Flächenkonkurrenz im Verkehr: Reicht der Platz für alle?

Belebte Kreuzung in Berlin mit Fussgängern, Radfahrern, Autos, Bus und Tram
In den Städten wächst die Konkurrenz um die verfügbaren Verkehrsflächen© ADAC/Christoph Michaelis

Immer mehr Verkehrsteilnehmer konkurrieren um den knappen Straßenraum. Der ADAC hat rund 2000 Menschen in Großstädten dazu befragt. Viele sind bereit, etwas zu ändern.

  • Das Auto ist in Großstädten das am meisten genutzte Verkehrsmittel

  • Radfahrer fühlen sich am wenigsten sicher im Verkehr

  • Der ADAC beteiligt sich an der Kampagne #mehrAchtung

Flächenkonkurrenz in der Stadt

Autos, Fahrräder, Busse, Scooter und Fußgänger: In den meisten deutschen Städten wachsen Bevölkerung und Verkehrsaufkommen, ohne dass Verkehrsflächen dazukommen. Wenn quasi über Nacht Hunderte von Leihfahrrädern auftauchen, neue Firmen mit E-Scootern auf den Markt drängen und Car-Sharing-Dienste weitere Fahrzeuge in Umlauf bringen, sind Konflikte unausweichlich.

Um Lösungen zu erarbeiten, müssen zunächst Fakten ermittelt werden. Daher haben die ADAC Verkehrsexperten eine Umfrage zur Flächenkonkurrenz in Großstädten durchführen lassen.

Welche Verkehrsmittel werden am häufigsten genutzt?

Der Pkw stellt sich als das meistgenutzte Verkehrsmittel heraus: Fast drei Viertel der Befragten sind damit an zehn oder mehr Tagen pro Jahr innerhalb ihrer Stadt unterwegs, knapp die Hälfte sogar an mindestens 100 Tagen.

Es folgen die öffentlichen Nahverkehrsmittel – also S-, U- und Straßenbahnen sowie Busse – und dann das Rad. An letzter Stelle stehen die E-Scooter, die nur jeder Zwanzigste an mindestens zehn Tagen jährlich nutzt.

Wo wird der öffentliche Verkehr am meisten genutzt?

In Millionenstädten ist der ÖPNV das meistgenutzte Verkehrsmittel. Mit ihm sind dort drei Viertel der Einwohner an zehn oder mehr Tagen jährlich unterwegs. In Städten zwischen 200.000 und einer Million Einwohner sind es 20 Prozentpunkte weniger. 16- bis 29-Jährige nutzen den ÖPNV deutlich häufiger als Ältere und auch häufiger als den Pkw.

Welche Verkehrsteilnehmer fühlen sich am sichersten?

Von den Befragten, die in ihrer Stadt an zehn oder mehr Tagen jährlich als Autofahrer unterwegs sind, geben 55 Prozent an, sich im Straßenverkehr sicher zu fühlen. Von den Fußgängern bestätigt das noch jeder zweite. Unter den Radfahrern aber ist es nicht einmal jeder fünfte. Fast ein Drittel der Radler dagegen empfindet Unsicherheit, wobei dieses Gefühl in den letzten Jahren auch noch gewachsen ist.

In welchen Bereichen sollte mehr investiert werden?

In der Verkehrsplanung der eigenen Stadt sollte am meisten für den öffentlichen Nahverkehr getan werden, das findet mehr als jeder Dritte. Jeder Vierte nennt Maßnahmen für das Auto, und zwar mehr Parkmöglichkeiten und einen besser fließenden Verkehr, als seine Priorität. Jeder Fünfte sagt, der Radverkehr solle am stärksten profitieren. Betrachtet man Auto- und Radfahrer, Fußgänger und ÖPNV-Benutzer jeweils als einzelne Gruppe, so hat jede das Gefühl, dass für ihre Verkehrsart mehr getan werden sollte.

Sollen Fußgänger und Radfahrer mehr Platz bekommen?

Dass Fußgänger und Radfahrer zu Lasten des Autoverkehrs mehr Raum bekommen sollten, bejahen 42 Prozent der Interviewten. Von denen, die überwiegend Rad fahren, waren es sogar 69 Prozent. Jeder Fünfte lehnt es ab, von den überwiegend Autofahrenden sogar jeder dritte. Und jeder zwanzigste Befragungsteilnehmer ist zu dieser Frage unentschieden.

Sind die Verkehrsteilnehmer zu Veränderungen bereit?

Auch wenn Autofahrer durch den Ausbau von Radwegen oder Fahrradstraßen gut an ihren Arbeitsplatz kämen, würden trotzdem 28 Prozent von ihnen nicht von vier auf zwei Räder umsteigen. Bei guten Wetterbedingungen wären aber 38 Prozent dazu bereit. Differenziert nach der Fahrtdauer würden bei Wegen bis zu 20 Minuten 33 Prozent der Autofahrer aufs Rad wechseln.

So hat der ADAC geforscht

Im Auftrag des ADAC hat im September 2019 die infas quo GmbH eine Online-Umfrage zum Thema "Flächenkonkurrenzen" durchgeführt. 2017 Personen ab 16 Jahren gaben Auskunft zu ihrem Verkehrsverhalten und ihren Einstellungen. Sie leben in 40 deutschen Städten ab 200.000 Einwohnern. Pendler aus anderen Gemeinden in diese Städte wurden nicht berücksichtigt.

