Kind auf Laufrad verursacht Unfall: Wie weit geht die Aufsichtspflicht der Eltern?
Lassen Eltern ihr knapp dreijähriges Kind auf einem Geh- und Radweg mit dem Laufrad vorausfahren, verletzen sie ihre Aufsichtspflicht, wenn sie nicht eingreifen können. Ein Urteil des OLG Hamm.
Der Fall: Ein Kind fuhr mit seinem Laufrad auf einem gemeinsamen Geh- und Radweg etwa 5 bis 9 Meter vor seinen Eltern. Der Junge machte eine Bewegung nach links und stieß mit einem Radfahrer zusammen, der gerade überholen wollte. Der Radfahrer stürzte, verletzte sich und verklagte die Eltern auf Schmerzensgeld.
Kind auf Laufrad kollidiert mit Radfahrer
In erster Instanz bekam der Radfahrer die Hälfte seiner Ansprüche zugesprochen. Das Landgericht begründete die Mithaftung der Eltern mit der Verletzung ihrer Aufsichtspflicht. Sie hätten keine Möglichkeit mehr gehabt, ins Geschehen einzugreifen. Allerdings habe sich der Radfahrer vor dem Überholen vergewissern müssen, dass der Junge das Überholmanöver auch beachtet, so das Gericht. Der Radfahrer legte Berufung ein. Er verlangte seinen Schaden zu 100 Prozent ersetzt.
Aufsichtspflicht der Eltern verletzt
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm wies die Berufung zurück und ging ebenfalls von einer hälftigen Haftung aus. Die Aufsichtspflicht hänge von Alter und Charakter des Kindes ab. Entscheidend sei, was verständige Eltern unternehmen müssen, um zu verhindern, dass Dritte durch ihr Kind zu Schaden kommen. Das Ausmaß der Aufsichtspflicht hänge dabei vom Gefahrenpotenzial ab, vor allem von der Art der Verkehrswege und der Gewöhnung des Kindes an den Straßenverkehr.
Gefahr für überholenden Radfahrer
In diesem Fall hätten die Eltern des Jungen die Aufsichtspflicht für ihren erst zwei Jahre und elf Monate alten Sohn verletzt, führte das Gericht aus. Der Grund: Sie hätten wegen des Abstandes zu ihrem Kind (mindestens 5 bis 9 Meter) nicht eingreifen und andere Verkehrsteilnehmer vor Gefahren schützen können.
Die Eltern seien nicht in der Lage gewesen, notfalls körperlich einzugreifen. Daher hätten sie dafür sorgen müssen, dass ihr Sohn auf Zuruf ordnungsgemäß anhält, so das Gericht weiter. Das sei hier aber nicht gegeben gewesen. Die Eltern hätten gewusst, dass ihr Sohn noch eine Lenkbewegung nach links macht, wenn sie "stopp" rufen. Das erhöhe die Gefahr für links vorbeifahrende Radfahrer erheblich.
Mitverschulden des Radfahrers
Allerdings habe der Radfahrer gesehen, dass die Eltern nicht unmittelbar auf ihr Kind einwirken konnten, argumentierten die Richter weiter. Er habe daher auf dem gemeinsamen Fuß- und Radweg besondere Rücksicht nehmen müssen. Das gelte erst recht bei einem Kleinkind, bei dem man nicht wisse, wie es reagiert. Außerdem sei das Kind besonders schutzbedürftig. Das Gericht nahm daher ein Mitverschulden des Radfahrers von 50 Prozent an.
OLG Hamm, Urteil vom 21.11.2023, Az.: 26 U 79/23