Der umweltfreundliche Diesel-Pkw: Kein Ding der Unmöglichkeit
Autos mit Kraftstoff aus Speisefetten zu betreiben, klingt ziemlich absurd. Doch der Zulieferer Bosch hat es umgesetzt und zeigt, was technisch alles noch möglich ist. Die Messfahrt mit einem zum Öko-Mobil umgebauten Golf
Care-Diesel emittiert deutlich weniger CO₂
90 Prozent Feinstaub-Reduktion durch spezielle Bremsanlage
Minimale Stickoxid-Emissionen dank optimierter Abgasnachbehandlung
Automobiler Alltag: Ein Fahrzeughersteller oder ein Entwicklungsunternehmen erzeugt großes öffentliches Aufsehen mit einem Technik-Prototyp. Aber wenn es dann an die Umsetzung in ein Serienprodukt geht, verschwindet das vielversprechende Projekt wieder in der Schublade. Die Begründung: zu aufwendig, zu teuer oder zu wenig nutzerfreundlich.
Im Falle des Prototyps, den der Automobilzulieferer Bosch aktuell entwickelt hat, wäre eine Umsetzung in Serienautos aber nicht nur wünschenswert, sondern auch ohne großen Kostenaufwand umsetzbar. Das demonstrierten die Entwickler bei Testfahrten in und um Stuttgart herum.
"Öko-Golf" mit Diesel-Verbrennungsmotor
Der Prototyp von Bosch wurde auf Basis eines VW Golf VII entwickelt und ist ein konsequent auf Umweltschutz getrimmtes Automobil. Als „grüner“ Antrieb fungiert aber nicht etwa ein Elektromotor, der von einer Batterie gespeist wird, sondern ein herkömmlicher Dieselmotor, allerdings mit einigem Feinschliff.
Als umweltrelevante Komponente im Gesamtsystem Pkw hat Bosch noch speziell beschichtete Bremsscheiben an den Prototyp verbaut, deren Bremsbeläge extrem wenig Abrieb verursachen.
Damit bietet der Bosch-Prototyp eine ganzheitliche Lösung für drei Problemfaktoren an, die ein gesundes Leben auf der Erde bedrohen: Feinstaubpartikel, CO₂-Emissionen und Stickoxide (NOₓ). Diese Faktoren sind im Wesentlichen der Grund dafür, dass die für die Industrialisierung einst unverzichtbaren Kohlekraftwerke abgeschaltet werden und die Verkehrsmittel in Zukunft keine fossilen Kraftstoffe mehr verbrennen dürfen. Zielpunkt: das Jahr 2050.
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Dr. Uwe Gackstatter, Chef der Antriebsparte von Bosch, erklärt: „Klima- und Umweltschutz braucht jeden Antrieb, auch den Diesel. Bei Bosch haben wir uns das Ziel gesetzt, den Diesel noch sauberer und so effizient wie möglich zu machen. Damit das kostengünstig bleibt, wollten wir dies aber möglichst mit kurzfristig in Serie verfügbaren Technologien realisieren.“
Das Projekt scheint gelungen zu sein. Ergebnis laut Bosch: 90 Prozent weniger durch Bremsenabrieb erzeugter Feinstaub sowie lediglich 46 Gramm CO₂-Ausstoß pro Kilometer sowie weniger als 10 Milligramm Stickoxid-Emission pro Kilometer aus dem Dieselmotor. Mit solchen Werten könnte der Golf tatsächlich so etwas wie ein Öko-Mobil mit Verbrennungsmotor sein.
Alternative Kraftstoffe sind nur bedingt verfügbar
Besonders erstaunlich ist das Projekt deshalb, weil Verbrennungsmotoren und besonders der Dieselantrieb zunehmend für tot erklärt werden. Die Verantwortlichen bei Bosch jedoch sind überzeugt, das Dieselaggregat am Leben erhalten zu können. Die Zuversicht gründet sich zum einen auf den großen Erfahrungsschatz mit der Dieseltechnologie, den Bosch zweifellos hat. Zum anderen darauf, dass es schon heute klimaschonende Kraftstoffe gibt. Perspektivisch vertraut man auf die Potenziale der zukünftigen synthetischen Kraftstoffe, den sogenannten e-fuels.
