Autonome Lkw: Sind sie die Rettung für den Fahrermangel?

Der autonom fahrende LKW von Torc fährt auf einem Highway
Dass dieser Lkw von allein fährt, sieht man ihm auf den ersten Blick nicht an© Torc

Nicht nur an autonomen Pkw, auch an Roboter-Lkw arbeitet die Industrie. Wie der Pilot hinter dem Lenkrad überflüssig werden könnte, zeigt eine Mitfahrt in einem autonomen Lkw in den USA

  • In den USA könnten ab 2025 autonome Lkw fahren

  • Die Technik kann auch in europäische Lkw eingebaut werden

  • Fahrer braucht es nur noch "für die letzte Meile"

Autonom fahrende Autos? Die wurden von der Industrie zwar schon vor vielen Jahren gehypt, doch getan hat sich wenig. Doch langsam wird das autonome Fahren greifbarer: So kann die Mercedes S-Klasse mittlerweile selbsttätig nach Stufe 3 das Steuer übernehmen und den Fahrer entlasten. Zwar nur in einer bestimmten Situation, nämlich im Stop-and-Go-Verkehr auf der Autobahn, aber es ist ein Anfang. Von automatisierten Lkw hat man bislang noch nicht viel gehört, doch gerade sie hätten großes Potenzial: Schließlich könnten selbstfahrende Lkw auch das Problem des Fahrermangels lösen.

23 Meter Lkw und 36 Tonnen fahren von selbst

Das Cockpit eines autonom fahrenden LKWs von Torc
Hier lenkt der Test-Lkw selbst, doch der Fahrer an Bord ist stets in Hab-Acht-Stellung, um notfalls eingreifen zu können© Torc

Einen Einblick in den Stand der Technik hat Autor Fabian Hoberg bei einer Mitfahrt in einem autonomen Lkw in den USA bekommen: Im Freightliner Cascadia mit einem Sensor-Set-up der Firma Torc Robotics wird der Trucker überflüssig. Das Lenkrad dreht sich selbstständig, und die Gänge wechseln automatisch – ohne dass der Fahrer eingreift. Torc Robotics hat auf dem Freightliner Cascadia basierend einen der ersten autonomen Lastwagen nach SAE-Level 4 aufgebaut. Dabei übernimmt das Fahrzeug vollständig die Verantwortung – auch über seinen 23 Meter langen 36-Tonnen-Anhänger. Der Truck ist laut Hersteller so gut wie serienfertig.

Wie fühlt sich das an? In der Nähe von Albuquerque fährt der Truck nach Aktivierung des Systems allein auf die Interstate 40 Richtung Osten, setzt artig den Blinker, lässt zwei Autos durch und schlängelt sich geschmeidig auf eine Fahrspur. Mit rund 60 Meilen pro Stunde stampft der Truck über die Interstate, die anderen Verkehrsteilnehmer ziehen ungerührt ihre Bahnen: Bis auf die Schrift am Anhänger und die Sensoren am Truck gibt es keinen optischen Unterschied zu einem normalen Lastwagen.

Noch ist ein Testfahrer im autonomen Lkw an Bord

Ein Fahrer sitzt am Cockpit des autonom fahrenden Torc LKWs
Testfahrer Jeremy Lucero checkt, wie sich der autonome Lkw im Verkehr verhält© Torc

Jeremy Lucero fährt seit elf Jahren Lkw und arbeitet seit zwei Jahren für Torc als "In Vehicle Fallback Test Driver", also als Testfahrer, der notfalls eingreifen kann, sollte etwas schiefgehen. Während der Fahrt umfassen seine Hände sanft das Lenkrad, ohne es festzuhalten. "Ich muss spüren, wie sich der Truck verhält, und ob sich das natürlich anfühlt. Nur so können wir das Fahrverhalten weiter verbessern und dem Truck ein Fahrverhalten wie mit einem menschlichen Trucker geben", sagt Jeremy Lucero. Seine Beurteilung gibt er permanent an seine Beifahrerin weiter, die die Anmerkungen notiert, sodass die Entwicklungsingenieure direkt darauf zugreifen können.

Die größte Herausforderung seien Spurwechsel auf Freeways mit ihren fünf bis sechs Spuren und unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Fahrzeuge. Ist eine Fahrspur besetzt, wird sie auf einem Kontrollmonitor im hinteren Teil der Fahrerkabine rot dargestellt. Der Cascadia bleibt dann auf seiner Spur, reduziert die Geschwindigkeit und wartet auf eine passende Lücke. Anders als bei uns darf man in den USA auf allen Spuren überholen.

Vorteile: Weniger Verbrauch, keine müden Fahrer

Seit 2021 fährt der Cascadia autonom nach Level 4 Probe, seit 2022 testen Torc Robotics und Waymo die Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen, immer mit einem Sicherheitsfahrer. Derzeit spulen rund 30 Lkw im südlichen Teil der USA ihre Meilen ab, um Erfahrungen zu sammeln.

Die Vorteile von autonomen Lkw liegen auf der Hand: Weniger übermüdete Fahrer, langsamere und gleichmäßiger fahrende Trucks, die weniger Kraftstoff verbrauchen, erhöhen Verkehrsfluss und Effizienz. Mit dem System kann sich der Trucker auf langen Strecken ausruhen oder schlafen. Erst in der Stadt übernimmt er wieder das Lenkrad.

