Test: Sind Radwege breit genug?
Der Verkehr auf Radwegen nimmt zu. Der ADAC hat im Frühjahr 2020 in zehn deutschen Landeshauptstädten untersucht, ob die Wege die empfohlenen Breiten haben.
Im ADAC Test lag Kiel an der Spitze, Mainz und Hannover waren Schlusslichter
Jeder dritte überprüfte Radweg war zu schmal
Häufige Mängel: Wucherndes Grün und schlecht platzierte Schilder auf den Radwegen
Der Radverkehr in Deutschland hat von 2002 bis 2017 stark zugenommen. Das gilt nicht nur für die absolute Zahl der Fahrten, die von 25 auf 28 Millionen täglich wuchs. Größer geworden ist auch die Bedeutung des Rades im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln und zum Fußgängerverkehr – in den Metropolen stieg der Anteil von 9 auf 15 Prozent.
Gleichzeitig drängen neue Zweirad-Varianten wie Lastenräder, Fahrräder mit Anhängern, Pedelecs und E-Scooter auf die Radverkehrsanlagen. Und alle sind mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs: Bei Radfahrern liegt der Durchschnitt bei 18,2 km/h, bei Pedelec-Fahrern etwas höher. Es wird daher mehr überholt.
Der ADAC wollte wissen, ob die Radwege breit genug sind und die Maße aus den „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA) der Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV) erfüllen.
Fast ein Viertel der Routen fällt durch
In den zehn Landeshauptstädten Bremen, Dresden, Erfurt, Hannover, Kiel, Mainz, München, Saarbrücken, Stuttgart und Wiesbaden befuhren die ADAC Tester zusammengenommen 120 Strecken – Details zur Methodik finden Sie unter „So haben wir getestet“ weiter unten. Betrachtet wurden Radwege, Radfahrstreifen, Schutzstreifen und so genannte Gemischte Führungen, also Geh- und Radwege, sowie Gehwege mit dem Schild „Radfahrer frei“.
Das Ergebnis: 59 der 120 Teststrecken, also knapp die Hälfte, schnitten mit Ausreichend ab. 21 Routen, das sind gut ein Sechstel, erreichten ein Gut oder Sehr gut. Doch 28 Routen, fast ein Viertel, fielen mit Mangelhaft oder Sehr mangelhaft im Test durch. Bei jeder zehnten Strecke gab es wegen des geringen Anteils an Radverkehrsanlagen kein Testergebnis, diese wurden aber in der Gesamtbewertung berücksichtigt.
Nur Kiel erreichte das Gesamturteil "Gut"
Unter den zehn Städten zeigten sich bei den Radwegbreiten deutliche Unterschiede. Am besten war die Situation in Kiel. Von den elf hier getesteten Strecken schnitten eine mit Sehr gut und vier mit Gut ab. Da außerdem keine „durchfiel“, erreichte die Stadt das ADAC Gesamturteil Gut. Auf der anderen Seite gab es zwei Schlusslichter mit dem Urteil Mangelhaft: In Hannover erhielten vier von zwölf Testrouten ein Mangelhaft und drei ein Sehr mangelhaft, und keine Route war hier besser als Ausreichend. In Mainz gab es zwar unter den zehn getesteten Strecken zwei gute, aber fünf fielen mit Mangelhaft und zwei weitere mit Sehr mangelhaft durch.
Summa summarum lässt sich die Lage mit „Viel Mittelmaß und wenig Highlights“ zusammenfassen. Das gilt besonders auch für München, im Test die größte Stadt (knapp 1,5 Millionen Einwohner) mit den meisten getesteten Routen: 14 von 18 erhielten ein Ausreichend. So lautete dann auch das ADAC Gesamturteil zu den Radwegbreiten in München sowie sechs weiteren Städten aus dem Test.
Die auffälligsten Mängel im Test
Die Testfahrten zeigten, dass 36 Prozent der Radwege schmaler als die jeweiligen Mindestbreiten aus den ERA-Empfehlungen waren und weitere 43 Prozent die empfohlenen (größeren) Regelbreiten nicht erreichten. Von den kombinierten Geh- und Radwegen lagen "nur" 19 Prozent unter den empfohlenen Mindestbreiten.
Von nicht ausreichenden Breiten abgesehen gab es eine Reihe weiterer Mängel:
Engstellen und Hindernisse etwa durch Bäume, Bewuchs, Masten oder Schilder – sehr viele in Mainz, Wiesbaden und Stuttgart, viele in Dresden und Erfurt
Außerhalb der Wertung, da sehr temporär: Vereinzelt waren Radwege wegen fehlender Sicherheitsräume zu den angrenzenden Parkstreifen durch Autos verengt oder wegen fehlender Parkmöglichkeiten blockiert
Teilweise dienten Radwege vorübergehend als Abstellplätze für Mülltonnen, Fahrräder, E-Scooter etc.
