„So fühlt es sich an, ein Premium-Magazin im Homeoffice zu produzieren“

Martin Kunz ist Chefredakteur der ADAC Motorwelt und erzählt, wie überraschend reibungslos die Entstehung der aktuellen Ausgabe ablief, obwohl alle Beteiligten gerade von zu Hause aus arbeiten.
Vor einem halben Jahr hätten wir es noch für eine Schnapsidee, weil für nicht machbar, gehalten, nun hat die ADAC Redaktion zusammen mit der Agentur Storyboard die aktuelle Ausgabe der ADAC Motorwelt im Homeoffice geplant und produziert.
Die ersten Ideen für das Heft, wie etwa das Titelthema „Fahrrad“ und das Interview mit den „Tatort“-Stars Adele Neuhauser und Helmut Krassnitzer, waren bereits vor dem Lockdown umgesetzt worden. Als eine gewisse Herausforderung stellte es sich heraus, im März zu entscheiden, welche weiteren Themen im Juni, Juli und August 2020 relevant sein könnten. Denn keiner wusste zu diesem Zeitpunkt – und weiß es bis heute nicht –, wie sich die Welt durch Corona bis dahin verändert.
Die Mobilitäts-Kolumne von Meike Winnemuth, ein Bericht über den ADAC Ambulanz-Service in Zeiten von Corona und die Renaissance des Autokinos, das passt auf jeden Fall. Schon bald machten sich die Storyboard-Kollegen an die Realisierung der Texte und Fotoproduktionen, das ADAC Team würde die Beiträge anschließend redaktionell über eine Produktionssoftware bearbeiten.
Redaktionsalltag in Corona-Zeiten
Ab Mitte März war das ADAC Hochhaus im Münchner Westen nur noch sporadisch mit Mitarbeitern besetzt – und alle waren überrascht, dass eine große Organisation auch in Fernsteuerung funktioniert, man Redaktionssitzungen tatsächlich virtuell durchführen kann. Sofern Wlan, Router, Bandbreite und VPN-Verbindung es zulassen, klappen diese Meetings technisch meist ganz gut. Und irgendwann habe ich mich daran gewöhnt, dass Kollegen mitten in einem entscheidenden Satz vom Bildschirm verschwinden oder ich selbst Opfer einer zickigen Datenleitung wurde.
Schön ist es, dass Meetings weniger konfliktbeladen ablaufen als bei physischer Präsenz. Wer will sich schon via Microsoft Teams oder Skype wegen einer fehlenden Bildunterschrift, einer zu lässigen Formulierung oder einer grünstichigen Grafik streiten? Man müsste viele Smileys verschicken, um das wieder gerade zu biegen.
Individuelles Bürodesign: Laptop auf dem Bügelbrett
Interessant sind die Einblicke, die Videokonferenzen ins Privatleben der Kollegen ermöglichen, wenn die Kamera eingeschaltet ist. Blöd allerdings, wenn man vergessen hat, dass die Kamera alles überträgt … Spannend ist, wie jeder sein Homeoffice-Büro gestaltet: Mein Stellvertreter Thomas Paulsen hat seinen Laptop auf einem eigens dafür angeschafften Bügelbrett platziert – „Das Ding ist wenigstens höhenverstellbar, am Wohnzimmertisch bekomme ich Rückenschmerzen,“ lautete seine Erklärung.
Mir wiederum ist es wichtig, während der Arbeit einen schönen Ausblick zu haben. Im ADAC Büro blicke ich auf ein Poster mit einem Kamel, das durch die Sahara stapft, zu Hause habe ich meinen Interims-Büroplatz vor einem Fenster aufgebaut – mit Blick in den Garten und auf mediterrane Pflanzen.
Die aktuelle ADAC Motorwelt nimmt Gestalt an
Zehn oder mehr Stunden am Tag mit angeklemmtem Kopfhörer verbringen zu müssen, ist jetzt der Redaktionsalltag. Doch die in unzähligen Telefonkonferenzen getroffenen Absprachen, welche Story wo, wie, mit welchen Bildern und welchen Grafiken stattfinden soll, haben zu guten Ergebnissen geführt.
Auch die Kollegen aus den ADAC Regionalclubs, die ihre regionalen Magazine in Eigenverantwortung produzierten, stimmten sich auf diesem Weg mit Storyboard ab. Wir vom ADAC Redaktionsteam freuten uns über immer mehr grün markierte, also fertig bearbeitete Seiten in der Übersicht der Produktionssoftware.
Endspurt: Countdown bis zum Druck
In den letzten Wochen vor dem Druck der neuen Motorwelt-Ausgabe gab es nach wochenlanger Daten-hin-und-her-Schubserei eine schöne Abwechslung: Ein Fahrradkurier klingelte an meiner Tür und überbrachte die von Storyboard geschickten Ausdrucke der ersten fertig produzierten Geschichten. Ich stellte wieder einmal fest, was für ein haptisches Vergnügen und kultureller Hochgenuss es ist, statt eines E-Mail-Anhangs einen mit bedrucktem Papier gefüllten Ordner zu öffnen. Ich versank in der Madrid-Reportage von Katharina Lukac, die sich dort in Quarantäne befand. Der ADAC Reifentest, die aktuelle Pannenstatistik, ein Camping-Trend-Report zum Durchblättern – wie schön!
Gerade als ich einen letzten Blick aufs Gewinnspiel warf und dachte, „Eigentlich sind wir jetzt fertig“, kam der Anruf meiner Kollegen Thomas Paulsen und Christof Henn: Wir müssten noch mal ran an die Motorsport-Story, denn bis Ende August, so die gerade bekannt gewordene Verlautbarung aus der Politik, gebe es keine Großveranstaltungen. „Okay, dann stellen wir die Story zurück von Grün auf Rot und bitten den Autor, den Text zu aktualisieren.“ Es war die x-te Korrektur, weil sich die Prognosen für die Motorsport-Saison 2020 ständig änderten. Einen Tag, bevor die finalen Daten in die Druckerei geschickt wurden, meldete Redakteur Oliver Runschke per Skype: „Alles cool, ich schicke euch morgen eine neue Version.“
Inzwischen arbeite ich fast jeden Tag wieder im Büro. Und hoffe, dass wir das September-Heft der Motorwelt wieder unter normaleren Bedingungen produzieren können.