Da es derzeit noch keine e-fuels zu kaufen gibt, bediente sich Bosch des am Markt erhältlichen Care-Diesels. Care ist ein Produkt mit geschütztem Markennamen, wird von einem finnischen Mineralölunternehmen hergestellt und in Deutschland in kleinen Mengen vertrieben.
Dabei handelt es sich um einen paraffinischen Kraftstoff, der aus Fetten und Schlachtabfällen oder aus anderen Bereichen der Nahrungsmittelproduktion, wo Abfallstoffe übrig bleiben, hergestellt wird. Und eben nicht aus Palmöl, wie Bosch ausdrücklich betont. Denn der intensive Anbau von Palmöl führt bekanntermaßen zu einer Flächenkonkurrenz beim Anbau von Nahrungsmitteln – und leider oft auch zu Brandrodungen in tropischen Urwäldern.
Lösungen für drei Probleme: Feinstaub, CO₂, NOₓ
Der Prototyp verursacht mit Care-Diesel laut Bosch 65 Prozent weniger CO₂ als ein herkömmlicher Diesel – und zwar in der Gesamtbilanz von der Quelle bis zum Rad. Dieser Wert sei durch ein unabhängiges Institut zertifiziert worden. Zum Vergleich: Ein vom ADAC getesteter VW Golf 2.0 TDI verursacht mit herkömmlichem Diesel in der Well-to-wheel-Betrachtung 139 Gramm CO₂ pro Kilometer. Der bilanzielle Wert des Prototyps wird dagegen mit nur 46 Gramm berechnet. Und das wäre ein beträchtlicher Fortschritt.
Auch die im Labor ermittelte Feinstaubreduktion von 90 Prozent an den Bremsen ist mehr als beachtlich. Sie kommt laut Bosch durch einen extrem verminderten Abrieb zustande. Möglich macht das eine mit Hartmetall (Carbid) beschichtete Bremsscheibe in Kombination mit speziellen Bremsbelägen. Ein Unterschied in der Bremsleistung oder bei der Dosierbarkeit der Bremse war auf der Demonstrationsfahrt nicht zu spüren. Die Bremsen werden bei Porsche z.B. für den Cayenne als Extra-Ausstattung unter dem Namen Porsche Surface Coated Brake (PSCB) angeboten.
Feinstaub zu 90 Prozent weg, CO₂ um 65 Prozent reduziert. Bleibt noch der Stickoxid-Ausstoß des Dieselmotors. Um zu demonstrieren, dass auch dieses Problem lösbar ist, durfte der ADAC mit dem Prototyp von Bosch eine WLTP-Verbrauchs- und Emissionsmessfahrt auf der Straße mit einem PEMS-Gerät unternehmen.
Statt der nach Euro-6d-Norm erlaubten 120 Milligramm NOₓ pro Kilometer verzeichneten die Messgeräte weniger als 5 Milligramm NOₓ pro Kilometer. Im Vergleich zum aktuellen VW Golf VIII 2.0 TDI, der schon die neue Abgasreinigung mit zwei SCR-Kats verbaut hat, ist der Stickoxidausstoß noch einmal um rund die Hälfte reduziert worden.
Während der Testfahrt war auf einem Display gut abzulesen, wie viel – je nach aktuell abgeforderter Motorleistung – NOₓ im Motor entsteht und wie wenig NOₓ durch die aufwendige AdBlue-Abgasreinigung emittiert wird. Insgesamt konnten die 158 mg/km NOx in den Rohemissionen auf 2 mg/km am Auspuff reduziert werden – beides Topwerte, die das Potenzial des Antriebs zeigen.
