"Ob dann E-Fuels für einige Porschefahrer übrig bleiben, wird man sehen"

Portrait von Veronika Grimm im Interviewformat
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm beriet die Bundesregierung bei der Strompreisbremse© Laurin Schmid/Bildkraftwerk

Eine Mobilitätswende und Energietransformation, die keine neuen sozialen Gräben schafft? Eine gewaltige Aufgabe. Wie sie gelingen kann, und warum Deutschland auf gar keinem so schlechten Weg ist, erklärt die Wirtschaftsweise und Wissenschaftlerin Veronika Grimm.

ADAC Redaktion: Frau Grimm, Strom- und Gaspreisbremse, Tankrabatt, 49-Euro-Ticket: Der Staat hat viel Geld für niedrigere Preise auf dem Energie- und Mobilitätsmarkt ausgegeben. Aus sozialen Gründen gerechtfertigt – oder ein übermäßiger Markteingriff?

Veronika Grimm: Es gibt verschiedene Ebenen. Einerseits geht es darum, die richtigen Rahmenbedingungen für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu schaffen. Und andererseits hat der starke Preisanstieg fossiler Energieträger bei Kriegsausbruch in der Ukraine zu enormem Druck auf die Politik geführt, die Menschen zu entlasten.

Kurzfristig war es schwierig, den Zielsetzungen gerecht zu werden. Bei der Gas- und Strompreisbremse ist es gelungen – auch weil Wissenschaft, Wirtschaft und Politik gemeinsam agiert haben. Der Kunde muss für seinen Verbrauch Marktpreise bezahlen, erhält aber monatlich einen Rabatt auf die Abschlagzahlung, der sich an seinem historischen Verbrauch orientiert. Damit werden die Verbraucher entlastet, aber es gibt dennoch einen Anreiz, Energie zu sparen.

Und wie war das beim Tankrabatt?

Der Tankrabatt ging komplett in die falsche Richtung: Obwohl man eigentlich Benzin und Diesel sparen sollte, weil Öl knapp war, hat man die Preise gesenkt, sogar für Wohlhabende. Das war kontraproduktiv.

Veronika Grimm

Prof. Veronika Grimm, 51, hat den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg inne. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt bei Energiemärkten und Energiemarktmodellierung sowie der Verhaltensökonomie.

Als Mitglied des Nationalen Wasserstoffrates berät sie die Bundesregierung. Außerdem ist sie eine der Wirtschaftsweisen beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Außerdem war sie Vorsitzende der Gaspreiskommission und gestaltete in dieser Funktion die Gaspreisbremse der Bundesregierung mit.

Funktioniert beim Sprit die Nachfragesteuerung über höhere Preise überhaupt? Viele Menschen sind schließlich auf ihr Auto angewiesen, etwa beim Pendeln.

Ich würde davor warnen, zu sagen, dass Preissignale generell nicht funktionieren. Der Preis spielt eine Rolle, aber vielfach nicht sofort. Preise sind oft für langfristige Entscheidungen wichtig: Wie organisiert man ganz grundsätzlich das Leben? Wo sucht man sich eine Arbeit? Wie groß ist die Entfernung zum Wohnort?

Und wie langfristig müssen diese Preissignale dann sein, damit Menschen ihr Verhalten ändern?

Es braucht verlässliche Rahmenbedingungen, das reduziert die Unsicherheit. Wenn die Bundesregierung ankündigt, den Preis für fossile Energie zu erhöhen, muss sie auch klar machen, dass sie sich an diesen Plan hält. Dann können sich die Menschen darauf einstellen.

Die Möglichkeiten auf Preise zu reagieren sind vielfältig: die Bahn zu nehmen oder im Homeoffice zu arbeiten, hohe Preise in Kauf zu nehmen und weiter Auto zu fahren. Oder das Rad zu nutzen. Es ist wichtig, dass die Politik konsequent Optionen eröffnet, den Belastungen auszuweichen, die durch höhere Preise fossiler Energien entstehen.

Ladesäulen an einer Straße
Ladesäulen für E-Autos sprießen überall aus dem Boden, allerdings nicht schnell genug. Deswegen will die EU nun aufs Gaspedal drücken© imago images/Action Pictures

Besteht die Gefahr einer zusätzlichen sozialen Spaltung, wenn vor allem Reiche sich ein teures elektrisches Auto leisten können – und die anderen zu wenig Geld für ihre Mobilität haben?