ADAC Empfehlungen an die Kommunen
Für die optimale, sichere Ausgestaltung von Radwegen gibt es keine Patentlösung, vielmehr sind individuelle, maßgeschneiderte Maßnahmen gefragt. Generell aber gilt:
Vor der Planung von Baumaßnahmen den Bedarf und die Verlagerungschancen analysieren und ganzheitliche Mobilitätskonzepte erarbeiten
Lücken und Kapazitätsengpässe im Radverkehrsnetz zeitnah beseitigen
Auf kombinierte Geh- und Radweg möglichst verzichten
Bei neuen Radwegen die Empfehlungen der ERA einhalten, und dabei mit den Regelbreiten planen, Mindestbreiten nur im Ausnahmefall anwenden
Bei der Einrichtung von Radwegen mit hohem Nutzungspotential die Breite großzügiger vorsehen, damit sie die steigende Verkehrsdichte, den erhöhten Überholbedarf und den größeren Platzbedarf breiter Fahrräder bewältigen können
Verkehrszeichen und -einrichtungen nicht auf dem Radweg, sondern mittig im Sicherheitsraum aufstellen
Grün in der Stadt darf die Radwegbreite und -nutzung nicht beeinträchtigen und muss regelmäßig zurückgeschnitten werden
Abschnitte, an denen Falschparker den Radweg häufig blockieren, regelmäßig kontrollieren, Parkverstöße ahnden und die Situation durch geeignete Maßnahmen entschärfen
Auch Parkstreifen ausreichend breit und mit genügend Sicherheitsabstand zu angrenzenden Radwegen anlegen
Tipps für Verkehrsteilnehmer
Generell gilt, im Verkehrsgeschehen gelassen zu bleiben und sich in die Situation der anderen zu versetzen: Das nächste Mal könnte man selbst in der Rolle des Fußgängers, Radfahrers oder Autofahrers sein.
Für Radfahrer
Beim Überholen auf ausreichend Abstand zum anderen Radfahrer achten und im Zweifel einen breiteren Abschnitt abwarten
Um den Vorausfahrenden nicht zu erschrecken durch rechtzeitiges Klingeln anzeigen, dass man überholen will
Vor roten Ampeln und Kreuzungen so aufstellen, dass man den querenden Radverkehr nicht behindert
Vor roten Ampeln an wartenden Autofahrern rechts nur bei ausreichendem Abstand bis zur Haltelinie vorbeifahren
An Haltestellen auf ein- und aussteigende Fahrgäste Rücksicht nehmen
Auf gemeinsamen Geh- und Radwegen und Gehwegen mit „Radfahrer frei“ langsam fahren und Rücksicht auf Fußgänger nehmen
Für Fußgänger
Nicht auf Radwegen spazieren gehen oder sie unachtsam betreten
Beim Warten an roten Ampeln nicht den Radweg blockieren
Auf gemeinsamen Geh- und Radwegen plötzliche Richtungswechsel vermeiden, um sich selbst und vorbei fahrende Radler nicht zu gefährden
Für Autofahrer
Achten Sie auf Radfahrer auf der Straße – sie dürfen dort unterwegs sein, wenn der benutzungspflichtige Radweg zugeparkt oder vereist ist
Nie auf Radwegen parken
Beim Abbiegen nach rechts blicken, Fußgängern und Radfahrern den Vorrang gewähren und nicht den Radweg blockieren
Beim Parken neben Radwegen vor dem Öffnen der Autotür umschauen und auf Radfahrer achten – das gilt auch für Beifahrer
Radfahrer mit ausreichendem Sicherheitsabstand von mindestens 1,5 Metern innerorts und mindestens 2 Metern außerorts überholen
Hier finden Sie weitere Tipps für ein besseres Miteinander von Auto- und Radfahrern
Radwegbreiten: So haben wir getestet
Für die Untersuchung waren die Tester des ADAC zwischen März und Mai 2020 mit dem Rad in zehn deutschen Landeshauptstädten unterwegs. Dort befuhren sie insgesamt 120 Strecken, pro Stadt wurden – abhängig von ihrer Einwohnerzahl – zwischen zehn und 18 Testrouten ausgewählt.
Diese repräsentieren typische Alltagswege zur Schule, Uni, Arbeit, Einkauf, Besuchen oder Freizeit. Um ein realitätsnahes Ergebnis zu erhalten, wurde jeweils die kürzeste Strecke zwischen Start und Zielausgewählt, auf Grundlage der örtlichen Radverkehrsnetzpläne oder – sofern vorhanden – Radroutenplaner. Die Weglänge betrug durchschnittlich 3,5 bis 4,5 Kilometer, insgesamt legten die Tester rund 500 Kilometer zurück.
Aus den gesammelten Daten ergab sich ein Testurteil für jede Einzelstrecke und ein ADAC Gesamturteil pro Stadt. Bei der zentimetergenauen Bewertung der Breiten orientierte sich der ADAC an den „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA 2010) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV). Diese setzen beispielsweise für einen Einrichtungsradweg die Regelbreite mit 2 Metern und die Mindestbreite mit 1,60 Metern an.
Die ADAC Noten lauten wie folgt:
sehr gut: Regelbreite deutlich überschritten
gut: Regelbreite erfüllt
ausreichend: Mindestbreite erfüllt
mangelhaft: bis 30 Prozent unter Mindestbreite
sehr mangelhaft: über 30 Prozent unter Mindestbreite
Hindernisse in der (Geh-)Radwegfläche führten zu Punktabzug
Hier finden Sie die Ergebnisse einer Umfrage zu Flächenkonkurrenzen im Stadtverkehr
Nationaler Radverkehrsplan
Nationaler Radverkehrsplan unterstützt
Der Nationale Radverkehrsplan (NRVP) der Bundesregierung setzt aus Sicht des ADAC richtige und wichtige Zielmarken. Es geht um die Förderung des Radverkehrs in Deutschland für die Zeit bis 2030 – auch auf längeren Strecken. Wenn es gelingt, mehr Menschen zum Umstieg vom Auto auf das Fahrrad zu bewegen, kann die Städte von Verkehrsproblemen wie Staus und Parkplatzmangel entlasten.
Mehr Radverkehr ist auch ein zunehmend wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Deswegen begleitet der ADAC die Umsetzung des NRVP aktiv. Entscheidend ist der Ausbau der Radinfrastruktur: mehr, bessere und sicherere Radwege, ohne dem Autoverkehr den notwendigen Platz wegzunehmen. Der Weg zu einer anderen Fahrradkultur ist nur gemeinsam, nicht gegeneinander zurückzulegen.