USA: So könnte die Praxis mit autonomen Lkw aussehen

Der autonom fahrende LKW von Torc fährt auf einem Highway
Spurwechsel sind auf US-Highways eine Herausforderung für autonome Fahrzeuge© Torc

Torc Robotics plant in den USA ein Hub-System: Lkw-Fahrer transportieren Güter zu einer Verladestation. Dort koppeln sie den Trailer ab, und ein autonom fahrender Lkw zieht die Ladung über eine lange Distanz über den Freeway zur finalen Hub-Station. Dort übernimmt wieder ein realer Fahrer die Ladung und liefert sie in der letzten Meile aus – ähnlich einem Verladebahnhof der DB Cargo in Deutschland.

In "Mission-Control-Centern" beobachten derweil Mitarbeiter die Trucks aus der Ferne, kontrollieren Fahrdaten und können die Fahrzeuge in extremen Situationen oder Notfällen ferngelenkt parken. Bis 2030 sollen sechs Prozent der Fracht mit autonomen Lastwagen ausgeliefert werden, dann mit elektrischen Antrieben. Sieben bis zehn Lade-Hubs im Südwesten der USA würden dafür reichen.

Über autonome Lkw denkt man schon länger nach

Die Idee vom selbstfahrenden Lastwagen gibt es schon lange. Professor Ernst Dickmanns von der Bundeswehr-Universität in München forschte bereits Mitte der 1970er-Jahre an Roboterautos. Die ersten Realweltexperimente seiner Doktoranden fanden 1981 in einem Labor statt.

1985 baute der Pionier einen Mercedes D508 Kastenwagen, nennt ihn "Versuchsfahrzeug für autonome Mobilität und Rechnersehen" (VaMoRs). Ein Jahr später fährt der Transporter allein bis zu 40 km/h. Im gleichen Jahr erreicht sein damaliger Doktorand mit 96 km/h die Höchstgeschwindigkeit von VaMoRs.

Hoher Aufwand: Technik muss verlässlich funktionieren

Die Sensoren über der Fahrerkabine eines autonom fahrenden LKWs von Torc
Mehr als 40 Sensoren überwachen den Verkehr rundum© Torc

Der technische Aufwand ist immens. Neben rund 40 Sensoren inklusive Kamera, Radar, Mikrofonen und Lidar kommen im Cascadia leistungsstarke Rechner zum Einsatz. Damit sollen sichere Fahrten bei Nebel und Schnee gewährleistet sein. Sicherheitsrelevante Bauteile wie Lenkung, Bremse und Netzwerk legen die Experten redundant aus, ebenso die Bordspannung für die Technik.

Im Vergleich zu Autos ist der Aufwand schon durch die Fahrzeuglänge höher und damit sind es auch die Kosten. "Bei Level-4-Fahrzeugen kann kein Fahrer in brenzligen Situationen eingreifen. Daher muss das System zu 100 Prozent funktionieren", sagt Peter Vaughan Schmidt, CEO von Torc Robotics. Das Unternehmen mit rund 600 Mitarbeitern ist auf dem Gebiet kein Neuling und beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit autonomen Fahrzeugen, konzipierte autonome Lkw für Minen und Bergwerke.

Ab wann erste autonome Lkw kommen

2025 sollen die ersten Trucks ohne Fahrer auf öffentlichen Straßen unterwegs sein und wenig später an Kunden ausgeliefert werden. Ein Einsatz für Europa ist in ein paar Jahren möglich, da die Technik auch in hiesige Lkw integriert werden kann. Wann genau? Festlegen will sich hier noch keiner.

Fahrermangel in Deutschland: 100.000 fehlen

Es könnte – neben besseren Arbeitsbedingungen und besserer Bezahlung – eine Lösung für den Mangel an Lkw-Fahrern sein. Nach Angaben des Bundesverbandes Güterverkehr Logistik (BGL) fehlen in Deutschland rund 100.000 Lkw-Fahrer, in ganz Europa rund 400.000. In den USA werden laut American Trucking Associations rund 80.000 Trucker gesucht. Bis 2030 soll sich die Zahl auf 160.000 verdoppeln.

Das autonome Fahren wird Lkw-Fahrer nicht überflüssig machen

Professor Dirk Engelhard, Bundesverbandes Güterverkehr Logistik (BGL)

Dem autonomen Fahren steht der BGL zurückhaltend gegenüber. "Das autonome Fahren wird den Lkw-Fahrer genauso wenig überflüssig machen, wie der Autopilot den Piloten überflüssig gemacht hat", sagt BGL-Vorstandssprecher Professor Dirk Engelhardt. "Fahrerinnen und Fahrer bleiben weiterhin unverzichtbar, da sie nicht nur fahren, sondern auch die ihnen anvertrauten Güter begleiten. Bei von der Technik nicht vorhergesehenen Ereignissen können sie eingreifen". Eine kurzfristige Lösung für den Fahrermangel ist die Technik ohnehin nicht: Wann in Deutschland autonome Lkw auf den Straßen sein werden, steht noch in den Sternen.

An der nächsten Abfahrt manövriert das System den Cascadia von der Autobahn. Die Gänge schalten weiter durch, die Druckluftbremse zischt, als der Truck an der Ampel zum Stehen kommt. Erst jetzt deaktiviert der Trucker das autonome System und fährt die letzten Meilen manuell durch die Stadt. Mit dem Lenkrad fest in der Hand.

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Text: Fabian Hoberg