"Wir werden grüne Mobilität schaffen"

Portrait von VDE Präsident Prof. Dr. Armin Schnettler
Prof. Armin Schnettler, Präsident des Technikverbands VDE © VDE/Anja Rottke

Prof. Armin Schnettler, Präsident des Technikverbands VDE, über den Umstieg auf E-Autos, fehlende Stromnetze und die Chancen der Energiewende.

VDE-Präsident Armin Schnettler war bis Spätsommer 2021 Vorstand von Siemens Energy und berät aktuell sowohl die Politik als auch die Industrie. An der Power-to-Fuel-Anlage in Chile, die gegenwärtig in Zusammenarbeit mit Porsche entsteht, war er beteiligt.

ADAC: Herr Schnettler, Tanken ist enorm teuer geworden – geht das in Zukunft so weiter?

Prof. Armin Schnettler: Kraftstoff war in der Vergangenheit viel zu billig. Das sagen wir schon seit Jahren.

Im Vergleich zu Diesel und Benzin: Wird das Laden von Elektroautos günstiger sein?

Im Moment haben wir horrende Spritpreise, während der Strom zu Hause nach wie vor 30 Cent pro Kilowattstunde kostet. An einer Schnellladesäule kann es sogar das Doppelte sein.

Aber um einen seriösen Kostenvergleich der verschiedenen Antriebstechnologien untereinander anzustellen, muss man natürlich neben den Betriebskosten für Strom, Sprit oder die Inspektionen auch die Anschaffungskosten berücksichtigen. Vor allem die Anschaffungskosten sind beim Elektroauto trotz aktueller Förderungen noch höher als beim klassischen Verbrenner. Trotzdem sehen wir über alle Kosten hinweg schon jetzt eine gewisse Parität zwischen Elektroauto und Verbrenner.

Der VDE

Der Verband der Elektrotechnik Elektronik und Informationstechnik e.V. (VDE) ist eine der größten Technologie-Organisationen Europas. Der VDE vereint Wissenschaft, Standardisierung, Prüfung, Zertifizierung und Anwendungsberatung.

An der Tankstelle sind die Kunden an schwankende Preise gewöhnt, beim Strom zahlt man einen Fixpreis. Bleibt das so?

Ja, bezogen auf einen definierten Zeitraum. Aber mit den smarten Zählern, den sogenannten intelligenten Messsystemen, wird es bald auch tageszeitabhängige Tarife geben.

Wenn wir CO₂-Emissionen verringern wollen, brauchen wir mehr grünen Strom, mehr Energieeffizienz und müssen weniger Auto fahren.

Prof. Armin Schnettler

2030 soll es in Deutschland 15 Millionen E-Autos geben. Reicht der erneuerbare Strom dafür?

Wenn es nur um die Elektroautos geht: ja. Aber dann steht der grüne Strom natürlich nicht für Industrie oder Wohnungen zur Verfügung. Deshalb muss die Antwort eigentlich heißen: nein. Wenn wir CO₂-Emissionen verringern wollen, brauchen wir mehr grünen Strom, mehr Energieeffizienz und müssen weniger Auto fahren.

Gibt es genug Ladeparks?

Noch nicht, wir brauchen mehr Hochleistungs-Lademöglichkeiten entlang der Autobahnen, vielleicht im Abstand von 60 Kilometern. So wie bei Tankstellen auch.

Ladestation an einer Strasse
Stationen zum Schnellladen müssen laut Schnettler ausgebaut werden© Shutterstock/Rudmer Zwerver

Und wie ist die Situation bei den Stromnetzen?

Bei 10 bis 15 Millionen Fahrzeugen reden wir von ungefähr 10 Prozent mehr Stromverbrauch. Das schaffen unsere Netze. Was sie allerdings nicht schaffen, sind mögliche Leistungsspitzen, wenn zum Beispiel alle Leute in einer Straße gleichzeitig ihre batterieelektrischen E-Autos vollladen würden.

Deshalb sind vor allem intelligente Netze und Messsysteme notwendig, damit wir diese Leistungsspitzen mithilfe von temporären Steuerungsmaßnahmen abfedern und einen kostspieligen Netzausbau möglichst vermeiden. Aber das kommt, daran wird seit vielen Jahren in Forschungs- und Entwicklungsprojekten gearbeitet.

Zum Teil sind wir viel zu gründlich und nicht pragmatisch genug, das ist die deutsche Mentalität.

Prof. Armin Schnettler

Geforscht, ja – aber wie steht es um die Umsetzung?

Zum Teil sind wir viel zu gründlich und nicht pragmatisch genug, das ist die deutsche Mentalität. Der notwendige Netzausbau von den Windparks in der Nordsee in den Süden zur Versorgung mit "grüner Energie" muss schneller werden, das darf nicht noch mal zehn Jahre dauern. Aber die Energiekrise, die wir wegen des Ukraine-Kriegs erleben, wird zu mehr Pragmatismus führen. Davon bin ich fest überzeugt.

Ihr Verband, der VDE, prüft und zertifiziert viele der neuen Technologien im Elektronikbereich. Tragen Sie eine Mitverantwortung für die schleppenden Fortschritte?

Nein. Viele Leute denken, der VDE schreibt die Normen selbst, das ist nicht der Fall. Die Normierung ist ein komplexer Prozess der Konsensfindung, der sich oftmals auch über Ländergrenzen erstreckt. Das kann manchmal dauern. Als VDE versuchen wir, diesen Prozess aber möglichst schlank und reibungsfrei zu moderieren.