Lesen Sie hier die vollständigen Ergebnisse:

Flächenkonkurrenzen im Verkehr, Zielkonflikte aus Sicht der Verkehrsteilnehmer (ADAC Umfrage)
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Die Empfehlungen des ADAC

Die Städte stehen vor der Herausforderung, die vom Straßenverkehr mitverursachten Probleme wie Staus, Flächenknappheit, Luftverschmutzung und Treibhausgasausstoß zu entschärfen. Dabei dürfen aber die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und der Wirtschaft nicht eingeschränkt werden.

  • Bei der Neugestaltung der Straßenräume muss sichergestellt werden, dass die Mobilität erhalten bleibt und keine neuen Gefahren im Verkehr entstehen.

  • Für urbane Mobilität sind zukunftsweisende Gesamtkonzepte gefragt, die eine höhere Aufenthaltsqualität zum Ziel haben. Der Mobilitätswandel erfordert die Änderung des Mobilitätsverhaltens und die Umverteilung des öffentlichen Straßenraums. Weil dies zu Verteilungskämpfen und schlechter Stimmung der Verkehrsteilnehmer führen kann, besteht Klärungsbedarf.

  • Ein Gegeneinander führt nicht weiter – erforderlich sind bedarfsgerechte, also örtlich erarbeitete und angepasste Lösungen, damit die Stärken der jeweiligen Verkehrsmittel optimal zum Tragen kommen.

  • Die Flächenumverteilung allein zugunsten des Radverkehrs ist auf Hauptverkehrsstraßen oft nicht machbar, weil diese eine zentrale Funktion für die Leistungsfähigkeit einschließlich des ÖPNV und des Wirtschaftsverkehrs haben.

Porträt von Gerhard Hillebrand

Der Verkehr in den Städten nimmt immer mehr zu. Besonders deutlich wird das am wachsenden Radverkehr und an der chronischen Überlastung des ÖPNV. Die Städte müssen es schaffen, dass der knappe Straßenraum besser genutzt und sicherer gestaltet wird. Die Bereitschaft für Änderungen – auch zu Lasten des Autos – ist durchaus vorhanden, aber noch fehlen häufig neue Optionen für den parkenden und fließenden Verkehr. Autos Raum wegzunehmen und anderen Verkehrsteilnehmern zuzuteilen oder Parkraum stark zu verteuern – das löst keine Konflikte! Was wir brauchen sind zukunftsweisende Konzepte, die für eine sichere Mobilität stehen und die auf mehr Miteinander der Verkehrsteilnehmer setzen statt auf Gegeneinander.

ADAC Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand©ADAC/Peter Neusser

Rücksichtnahme im Verkehr

Mehr Mobilität bedeutet mehr Verkehr. Gerade im Hinblick auf die sich zuspitzende Flächenkonkurrenz nehmen die Konflikte im Straßenverkehr zu. Mehr Rücksicht ist daher geboten. Dazu wurden 2023 in der Mehrthemenumfrage des ADAC 1010 Mitglieder ab 18 Jahren unter anderem gefragt, ob das Verkehrsgeschehen in ihrer Umgebung durch gegenseitige Rücksichtnahme geprägt sei. Dies wird sehr ambivalent bewertet: 25 Prozent nahmen Rücksichtnahme wahr, 22 Prozent nicht.

Zwischen Männern und Frauen zeigen sich in der Beurteilung der Rücksichtnahme keine signifikanten Unterschiede. Diese gab es auch unterschieden nach der Hauptfortbewegungsart nicht. Doch tendenziell vergaben Radfahrer und Fußgänger häufiger die schlechteste Bewertung.

Nach Ansicht der ADAC Mitglieder wird im Verkehr am meisten Rücksicht auf Kinder genommen. Radfahrer dagegen werden als weniger rücksichtsvoll empfunden, sowohl untereinander als auch von Fußgängern und am wenigsten von Autofahrern.

Kampagne #mehrAchtung

ADAC Straßenwachtfahrer und Dreieck der Mehr Achtung Kampagne
Ein Plakat der Kampagne #mehrAchtung© ADAC/Martin Hangen [M]

Der ADAC ist Partner der Kampagne #mehrAchtung, die ein besseres Miteinander auf Deutschlands Straßen erreichen möchte. Diese Verkehrssicherheits-Initiative des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr und des Deutschen Verkehrssicherheitsrates setzt auch auf Plakate. Sie fordern zum Beispiel dazu auf, am Steuer nicht das Smartphone zu benutzen, Rücksicht auf die Nutzer anderer Verkehrsmittel zu nehmen und beim Abbiegen das Blinken nicht zu vergessen.

Kernbotschaft ist, dass sich Achtsamkeit lohnt und selbstverstärkend wirken kann: Je achtsamer, desto entspannter ist man unterwegs – und umgekehrt.

Im Rahmen der Kampagne empfiehlt ADAC Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino allen, die sich über das Verhalten anderer im Straßenverkehr aufregen, gelassen zu reagieren:

Portrait von Ulrich Chiellino auf Grau

Wir sollten über mehr Achtung im Straßenverkehr nachdenken. Sorgloses Verhalten betrifft nicht nur mich, sondern immer auch die anderen. Mehr Rücksicht bedeutet mehr Sicherheit für alle. Und Emotionen gehören dazu. Niemand ist perfekt. Aber auch hier gilt: Mehr Achtung ist der Schlüssel zur Konfliktvermeidung. Einfach ausprobieren.

ADAC Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino©ADAC/Beate Blank