Das Platzproblem: Wie entwickelt sich der Stadtverkehr?

Doppelportrait von Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) und 
Thomas Burkhardt, Vorsitzender ADAC Weser-Ems
Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte und Thomas Burkhardt, Vorsitzender des ADAC Weser-Ems© ADAC/Peter Neusser/Karsten Klama [M]

Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) und Thomas Burkhardt, Vorsitzender des ADAC Weser-Ems diskutieren über Parkplatznot, Radverkehr und die autofreie Innenstadt.

Auto-Pendler oder Fahrradfahrer - wer prägt den Verkehr in Bremen?

Bovenschulte: Beide. Innerhalb der Stadt legen die Bremerinnen und Bremer ganz viele Wege mit dem Fahrrad zurück, keine Frage, aber bei den Pendlern könnte der Anteil der Radfahrer durchaus noch größer sein. Das gilt übrigens auch für den ÖPNV. Wenn wir ehrlich sind, kommen auch deshalb so viele Pendler mit dem Auto in die Stadt, weil sich die Staus in Bremen an den meisten Tagen in Grenzen halten – jedenfalls verglichen mit anderen Ballungsräumen.

Brauchen Innenstädte wie die von Bremen mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer?

Burkhardt: Ja, aber man muss da ein gesundes Mischungsverhältnis finden. Das gilt übrigens auch für das flache Land. Ob entspannt geradelt werden kann, hängt auch dort von der Infrastruktur ab. Wobei dauerhafte Umbauten, die die Wege nur noch für eine Verkehrsart zementieren, egal ob Auto oder Fahrrad, nicht wirklich zielführend sind. Das Problem ist, dass im Sommer auf den Straßen ein völlig anderes Bild herrscht als im Winter.

Bovenschulte: Gerade in der schönen Jahreszeit steigen viele Pendler aufs Fahrrad um – mit einer starken Tendenz zum Pedelec. Aber auch das ist noch ausbaufähig.

Wann haben Sie sich das letzte Mal über einen Radfahrer geärgert?

Bovenschulte: Ach, das Leben ist zu kurz, um sich über andere Verkehrsteilnehmer zu ärgern. Es gibt auch nicht die einen, die sich immer perfekt verhalten, und die anderen, die
alles falsch machen. Es gibt allerdings einen wichtigen Unterschied: Wenn Autofahrer einen Fehler machen, sind die Folgen zumeist gravierender, als wenn sich Radfahrer oder Fußgänger falsch verhalten.

Burkhardt: Bei dem ein oder anderen Verkehrsteilnehmer, egal mit welchem Verkehrsmittel er unterwegs ist, würde ich mir wünschen, dass er selbst bei korrektem Verhalten schon ein bisschen darauf achtet, ob anderen Fehler unterlaufen und damit sich und andere, vor allem
schwächere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Fahrradfahrer oder Motorradfahrer, schützt.

Das Leben ist zu kurz für Ärger im Straßenverkehr

Das Leben ist zu kurz für Ärger im Straßenverkehr

Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) , Andreas Bovenschulte ist Jurist und seit 2019 Bremer Bürgermeister und Präsident des Bremer Senats. Von allen deutschen Ministerpräsidenten fährt er den umweltfreundlichsten Dienstwagen.©Karsten Klama

Stress gibt es in Bremen, genau wie in anderen Großstädten, bei der Parkplatzsuche. Was kann die Verwaltung besser machen?

Bovenschulte: Das ist schon ein Problem. Und es stellen sich viele Fragen: Gibt es genug Platz für Parkplätze? Und will man diesen Platz überhaupt für Parkplätze hergeben? Oder ist er dafür nicht viel zu wertvoll und sollte man ihn nicht ganz anders nutzen? In den 50er- und 60er-Jahren sind die Autos noch durch die heutige Fußgängerzone und über den Bremer Marktplatz gebrettert und haben dort geparkt. Selbst der größte Hardcore-Autofan würde rückblickend sagen: Das war kein guter Zustand

In Bremen steht sogar ein Parkhaus vor dem Abriss. Gab es einen Aufschrei?

Burkhardt: Aufschrei würde ich nicht sagen. Aber es ist halt ein Dilemma: Auf der einen Seite steht die Erreichbarkeit, die in bestimmten Fällen nur per Auto möglich ist. Auf der anderen Seite die Aufenthaltsqualität. Und das in einer wachsenden Stadt mit zunehmenden Kfz-Zulassungen.

© Karsten Klama

Bis 2030 soll die Bremer Innenstadt autofrei sein. Was hält der ADAC davon?

