit Einschränkungen besser in deren Situationen versetzen. In der Nürnberger Telefonzentrale hat Inklusion sogar noch einen Vorteil: Seit Michelle Wagner dort arbeitet, stellt niemand mehr Gegenstände "mal eben kurz" in den Gang. Und das freut nicht nur die neue Kollegin, sondern trägt auch zur Arbeitssicherheit bei.