Man muss die soziale Frage immer mitdenken, sonst kann Klimaschutz nicht gelingen. In einer Marktwirtschaft sind Preissignale wichtig, da sie Verhalten steuern: Sind fossile Alternativen teurer, so werden klimafreundliche Alternativen gewählt. Dadurch steuern Preise auch Investitionen: Ist es zu erwarten, dass die Kunden klimafreundliche Alternativen bevorzugen, so investieren Unternehmen, um diese anbieten zu können. Dadurch werden diese auch für immer mehr Menschen zugänglich und mit der Ausweitung des Angebots erschwinglich.

Man muss die soziale Frage immer mitdenken, sonst kann Klimaschutz nicht gelingen.

Veronika Grimm, Wirtschaftsweise

Welche Maßnahmen schlagen Sie dafür vor?

Wir brauchen dringend den bereits beschlossenen Emissionshandel. Man kann die Menge der Emissionen entsprechend der Klimaziele senken und hätte gleichzeitig aus dem Verkauf der Emissionsrechte Einnahmen, etwa um den sozialen Ausgleich sicherzustellen.

Wie hoch der Emissionspreis wird, hängt dann auch davon ab, wie viele Leute schnell Emissionen vermeiden können. Auf emissionsfreie Autos umsteigen werden vermutlich zunächst eher die Wohlhabenden. Deswegen braucht es vielfältige Alternativen, mehr ÖPNV, anders geplante Städte, Digitalisierung.

Der soziale Ausgleich ist am besten gewährleistet, wenn die Erlöse aus dem Emissionshandel an die Bürgerinnen und Bürger über ein für alle gleich hohes Energiegeld ausgezahlt werden. So würden die unteren Einkommensgruppen insgesamt profitieren. Denn sie haben einen kleineren CO₂-Fußabdruck als Wohlhabende und bekommen deshalb im Schnitt mehr Geld zurück, als sie bezahlen.

Auch bei der Ladeinfrastruktur will die EU Tempo machen. Jetzt hat sie ehrgeizige Ausbauziele gesetzt und will viel Geld investieren. Nimmt der Staat da eine ganz neue Rolle ein? Tankstellen hat er ja bis jetzt auch nicht gebaut …

Ich wäre allgemein vorsichtig, immer nach dem Staat zu rufen. Seine Institutionen sind oft behäbig, er muss aufpassen, dass er sich nicht übernimmt. Denken Sie daran, wie langsam Schulen in der Pandemie digitalisiert wurden, und wie schnell das bei Unternehmen funktionierte. Ziele vorgeben und Dinge fördern ist das eine. Aber wichtiger wäre es, regulatorische Hemmnisse abzubauen, um bei der Dämmung von Wohngebäuden oder dem Umbau der Städte schneller voranzukommen. In vielen Bereichen ist das das wesentliche Problem.

Offshore Windpark
Offshore-Windparks gelten als eine der saubersten Stromquellen. Für die Energietransformation wird es mehr von ihnen geben müssen© imago images/agrarmotive

Auch die Debatte um E-Fuels wurde hitzig ausgefochten, jetzt sind sie offiziell Teil der Lösung. Ist es wichtig, diese Option offen zu halten?

Die Debatte finde ich symptomatisch für unsere ganze Herangehensweise. Ganz grundsätzlich brauchen wir vor allem viel mehr Strom: für die Mobilität, für Wärmepumpen, für die ganze Industrie und natürlich für Wasserstoff.

Aber anstatt dort richtig Tempo zu machen, diskutieren wir über einen ganz bestimmten Bereich, in dem ein bestimmter Kraftstoff nicht eingesetzt werden soll. Diese Negativ-Diskussion ist absolut kontraproduktiv. Stattdessen muss man den Fokus darauf setzen, die Energieversorgung in allen Dimensionen ganz schnell auszubauen: erneuerbare Energien, wasserstofffähige Gaskraftwerke, die Erzeugung und Beschaffung von Wasserstoff in großen Mengen.

