Yamaha Niken GT: Verkanntes Genie

Fahraufnahme der Yamaha Niken GT
Yamaha Niken GT: Das Dreirad ermöglicht problemlos extreme Schräglagen© Yamaha

Die Yamaha Niken GT ist ein Motorrad mit drei Rädern und kontroversem Design. Jetzt hat sie einen neuen Motor und weitere Verbesserungen bekommen. Fahrbericht, technische Daten, Bilder, Preis.

  • Phänomenale Fahrleistungen

  • Bessere Ausstattung und Assistenzsysteme

  • Neuer, stärkerer Motor

Es ist zum Verzweifeln: Da entwickeln findige japanische Ingenieure in jahrelanger Arbeit ein grandioses Motorrad mit drei Rädern und so gut wie niemand will es kaufen. Gerade mal 3000 Stück haben die Japaner seit Mitte 2018 weltweit absetzen können, wovon 551 Stück in Deutschland zugelassen worden sind.

Steinböcke, Schneehühner oder Steinadler direkt am Straßenrand zeigen sich häufiger als das rare Dreirad, das seine 551 Besitzer offenbar streng unter Verschluss halten. Haben sie Angst vor Hohn und Spott der Betrachter des neigefähigen Unikums mit den zwei Vorderrädern und den vier mächtigen Gabelrohren?  

Kontroverses Design

Aufnahme der stehenden Yamaha Niken GT in den Bergen
Die Yamaha Niken trifft nicht jedermanns Geschmack© Yamaha

Zugegeben: Die Optik der 2023 gründlich überarbeiteten und 18.400 Euro teuren Niken GT ist keine leichte Kost. Der, ob der vorne wohnenden Neigetechnik extrem massige Vorbau lässt selbst Wohlmeinende tief schlucken und hörbar atmen. Insbesondere die Kombination mit einem schlanken Heck, das "typisch Motorrad" ist, stellt einen argen Kontrast dar. Ob ein anderes, ähnlich spezielles Heck, das die Frontpartie eher ergänzt als persifliert, eine Lösung des Optik-Problems sein könnte?

Begeisternde Fahreigenschaften

Rückansicht der fahrenden Yamaha Niken GT in den Bergen
Die Niken flitzt um die Kurven stabil wie ein Panzer© Yamaha

Wir lassen die Frage unbeantwortet und kümmern uns um die Fahreigenschaften der Niken GT. Die sind schlicht begeisternd. Die dreirädrige Kurvenkünstlerin pfeilt ultrastabil um Biegungen jedes Radius‘. Egal ob der Untergrund super grippt oder aber nass-krank, dreck-krank oder sonstwie bösartig erscheint: Situationen, in denen sich die Arme von Motorradfahrern gerne unbewusst versteifen, kümmern einen auf der Niken nicht. Sie bügelt über all das hinweg, als wäre nichts.  

Dass die zwei parallel sich neigenden Vorderräder weit mehr verzeihen als ein einzelnes Vorderrad, ist, fahrphysikalisch gesehen, keine Überraschung. Schon eher erstaunt, wie viel mehr zwei Räder verzeihen beziehungsweise möglich machen. In unbekanntem Terrain mächtige Schräglagen um die 40 Grad abreiten? Let’s grins. In Schräglage bremsen? Was soll’s. Ähnlich viel Fahrspaß bei unfassbar hoher Fahrsicherheit unter wechselnden, unbeständigen Fahrbahnbedingungen kann kein reguläres Motorrad bieten.

Top in Schräglagen

Fahraufnahme der Yamaha Niken GT in den Bergen
Auch in Schräglagen extrem fahrstabil: Yamaha Niken GT© YME NV

Dennoch: Die Akzeptanz am Motorradmarkt ging bisher gegen Null. Wahrscheinlich wäre sie höher, wenn die Spurweite der Vorderräder von 41 auf 46,5 Zentimeter erhöht würde, weil die Niken GT dann mit dem B-Führerschein gefahren werden dürfte. Doch Yamaha will diesen Weg nicht gehen, und zwar aus gutem Grund: Die Kombination aus 270 Kilogramm Leergewicht und 85 kW/115 PS Motorleistung führt zu einer Fahrdynamik, die so gut wie jeden Pkw mit weniger als 400 PS schwächlich erscheinen lässt. Und dazu kommen die für Autofahrer ungewohnten Schräglagen, die Windkräfte am Helm und weitere motorradtypische Begleiterscheinungen.