Messwert: Weniger als 5 Milligramm Stickoxid
Dirk Naber, bei Bosch für Dieselmotoren und Abgasnachbehandlung zuständig, hat mit seinen Leuten bei der Stickoxid-Reduktion offenbar alle Register gezogen. Sein Zielpunkt als Durchschnittswert waren 10 Milligramm pro Kilometer. Die vom ADAC gefahrene Runde wurde mit weniger als 5 Milligramm gemessen – das System funktioniert scheinbar sehr gut.
Das Geheimnis des Erfolgs, verrät Naber, bestehe in der Optimierung von drei technischen Parametern: Der verfeinerten Sensorik und Regelung der Abgasrückführung, leichten Veränderungen der Katalysatorbeschichtung sowie der motornahen Einbaulage des ersten Kats. „Extrem wichtig ist, dass wir den gesamten Abgasstrang immer in seinem optimalen Temperaturbereich halten.“ Während die Dinge in der Serienproduktion nur wenig Geld kosten würden, sei dafür nur einmal "ordentlich Gehirnschmalz in der Entwicklungsphase" erforderlich.
ADAC Standpunkt: Potenziale alternativer Kraftstoffe nutzen!
Der ADAC setzt sich für den zunehmenden Einsatz alternativer Kraftstoffe im Verkehr ein. ADAC Technikpräsident Karsten Schulze: „Die Herausforderungen für den Verkehrssektor im Bereich des Klimaschutzes sind hoch. CO₂-Einsparungen zu realisieren, ist die dringlichste Aufgabe aller Player des Verkehrsbereichs.“ Die Entweder-Oder-Sicht zwischen der Elektromobilität einerseits und einer klimaschonenden Weiterentwicklung von Kraftstoffen sowie des Verbrennungsmotors andererseits führt hier nicht weiter. Technologieoffenheit bleibt das Gebot der Stunde. Insbesondere für Bestandsfahrzeuge sind dabei Fortschritte bei Kraftstoffen wichtig. Allein über Neufahrzeuge, also den Austausch der Fahrzeugflotte, werden sich die Klimaschutzziele nicht zeitgerecht erreichen lassen.
Care-Diesel: Ungewisse Zukunft
Selbstverständlich hofft Bosch nun, das gewonnene Know-how an die Automobilhersteller verkaufen zu können. Wobei Dr. Gackstatter einräumt, dass dieser Care-Reststoff-Diesel mengenmäßig niemals reicht, um ihn flächendeckend im Verkehr einzusetzen. Wenn man ihn aber beimischen würde, könnte man damit einen sichtbaren CO₂-Effekt in der Flotte erzielen. „Wir haben 1,3 Milliarden Pkw im Bestand weltweit. Damit auch diese Fahrzeuge einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können, brauchen wir auf jeden Fall CO₂-neutrale synthetische Kraftstoffe.“ Das würde wiederum bedeuten: in gigantischen Mengen.
Das Umweltbundesamt (UBA) beurteilt den Reststoff-Diesel auch unabhängig von der Mengenverfügbarkeit kritisch: „Bei paraffinischen Dieselkraftstoffen kann aufgrund der Vielfältigkeit der Ausgangsstoffe sowie der Herstellungspfade nicht sichergestellt werden, dass gegenüber fossilem Diesel eine Verbesserung in Bezug auf Nachhaltigkeit bzw. Klima- und Umweltwirkung gegeben ist.“
Bosch-Manager Dr. Gackstatter sieht die Problemlage mit anderen Augen und verweist auf ein Beispiel in Skandinavien. In Schweden mische man dem Diesel heute 25 Prozent regenerative Anteile bei. CO₂-reduzierter paraffinischer Diesel in Reinform sei ebenfalls schon an 300 Tankstellen in Schweden erhältlich.