Ob dann E-Fuels für einige Porschefahrer übrig bleiben, das wird man sehen. Außerdem könnten wir beim Bestand ohnehin in die Situation kommen, dass wir E-Fuels beimischen. Aber das hängt eben auch vom Angebot ab.

Die meisten Autokonzerne haben den Ausstieg aus dem Verbrenner in Europa für die 2030er-Jahre angekündigt. Bewegt sich die Industrie schnell genug?

In der Automobilbranche wurde stark gegen die Klimaschutzvorgaben angearbeitet. Und auch jetzt kommt es mir so vor, also würden so einige ein Schlupfloch suchen, um am Verbrenner festzuhalten. Aber das wäre sehr unklug: die Gefahr besteht, ins Hintertreffen zu geraten. Bei der Batterietechnik sieht man den Rückstand etwa im Vergleich zu Asien ja sehr deutlich.

Das Hin und Her zwischen Politik und Herstellern führt dazu, dass man immer ein bisschen auf der Bremse steht, und dann international ins Hintertreffen gerät. Um Investitionen auszulösen, ist es wichtig, einen klaren Rahmen zu haben, der in die richtige Richtung weist. Sonst skalieren andere schneller, und man verliert den Anschluss.

Auch im Vergleich zur Autoindustrie: Glauben Sie, dass die Energiekonzerne sich der Dringlichkeit beim Ausbau der Stromversorgung bewusst sind?

Absolut. Natürlich gab es Lobbyismus, um die fossilen Geschäftsmodelle aufrechtzuerhalten. Aber es gibt in den Konzernen auch viele Experten, die wissen, wie der Umstieg auf Erneuerbare gelingen kann. Und natürlich brauchen wir die Expertise der Konzerne, etwa um großflächig Windparks zu bauen.

Und damit sind wir wieder bei den Anreizsystemen. Unternehmen sind ihren Aktionären verpflichtet. Das heißt: Klimafreundliche Geschäftsmodelle müssen attraktiver und zumindest mittelfristig erfolgversprechender sein als fossile. Das ist immer mehr der Fall, denn die Energiebranche unterliegt schon lange im europäischen Emissionshandel. Deshalb ist klar, dass fossile Energieverbrennung immer teurer wird. Dass wir jetzt wieder so viel Kohle verbrennen, liegt ja vor allem am Ausstieg aus der Kernkraft und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Unternehmen sind ihren Aktionären verpflichtet. Das heißt: Klimafreundliche Geschäftsmodelle müssen attraktiver und zumindest mittelfristig erfolgversprechender sein als fossile.

Veronika Grimm, Wirtschaftsweise

Hinter diesen Anreizsystemen steckt ja auch die Idee vom grünen Wachstum. In der Klimabewegung gibt es aber große Skepsis, dass diejenigen, die uns die Klimakrise miteingebrockt haben, nämlich die großen Konzerne, nun Teil der Lösung sein sollen. Haben Sie dafür Verständnis?

Die Unternehmen schauen auf ihre Gewinne. Daher werden sie auch den Klimaschutz dynamisch vorantreiben, sobald es sich lohnt. Die Politik muss mutig genug sein, entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen. Den gesellschaftlichen Rückhalt dafür gibt es ja heute. Gegen den Willen der Bevölkerung geht es aber nicht. Würde die Regierung die Menschen bei ihren Maßnahmen nicht mitnehmen, kann das schnell den Extremisten Vorschub leisten.

Die Akzeptanz und die Partizipation der Bevölkerung ist auch darüber hinaus wichtig. Selbst wenn wir es in Deutschland mit radikalen Maßnahmen schaffen, den CO₂-Ausstoß massiv zu reduzieren: Der Klimawandel ist ein globales Phänomen. Deutschland kann durch Verhandlungsmacht, eine Vorbildfunktion und neue Technologien dazu beitragen, dass weltweit Staaten günstig die Emissionen reduzieren können. Wenn das nicht gelingt, haben wir beim globalen Klimaschutz keine Chance.

Zum Schluss: Wenn der Weg zur Klimaneutralität eine Reise wäre, wie bewegen wir uns fort?

Ich glaube, dass wir schon sehr viele gute Voraussetzung haben. Insofern könnten wir mit einem Katapult unterwegs sein. Aber natürlich nur, wenn man es auch richtig bedient.