Bilder: Yamaha Niken GT im Detail

Neuer Motor und weitere Verbesserungen

Die weiteren Änderungen der 2023er-Generation betreffen nicht das Konzept, sondern alleine dessen Umsetzung. So gibt es eine Modifikation des Stahlrahmens mit dem Ziel einer leichten Massenverschiebung. Dazu wird der Motor um fünf Grad stärker nach vorne geneigt, was neue Aufhängungspunkte erforderlich machte. Auch gibt es eine neue Abstimmung der Schwinge. Das Triebwerk entspricht weitgehend dem aktuell in der Tracer 9 verwendeten Aggregat.

Es bietet gegenüber der Ur-Niken bei 42 ccm mehr Hubraum deutlich mehr Kraft. Das ist angesichts des beträchtlichen Fahrzeuggewichts sehr willkommen. Dass der Ansaugtrakt leiser arbeitet und die Auspuffanlage überarbeitet worden ist, empfinden wir ebenfalls positiv. Zu notieren sind zudem ein jetzt gut funktionierender Quickshifter für kupplungsloses Schalten, ein neues, 7 Zoll großes TFT-Display samt endlich passendem Bedienkonzept, neue Lenkerarmaturen und eine deutlich voluminösere Plexiglasscheibe zugunsten eines verbesserten Windschutzes.  

Motorrad und Roller: Neuheiten, Tests, Fahrberichte

Sehr gute Serienausstattung

Stehende Aufnahme der Yamaha Niken GT in Rückansicht
Die serienmäßigen Schalenkoffer fassen jeweils 30 Liter© Yamaha

Der ebenfalls neue Verstellmechanismus für die Scheibe ähnelt einem Revolvergriff; zum Abzug genügt die rechte Hand. Sehr angenehm empfinden wir die neu gestaltete Komfort-Sitzbank. Auch ein Tempomat ist serienmäßig. Er ist allerdings nicht von der adaptiven Machart, die Yamaha der ebenfalls modifizierten Tracer 9 GT+ spendiert hat. In der Niken sind die Möglichkeiten zum nachträglichen Einbau deutlich schlechter, da weitaus mehr Technik auf nur unwesentlich mehr Grundfläche untergebracht werden muss.

Die Ausstattung der Niken GT ist üppig: Selbst die beiden 30-Liter-Seitenkoffer, zwei Steckdosen und eine Griffheizung sind serienmäßig. Unterm Strich bleiben nur wenige Wünsche offen, beispielsweise die nach automatisch rückstellenden Blinkern oder einem schlüssellosen Startsystem. Auch würde eine Verriegelungsmöglichkeit der Vorderräder manches Rangiermanöver erleichtern. Neuerdings ist die Niken GT dafür mit feiner Konnektivität und sogar Kartennavigation gesegnet.

Technische Daten Yamaha Niken GT

Herstellerangaben


Motor

Flüssigkeitsgekühlter Dreizylinder-Reihenmotor, 890 ccm Hubraum, vier Ventile pro Zylinder, DOHC, 84,5 kW/115 PS bei 10.000 U/min, 91 Nm bei 7000 U/min; Einspritzung, 6 Gänge, Kette

Fahrleistungen

Höchstgeschwindigkeit 190 km/h, Normverbrauch 5,8 l/100 km

Fahrwerk

Stahlrohr-Brückenrahmen, vier 41 mm ø USD-Standrohre zur Federung/Dämpfung bzw. Radführung vorne, 110 mm Federweg; Aluminiumguss-Schwinge hinten, Zentralfederbein, Vorspannung per Handrad hydraulisch einstellbar, 125 mm Federweg; Aluminiumgussräder; Reifen vorne jeweils 120/70R15, hinten 190/55R17; vorne je Rad eine 298 mm ø Einzelscheibenbremse, hinten 282 mm ø Einscheibenbremse

Assistenzsysteme

Drei Fahrmodi, ABS, schräglagenfähige Traktionskontrolle, Zweiwege-Quickshifter

Maße und Gewichte

Radstand 1500 mm, Bodenfreiheit 150 mm, Sitzhöhe 825 mm, Gewicht fahrfertig 270 kg plus Seitenkoffer, Zuladung 191 kg, Standgeräusch 92 dB(A). Tankinhalt 18 l

Preis

18.400 Euro

Text: Ulf Böhringer/SP-X