Haben Sie den Eindruck, dass die Bundesregierung die richtigen Weichen stellt?

Ja, wenn wir jetzt wirklich loslegen. Wir haben viele beratende Gremien, und meine Hoffnung ist, dass die neue Regierung umsetzungsstärker ist als die vorherige.

Wie steht es um die Wirtschaftlichkeit der neuen Technologien?

Beim technologischen Fortschritt muss man immer durch eine Art "Tal der Tränen", mit hohen Ausgaben und geringen Einnahmen. Dieses Tal müssen wir durchqueren.

Die batterieelektrische Elektromobilität ist dank der Förderung schon auf der anderen Seite angekommen. Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe sind dagegen noch nicht so weit. Dabei haben sie in ihrem spezifischen Anwendungsfeld durchaus Stärken.

Allein der Bestandsfahrzeugmarkt im Verbrennerbereich ist mit über 1,3 Milliarden Fahrzeugen weltweit riesig! Hier könnten E-Fuels die einzig ökonomisch sinnvolle Alternative zur Dekarbonisierung sein.

Wasserstoff und E-Fuels müssten also stärker gefördert werden?

Ja. Eine schnelle Nutzung von E-Fuels kann einen riesigen Markt defossilisieren und damit einen Umweltbeitrag leisten. Eine Förderung kann dabei den Schwachpunkt der Kosten für den Anwender reduzieren. Deswegen ist der Ansatz richtig, parallel zum batterieelektrischen Elektroauto auch auf Wasserstoff und E-Fuels zu setzen.

Wie würde das funktionieren?

Es würde zunächst nur um Beimischungen gehen. Unser E10 wird dann M10, also Benzin mit 10 Prozent Methanol, oder H10, also Benzin mit 10 Prozent Methanol auf Basis von grünem Wasserstoff. Technologisch ist das alles kein Problem.

Könnten synthetische Kraftstoffe also den deutschen Verbrenner am Leben erhalten?

Nur vorübergehend, die Zukunft gehört dem reinen Elektroauto. Im überregionalen Schwerlastverkehr wird es wahrscheinlich Wasserstoff werden. Also auch ein Elektroantrieb, mit dem Unterschied, dass die Energie nicht in einer Batterie gespeichert wird wie beim batterieelektrischen E-Auto.

Aber unabhängig von Straßenfahrzeugen: Wir haben einen riesigen Bedarf an Wasserstoff und E-Fuels: für Schiffe, für Flugzeuge oder für andere Sektoren wie beispielsweise die Stahlindustrie.

Unabhängig von Straßenfahrzeugen: Wir haben einen riesigen Bedarf an Wasserstoff und E-Fuels.

Prof. Armin Schnettler

Ist es in Deutschland möglich, genug Grünstrom für die hiesige Nachfrage zu produzieren?

Eindeutig nein.

Warum nicht?

Etwa 50 Prozent des Endenergieverbrauchs lassen sich elektrifizieren. Wir liegen heute bei etwa 20 Prozent. Wir brauchen in Deutschland in Zukunft aber mehr als doppelt so viel Strom wie heute. Konkret ist das ein Mehrbedarf von 600 Terrawattstunden Strom. Problem: Wir müssen gleichzeitig raus aus Kohle, Gas und Atomkraft. Daher werden wir unseren Strombedarf über Importe abdecken müssen.

Wie sollte dieser Strom zu uns kommen?

Wir sollten grüne Energie in Form von Wasserstoff, Methanol, Ammoniak oder synthetischen Kraftstoffen importieren. So kann man sie speichern. Dafür brauchen wir sowohl starke europäische als auch weltweite Energiepartnerschaften, sei es mit Australien, sei es mit Südamerika, mit Nordafrika, oder auch mit dem Nahen Osten.

Lässt sich das in den nächsten 15 Jahren realisieren?

Nicht zu 100 Prozent. Aber viele Projekte stehen kurz vor der finalen Investitionsentscheidung, das stimmt mich positiv. Ich selbst habe ein Projekt in Chile mit der Bundesregierung angestoßen.

Die Energiewende erfordert nicht nur neue Technologien, sondern auch Menschen, die Stromtrassen, Windräder und Solarparks bauen oder Solarpaneele auf die Dächer schrauben. Gibt es die Fachkräfte dafür?

Nein, und das ist unser wunder Punkt: Es sind die Leute, die fehlen. An der Technik fehlt es nicht. Das hat gerade erst eine VDE-Studie zu diesem Thema ergeben.

Unser wunder Punkt sind die fehlenden Fachkräfte. An der Technik fehlt es nicht.

Prof. Armin Schnettler

Wenn es also nicht gelingt, genug junge Leute entsprechend auszubilden …

… dann haben wir ein Problem. Dann haben wir ein Riesenproblem. Aber es müsste doch möglich sein, alle Generationen, ob jung oder alt, für die Umsetzung der Energiewende zu gewinnen. Auch für ADAC und VDE ist es eine gesellschaftliche Aufgabe, darüber zu informieren und zu motivieren.

Ist Klimaneutralität vor diesem Hintergrund bis 2045 möglich?

Grüne Mobilität werden wir schaffen, davon gehe ich aus. Wir wollen aber 2045 überall grün sein. Das wird uns mit der aktuellen Geschwindigkeit nicht gelingen. Also brauchen wir noch eine gute Strategie für alle anderen Sektoren und natürlich genügend Fachkräfte zur Umsetzung.

Herr Professor Schnettler, vielen Dank für das Gespräch.