Neben einer Reihe von Modellen französischer Hersteller ist dieser Reinkraftstoff laut Bosch-Recherchen für sechs Volvo-Modelle und inzwischen auch für den neuen 3er-BMW freigegeben worden. Gackstatter: „Das Beispiel Schwedens zeigt, dass eine breite Anwendung von alternativen Kraftstoffen möglich ist.“
1000 Autos mit R33 Blue Diesel unterwegs
Um die Motorenverträglichkeit alternativer Kraftstoffe im Langzeitbetrieb zu beweisen, fahren Mitglieder der Bosch-Geschäftsführung seit November 2018 mit Care-Diesel. Aber es gibt darüber hinaus auch etwa 1000 Fahrzeuge bei Bosch – Entwicklungsfahrzeuge wie Firmenautos für Dienstreisen –, die mit dem in Deutschland zugelassenen R33 Blue Diesel betrieben werden.
R33 besteht zu 33 Prozent aus regenerativem Kraftstoff. Die Autos tanken regelmäßig an werkseigenen Tankstellen in Feuerbach, Schwieberdingen und Hildesheim auf. R33 Diesel bringt laut Bosch eine CO₂-Reduktion von 20 Prozent.
Jetzt wartet Bosch auf die Weiterentwicklung des synthetischen Kraftstoffs. Bei dessen stofflicher Grundlage – Wasserstoff und CO₂ – gibt es es quasi keine Mengenbeschränkung. Sollte es gelingen, synthetische Kraftstoffe zu einem bezahlbaren Preis zu produzieren, hätte der Verbrennungsmotor eine neue Zukunft gewonnen. Ab wann und von welchen Unternehmen die Produktion in Angriff genommen werden könnte, zeichnet sich aber noch nicht so recht ab. Die Herstellung ist aufwendig und wenig energieeffizient. Bosch selbst will dieses Geschäft nicht übernehmen.
FAQ: Alternative Kraftstoffe Care und R33
Care-Diesel ist ein aus Rest- und Abfallstoffen – vornehmlich Altspeiseölen und Fettresten – hergestellter Kraftstoff. Care-Diesel gilt daher als Biokraftstoff und ist von den
sogenannten e-Fuels zu unterscheiden, die keine bioorganischen Stoffe
zur Grundlage haben.
Nein. Care-Diesel erfüllt nicht die Anforderungen der Kraftstoffnorm EN 590, sondern die Norm für Paraffinische Kraftstoffe EN 15940. Da solche paraffinischen Kraftstoffe in der zehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Fassung vom 13.12.2019) jedoch nicht enthalten sind, dürfen sie in Deutschland nicht an öffentlichen Tankstellen vertrieben werden.
Die Abkürzung Care steht für CO₂-Reduction (CO₂-Reduzierung), Arctic Grade (Kältebeständigkeit), Renewable (Erneuerbarkeit), Emission Reduction (Emissionsreduzierung).
Bosch erklärt, dass Care-Diesel im Vergleich zu herkömmlichem Dieselkraftstoff eine etwas niedrigere Dichte und höhere Zündwilligkeit aufweise. Daher müssen Autohersteller ihre Fahrzeuge für diesen Kraftstoff gesondert freigeben. Dies sei wichtig, da neben der Komponentenverträglichkeit zum Beispiel auch eine möglicherweise bei der Verbrennung auftretende Erhöhung des Spitzendrucks überprüft werden müsse.
Bosch beziffert den Preis für 100-prozentigen Care-Diesel mit 2 bis 2,20 Euro pro Liter.
Der Kraftstoff Diesel R33 besteht zu sieben Prozent aus Altspeiseölmethylester, zu 26 Prozent aus hydrierten Pflanzenölen (Abk. HVO = Hydrotreated Vegetable Oils) sowie aus einem qualitativ hochwertig additivierten Dieselkraftstoff. R33 erfüllt die DIN EN 590 und kann somit von allen Diesel-Pkw getankt werden.