Engerer ÖPNV-Takt, kürzere Fahrzeit: Wie öffentliche Verkehrsmittel attraktiver werden
Außerhalb der Ballungsräume sind die Menschen oft auf ein Auto angewiesen, um mobil zu bleiben. Wie der öffentliche Verkehr zukunftsfähig gestaltet werden sollte, wurde Anfang 2020 im Auftrag des ADAC untersucht.
Studie schlägt einen stündlichen Mindesttakt zwischen 6 und 22 Uhr vor
ÖVPN soll dadurch auf dem Land zu einer echten Pkw-Alternative werden
ADAC empfiehlt Politik, mehr Geld für öffentlichen Verkehr bereitzustellen
ÖPNV in Brandenburg und Niedersachsen
Stellvertretend wurde die Situation in Brandenburg und Niedersachsen untersucht. Wie groß dort der Verbesserungsbedarf beim öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auf dem Land ist, zeigt zum Beispiel die Verbindungsqualität. Sie wird an der Fahrzeit öffentlicher Verkehrsmittel gegenüber der im Pkw gemessen. Dass in Brandenburg 78,5 Prozent der Gemeinden (ohne zentrale Orte) bzw. 88,1 Prozent der Einwohner eine gute Verbindungsqualität haben, ist zunächst ein erfreuliches Ergebnis.
Es relativiert sich allerdings stark, weil es in diesem Bundesland eine extrem hohe Zahl von Oberzentren gibt, die teilweise nicht alle zentralörtlichen Funktionen wie etwa das schulische Angebot erfüllen. Die aktuellen Standards für ihre Erreichbarkeit sind zu hoch angesetzt – und somit (zu) leicht zu erfüllen.
Lässt man die Verbindungen nach Berlin, Hamburg und Bremen, die nicht in den untersuchten Bundesländern liegen, außen vor, ergibt sich ein realistischeres Bild. Dann dauert aus einem Drittel der Gemeinden in Niedersachsen und Brandenburg die Fahrt ins nächste Oberzentrum mindestens eineinhalb Stunden.
Ein weiteres Ergebnis ist, dass in Brandenburg 14 Prozent der Gemeinden täglich nur eine bis vier ÖPNV-Verbindungen zum nächsten Mittel- oder Oberzentrum haben. In den Ferienzeiten steigt der Anteil von Gemeinden mit schlechter Anbindung: Dann sind es sogar 19 Prozent der Kommunen bzw. acht Prozent der Bevölkerung. Ähnlich unzureichend ist das Angebot in Niedersachsen.
Nötige Standards für Busse und Bahnen
Im Anschluss an die Ist-Analyse in den Bundesländern Niedersachsen und Brandenburg bestimmten die Studienautoren drei wesentliche Mobilitätsstandards für einen zukunftsfähigen ÖPNV:
Erschließungspflicht: Alle Gemeinden mit 500 und mehr Einwohnern sollten ein Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln haben. Das kann auch flexible Bedienformen wie Rufbusse und die Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel einschließen.
Erreichbarkeitsqualität: Die Reisezeit mit den Öffentlichen aus Gemeinden mit mehr als 500 Einwohnern ins nächste Zentrum soll nicht mehr als das 1,3-Fache einer Autofahrt betragen. Die Verbindungsqualität ist gut, wenn an jedem Tag von 6 bis 22 Uhr mindestens ein 60-Minuten-Takt ins nächste Zentrum besteht – mit höchstens einem Umstieg und zusätzlichen Nachtfahrten am Wochenende. Die Erreichbarkeit der Haltestellen ist akzeptabel, wenn mindestens 80 Prozent der Einwohner einen Stopp in höchstens 300 Meter Entfernung haben.
Mobilitätsgarantie: Beim Einsatz alternativer Formen ist deren funktionelle Austauschbarkeit nachzuweisen, etwa durch Fahrzeitvergleiche. Private Anbieter müssen sich zu einer Mobilitätsgarantie verpflichten.
Studie zur Mobilität abseits von Ballungsräumen
Im Auftrag des ADAC hat die IGES Institut GmbH das Angebot öffentlicher Verkehrsmittel abseits der Ballungsräume in Deutschland analysiert. Als Beispiele dienten die Bundesländer Brandenburg und Niedersachsen. Die Forscher betrachteten dabei zentrale Mobilitätsarten wie das Pendeln zwischen den suburbanen Gebieten und Städten, die Verbindungen zwischen kleineren und mittleren Städten sowie die Mobilität in ländlich geprägten Räumen.
Hier finden Sie die vollständige Studie:
Das empfiehlt der ADAC
Gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land bedeuten unter anderem, dass auch Menschen ohne Auto die Zentren besser erreichen, Dienstleistungen nutzen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Daher sollten Bund, Länder und Gemeinden den Anteil des öffentlichen Verkehrs am Gesamtverkehr erhöhen.
Das Mobilitätsangebot soll deutlich über das Mindestangebot für den Schülerverkehr hinausgehen.
Einzubeziehen sind bedarfsorientierte Verkehre wie Rufbusse und Anruf-Sammeltaxis.
Die Aufwertung des öffentlichen Verkehrs soll umweltschonend und idealerweise klimaneutral erfolgen.
Die Gutachter schlagen vor
Zwischen 6 und 22 Uhr ist ein Einstundentakt erforderlich, Fahrtzeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln sollen maximal 30 Prozent länger dauern als mit dem Auto, das Haltestellen-Netz muss verdichtet werden.
30 Prozent mehr Investitionen in den öffentlichen Verkehr würden das Angebot verdoppeln.
„Wenn für mehr Menschen außerhalb von Ballungsräumen öffentliche Verkehrsangebote attraktiver werden, steigt die Lebensqualität auf dem Land, und es profitiert auch der Klimaschutz. Ein Umstieg von Auto-Pendlern wäre zudem ein Beitrag zur Lösung der Verkehrsprobleme in Großstädten. Darum ist es wichtig, nicht nur Stadt oder Land zu betrachten, sondern beide Räume zu berücksichtigen und gut miteinander zu verbinden.“
Stefan Gerwens, Leiter des Ressorts Verkehr im ADAC e.V.
Das ausführliche Statement und die Empfehlungen des ADAC für öffentliche Mobilität außerhalb von Ballungsräumen finden Sie in unserem Expertendialog:
Lesen Sie hier, mit welchen innovativen Ansätzen die Mobilität auf dem Land erhöht werden kann.