Burkhardt: Mit dem Begriff "autofrei" kann ich mich nicht anfreunden. Aber an autoarm kann ich mich deutlich eher gewöhnen. Die Innenstadt kann halt nur begrenzt verschiedene Verkehrsmittel aufnehmen. Dem müssen wir uns bis zu einem gewissen Grad beugen. Und dann müssen wir in den Bereichen, die besonders hoch belastet sind, Verkehrsmittel einsetzen, die – über den ganzen Tag betrachtet – den Verkehrsraum am effizientesten nutzen. In der Zukunft wird wichtig sein, verschiedene Verkehrsmittel miteinander zu verknüpfen – wie es bereits einige Städte praktizieren.

Wie hart lässt sich Autofreiheit durchsetzen?

Bovenschulte: Autofrei ist natürlich ein Begriff mit visionärem Überschuss. Selbst denen, die
ihn sehr wortgetreu verstehen, ist ja klar: Bei Anwohner- und Lieferverkehr lässt sich das
nicht in letzter Konsequenz durchdeklinieren. Je größer man solche autofreien Quartiere
denkt, desto mehr Ausnahmen wird es geben. Aber klar ist auch: Wir brauchen weniger Autos in der Innenstadt und mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer.

Wer die Stadt liebt, kommt also zukünftig ohne Auto?

Burkhardt: Ich würde nicht sagen: „Es gibt zu viele motorisierte Verkehrsteilnehmer.“ Viele sind aber ausschließlich auf ihre motorisierte Verkehrsteilnahme fixiert. Wir werden uns immer öfter fragen: Muss ich das Auto heute wirklich nutzen? Da wäre es auch gut, wenn der ein oder andere einfach mal ein anderes Verkehrsmittel vorurteilsfrei ausprobiert. Über die Pedelecs hatten wir ja bereits gesprochen.

Es wäre auch gut, wenn der ein
oder andere einfach mal ein anderes Verkehrsmittel vorurteilsfrei ausprobiert

Es wäre auch gut, wenn der ein oder andere einfach mal ein anderes Verkehrsmittel vorurteilsfrei ausprobiert

Thomas Burkhardt, Vorsitzender des ADAC Weser-Ems, Thomas Burkhardt ist Dipl.-Kaufmann und Oberstleutnant a.D. Von 2010-2019 war er Technikpräsident im Gesamt-ADAC. Seit 2019 ist er Vorsitzender des ADAC Weser-Ems. Und Hybridfahrzeugfahrer seit 2010.©Karsten Klama

Wenn das Auto draußen bleiben soll, müssen dann Busse und Bahnen attraktiver sein?

Burkhardt: Dort, wo der meiste motorisierte Individualverkehr rollt, müssen Busse oder Bahnen verlässlich, bequem und in einem annehmbaren Zeittakt fahren. Wer abends nach dem Theater eine Straßenbahn verpasst und dann 28 Minuten warten muss, der entscheidet sich das nächste Mal wieder fürs Auto.

Stichwort Zukunft: Welche Rolle spielt Elektromobilität?

Bovenschulte: Eine große. Ganz grundsätzlich, aber vor allem in Bremen. Unser Mercedes-Werk ist ja je nach Auftragslage mal das größte, mal das zweitgrößte weltweit. Elektromobilität hat deshalb eine wachsende industriepolitische Bedeutung für unsere Stadt und sichert perspektivisch viele Arbeitsplätze. Auf den Straßen sehe ich – bei weniger als 1500 Fahrzeugen mit E-Plakette in Bremen – natürlich noch großes Entwicklungspotenzial.

Welche Antriebsarten sind besonders vielversprechend?

Burkhardt: Es gibt drei Grundrichtungen: erstens alles, was mit Elektro- und Hybridtechnik
zu tun hat, dann ist Wasserstoff hier im Norden auf Sicht eine gute Möglichkeit, emissionsfrei
zu fahren. Die dritte Möglichkeit sind synthetische Kraftstoffe für all die Fahrzeuge, die wir
schon im Bestand haben.

Wo kann Bremen selbst Anreize schaffen?

Bovenschulte: Wir machen, was wir können, zum Beispiel bei der Ladeinfrastruktur. Kaufzuschüsse können wir uns aber nicht leisten, da sind wir auf den Bund angewiesen. Es ist schon finanziell herausfordernd genug, unsere städtische Fahrzeugflotte auf E-Mobilität umzustellen.

Das komplette Interview gibt es hier zum Nachhören.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?